Olympia-Halbfinale gegen Frankreich: Deutsche Handballer: Zurück in der Weltspitze
Bei der WM vor fünf Jahren hat Frankreich die Deutschen noch vorgeführt. Vor dem Halbfinale sehen sie sich nun auf Augenhöhe mit der Weltklasse-Mannschaft.
Das Spiel ging als Schmach von Kristianstad in die deutsche Handballgeschichte ein. Bei der WM 2011 in Schweden gingen die Deutschen in der Vorrunde gegen Frankreich 23:30 unter. Die Demütigung war nicht nur der Anfang vom Ende der Trainerlegende Heiner Brand; nach dem Vorrundenaus verkündete er seinen Abschied. Sie führte die deutsche Nationalmannschaft auch in eine ihrer schwersten Krisen, denn sie verpasste die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2012. Der Weg Frankreichs führte von Kristianstad aus auf den Olymp. Nach dem WM-Sieg gewann das Team auch in London Gold, die kroatische Handballlegende Ivano Balic nannte den Finalgegner „das beste Team aller Zeiten“.
Nun, fünf Jahre nach der Schmach von Schweden, treffen sich Franzosen und Deutsche im olympischen Halbfinale wieder (20.30 Uhr/ZDF). Doch eine so eindeutige Sache wie damals 2011 wird es in der Future-Arena von Rio vermutlich nicht werden. Bei den Franzosen bilden zwar immer noch Torhüter Thierry Omeyer, Nikola Karabatic, Luc Abalo und Daniel Narcisse die Säulen des Teams. Trainer Claude Onesta ist sowieso dabei, er hat Frankreich seit 2001 zur dominierenden Macht im Welthandball geformt. Als erste Mannschaft überhaupt gewann sein Team nacheinander die Weltmeisterschaft, die Europameisterschaft und die Olympischen Spiele.
Bei den deutschen Handballern hat sich dennoch die Überzeugung breitgemacht, es wieder mit dem besten Team der Welt aufnehmen zu können. „Die Franzosen haben bis jetzt hier in ihrer eigenen Liga gespielt, aber man geht auf gar keinen Fall mit dem Glauben ins Spiel, nicht gewinnen zu können“, sagt Bob Hanning. Der Vizepräsident des Deutschen Handballbundes (DHB) wähnt die junge deutsche Mannschaft nach dem überraschenden Europameistertitel und dem klaren Sieg im Olympiahalbfinale gegen Katar „zurück in der Weltspitze“: „Jetzt kann man sagen: Der Umbruch hat funktioniert.“
Berliner hatten entscheidenden Anteil
Hanning selbst hat maßgeblichen Anteil daran, er krempelte ab 2013 auf Funktionärsebene als DHB-Vizepräsident den deutschen Handball um und stieß wichtige Reformen an. Gegen den Widerstand vieler im Verband setzte der Manager der Füchse Berlin 2014 den Berliner Coach Sigurdsson als neuen Bundestrainer ein. Der Isländer trieb den Generationswechsel konsequent voran, verpasste seinen Talenten aber auch eine neue Mentalität. Mit knallharter Abwehrarbeit überzeugte Sigurdssons Mannschaft schon bei der WM 2015, bei der EM in Polen gelang die Sensation.
Während manche den überraschenden Triumph der selbsternannten „Bad Boys“ noch als Ausrutscher nach oben werteten, ist Sigurdsson schon länger von der dauerhaften Qualität seiner Spieler überzeugt. „Ich finde schon, dass wir eine klare Bestätigung nach der Europameisterschaft gegeben haben“, sagt er. „Nicht nur hier in Rio, auch bei den Testspielen wie gegen Dänemark. Wir haben über zwei Jahre ziemlich stabil gespielt.“
Die Gesichter der neuen deutschen Handballgeneration sind neben Torhüterstar Andreas Wolff und den Abwehrriesen Finn Lemke und Hendrik Pekeler auch die Berliner Paul Drux und Fabian Wiede. Beide zeigten in der Vorrunde starke Leistungen, Wiede spielte beim 34:22 im Viertelfinale gegen Katar überragend. „Wenn wir so spielen wie heute, sind wir den Franzosen ebenbürtig“, sagte der 22-Jährige danach selbstbewusst. „Wir haben uns gegen Katar sehr viel Selbstvertrauen geholt, den Schwung wollen wir mitnehmen.“
Auch Andreas Wolff glaubt daran, die Übermannschaft der vergangenen Dekade ablösen zu können. Frankreichs Team sei trotz des kleinen Umbruchs zwar „eine hohe Hürde. Omeyer, Narcisse und Karabatic können Spiele immer noch im Alleingang entscheiden“. Doch die deutsche Mannschaft sei inzwischen eine hervorragende Einheit. „Wir agieren in den entscheidenden Situationen in der Abwehr als Team“, sagt der Torhüter. „Keiner nimmt sich Extrawürste, jeder fokussiert sich auf seine Aufgabe. Wenn das so klappt, sind wir ein ernst zu nehmender Gegner – auch für die Franzosen.“
Dem will Dagur Sigurdsson gar nicht widersprechen. „Sicherlich ist Frankreich vom Papier her sehr, sehr stark“, sagt er. Aber natürlich glaubt er an seine Chance, den dritten Olympiasieg der Franzosen in Folge zu verhindern. Der Bundestrainer wird seine Mannschaft wie immer gewissenhaft auf den Gegner vorbereiten, schon direkt im Anschluss ans Viertelfinale begann er mit dem Videostudium. „Wir müssen gegen sie alles geben, um etwas zu holen. Und nach dem Frankreich-Spiel werden wir dann wissen, wo wir stehen.“ Im schlimmsten Fall wird es das Spiel um Bronze sein.