Olympia-Bronze für Deutschlands Handballer: Volker Zerbe: "Wir sind jetzt immer ein Kandidat fürs Halbfinale"
Beim bis Sonntag letzten olympischen Medaillenerfolg deutscher Handballer war Volker Zerbe noch selbst dabei. Hier spricht er über die aktuelle Generation, den Wert des Edelmetalls, die neuen Regeln und Bundestrainer Sigurdsson.
Herr Zerbe, am Sonntag haben Deutschlands Handballer zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder eine olympische Medaille gewonnen, 2004 waren Sie noch selbst als Nationalspieler dabei, es waren ihre vierten und letzten Olympischen Spiele. Lassen sich diese beiden Erfolge vergleichen?
Eigentlich nicht. 2004 in Athen hatten wir nach der Niederlage gegen Kroatien das Gefühl, Gold verloren und nicht Silber gewonnen zu haben, auch wenn sich diese Wahrnehmung, zumindest bei mir, sehr schnell geändert hat. Das Finale war ein denkwürdiges und extrem knappes Spiel, vergleichbar mit dem Halbfinale von Rio gegen Frankreich, die Kroaten hatten damals auch so eine starke Generation wie die Franzosen. Ich weiß noch genau, dass wir nach dem Spiel alle am Boden zerstört waren. Das ist diesmal nicht der Fall, die deutsche Mannschaft hat Bronze gewonnen und allen Grund, das als großen Erfolg zu werten.
Im Januar ist das Nationalteam bereits Europameister geworden, jetzt hat es Bronze bei Olympia nachgelegt. Was sagt das über den deutschen Handball aus?
Die positive Entwicklung der letzten eineinhalb, zwei Jahre hat sich bestätigt. Der deutsche Handball ist wieder ganz oben angekommen und das Nationalteam auch in Zukunft bei jedem großen Turnier mindestens ein Kandidat für das Halbfinale, das ist entscheidend. Ob es dann immer auch für den Titel oder das Finale reicht, ist eine andere Geschichte, weil die Spitze im Welthandball so eng beieinander liegt, dass oftmals Kleinigkeiten entscheiden. Im Halbfinale gegen Frankreich hat man aber gesehen, dass die Deutschen die stärkste Generation des letzten Jahrzehnts richtig gefordert haben, in der Verlängerung hätten sie das Spiel sicher gewonnen, davon bin ich überzeugt. Grundsätzlich freue mich, dass die Sportart wieder den Stellenwert hat, der ihr zusteht.
Sie kennen Dagur Sigurdsson noch aus gemeinsamen Zeiten beim Bundesligisten Füchse Berlin, damals waren Sie sein Co-Trainer. Wie haben Sie den Bundestrainer während der Spiele in Rio erlebt?
Es steht ja außer Frage, dass Dagur einer der Erfolgsfaktoren dafür ist, dass sich der deutsche Handball wieder in die richtige Richtung bewegt. Er ist ein innovativer, kreativer Typ, der sich viele Gedanken über das Spiel macht und sehr vertrauensvoll mit seinen Spielern arbeitet. Mein Eindruck aus der Entfernung ist: Die Mannschaft hat seinen Input aufgesogen und umgesetzt, und das hat ihr eine erstaunliche Stabilität gegeben.
Der Bundestrainer hat die neuen Handball-Regeln, die pünktlich zu Beginn der Olympischen Spiele eingeführt wurden, so konsequent zu nutzen versucht wie kein anderer Coach und bei eigenem Ballbesitz fast immer mit einen zusätzlichen Feldspieler anstelle eines Torhüters eingewechselt. Wie haben Sie diese Neuerungen wahrgenommen?
Die Deutschen haben das über das ganze Turnier sehr gut genutzt und umgesetzt. Man wusste ja vorher nicht, wie die einzelnen Teams auf die Veränderungen reagieren würden. Trotzdem sage ich: Die Regel mit dem zusätzlichen Feldspieler hätte ich nicht gebraucht. Alle anderen Neuerungen sind okay, aber der siebte Feldspieler verändert die Statik des Spiels und alle bisher bekannten Taktiken enorm, deshalb tue ich mich damit ziemlich schwer.
Der Weltverband IHF argumentiert, dass das Spiel dadurch noch dynamischer, torreicher und damit auch attraktiver für den Zuschauer wird.
Das ist doch Quatsch, ich sehe diesen extremen Sprung nach vorn nicht. Wir haben auch so schon eine tolle, schnelle Sportart mit vielen technischen Kabinettstückchen, daher brauchte es diese Änderung aus meiner Sicht nicht.
Welchen Einfluss wird der siebte Feldspieler auf die Bundesliga haben, die im September beginnt?
Davon werden sicher einige Teams Gebrauch machen. Durch die neue Regel ist eine wesentlich größere taktische Vielfalt gegeben, die es Mannschaften ermöglicht, in schwierigen Situationen Lösungen zu finden, die es unter der alten Regel vielleicht nicht gegeben hätte. Andererseits kann man auch nicht einfach entscheiden, auf dieses Mittel zu setzen. Dafür braucht man schon die entsprechenden Spieler, die das auch können, nicht jedes Profil ist dafür geeignet. Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt.
Die Füchse Berlin beschäftigen vier deutsche Nationalspieler, die jetzt mit Bronze aus Rio zurückkehren – und damit die meisten aller Handball-Bundesligisten. Kann ihr Verein auch von dieser Medaille profitieren?
Eindeutig. Gerade unsere jungen Spieler aus dem eigenen Stall, also Paul Drux und Fabian Wiede, haben ein überragendes Turnier gespielt. Hinter Paul stand nach seiner schweren Schulterverletzung ja ein großes Fragezeichen, aber er hat das wirklich beeindruckend gelöst. Auch Silvio Heinevetter hat gezeigt, dass mit ihm zu rechnen ist, und Steffen Fäth wird dieses Ereignis und die Erfahrungen von Rio sicher auch mit in die Saison nehmen. Dieses positive Grundgefühl müssen wir jetzt konservieren.
Das Gespräch führte Christoph Dach.