50+1-Regel: Das Possenspiel des Martin Kind
Ist die Bundesliga-Lizenz von Hannover 96 in Gefahr? Wie der starke Mann des Bundesliga-Klubs versucht, die 50+1-Regel auszuhebeln.
Der 1. FC Union hat in der vergangenen Woche vielfach beachtete Vorschläge gemacht. Zur Zukunft des deutschen Profifußballs und wie diese nach den Vorstellungen der Köpenicker am besten auszusehen habe. Union will einiges reformieren, etwa die Teilnehmerzahlen an Erster und Zweiter Liga, 20 statt deren 18 wünscht sich Unions Präsident Dirk Zingler. Manches, so geht aus dem Thesenpapier hervor, wolle man aber auch erhalten: die sogenannte „50+1“-Regel zum Beispiel. Es handelt sich bei ihr um eine in Deutschland exklusive Note, die es Investoren untersagt, die Stimmenmehrheit über eine Profifußballgesellschaft zu halten. Und die garantieren soll, dass der an der Profigesellschaft beteiligte Stammverein die Geschäfte führt – vor allem: uneingeschränkt. Bei Hannover 96 ist das offenbar nicht mehr der Fall. Der Klub gefährdet damit den Erhalt der Bundesliga-Lizenz – sofern die Deutsche Fußball-Liga (DFL) ihre eigene Satzung ernst nimmt.
Natürlich hat das nächste sich abzeichnende Possenspiel vor allem mit Martin Kind zu tun. Jenem Hörgerätehersteller aus Großburgwedel, der den Begriff der Dreifaltigkeit neu definiert hat. Bei 96 ist Kind Vorsitzender des Stammvereins (e.V.), er führt die Geschäfte der Profifußballabteilung (die als Hannover 96 GmbH & Co. KGaA firmiert, einer Komplementärgesellschaft auf Aktien also), und Kind ist in der 96-Investorengruppe S&S (Sales & Service GmbH) der größte Anteilseigner plus Geschäftsführer.
Warum Kind nun versucht, die 50+1-Regel auszuhebeln, hängt eng mit einer DFL-Entscheidung aus dem Juli diesen Jahres zusammen. Da verweigerte das DFL-Präsidium dem Investor Martin Kind nämlich die mehrheitliche Übernahme des Klubs. Kind habe weniger in Hannover 96 investiert, als es für eine Übernahme nötig gewesen wäre, begründete das Gremium unter anderem. In der Konsequenz muss die Geschäftsführung bei Hannover 96 rein rechtlich weiterhin vom e.V. bestellt werden – und nicht vom Investor.
An diesem Punkt kommt nun die Hannover 96 Management GmbH ins Spiel, eine hundertprozentige Tochter des Stammvereins (e.V). Sie ist Komplementär an der KGaA und muss auf jeden Fall im vollständigen Besitz des Stammvereins bleiben, damit die 50+1-Regel gewahrt bleibt. Das bedeutet konkret, dass die Management GmbH nicht – wie von Martin Kind geplant – aufgekauft werden darf. Nur so ist sichergestellt, dass der e.V. die Geschäfte der KGaA leiten kann. Und es muss gewährleistet sein, dass dem Komplementär „die kraft Gesetzes eingeräumte Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis uneingeschränkt zusteht“. So steht es in der Satzung der DFL. Der Management GmbH darf also keiner reinreden.
Nun haben sie bei Hannover 96 die Macht der Management GmbH aber derart scharf begrenzt, dass von einer „uneingeschränkten“ Befugnis kaum mehr die Rede sein kann. Im neuen 96-Gesellschaftsvertrag vom 28. September, im Handelsregister Hannover unter der Nummer 58358 notiert, heißt es unter anderem, dass nahezu alle von der Management GmbH ausgehenden Geschäfte einer Zustimmung des KGaA-Aufsichtsrates bedürfen. Darunter fallen so zentrale Punkte wie die gesamte Investitions- und Finanzplanung, also auch Spielertransfers. Und falls die Management GmbH doch entgegen der Aufsichtsrats-Interessen handelt, ist jeder Aktionär – also die Investorengruppe S&S mit Kind – dazu berechtigt, sie aufzulösen.
Dass der Aufsichtsrat kontrolliert, klingt zwar logisch – allerdings sitzen darin nur zwei vom e.V. entsandte Vertreter. Und anders als in der vorherigen Satzung haben diese im Aufsichtsrat kein Stimmrecht. Das genießen nur die sechs weiteren Mitglieder, die von der Investorenseite bestimmt werden. Kurz gesagt: Die Geschäfte führen mit dieser Satzung die Geldgeber, nicht die vom e.V. entsandte Geschäftsführung.
Das mag derzeit in der Praxis keinen Unterschied machen, weil auf beiden Seiten ohnehin Martin Kind schaltet und waltet. Was aber kommt nach ihm? Wenn der e.V. einen anderen als Kind in die Management GmbH entsendet, die Investorenseite dem neuen Repräsentanten die Ausführung seiner Aufgaben aber beschneidet?
Weitere Fragen bleiben ebenfalls offen: Warum wurde den vom e.V. gestellten Aufsichtsräten das Stimmrecht entzogen? Wieso besteht die Möglichkeit, die Management GmbH aufzulösen, obwohl diese doch das Kernelement ist, damit die 50+1-Regel bei 96 gewahrt bleibt?
Martin Kind wollte sich auf Anfrage des Tagesspiegels dazu nicht äußern. Die DFL, Hüterin des Wettbewerbs und seiner Regeln, zuständig auch für die Lizenzvergabe, teilte ebenfalls mit, dass man öffentlich nichts mitteilen werde. Nur so viel: Ein Austausch finde mit Hannover 96 statt. Auf das Ergebnis darf man gespannt sein.
David Joram