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Und dann verschwindet der Schiedsrichter plötzlich. Davie Selke stand schon zur Ausführung des Elfmeters bereit, als sich der Videoassistent zu Wort meldete.
© imago/Jan Huebner

Fußball-Bundesliga: Videobeweis: Und es wird noch schlimmer

Mainz, Schalke, Frankfurt: In den vergangenen Tagen gab es wieder einmal große Aufregung um den Videobeweis – und die kniffligen Entscheidungen am Ende der Saison kommen noch.

Für Fredi Bobic war der Samstag im Stadion alles andere als ein erbauliches Erlebnis. Seine Mannschaft, Eintracht Frankfurt, kassierte im Kampf um einen Europapokalplatz eine bittere Niederlage. Sie ließ viele Chancen ungenutzt, kassierte drei Gegentore und musste auch noch einen Platzverweis gegen Makoto Hasebe hinnehmen. Aber auch dieser gebrauchte Nachmittag hielt für Frankfurts Sportvorstand Bobic einen Moment echter Freude bereit. Das war nach einer guten Stunde, als Schiedsrichter Sascha Stegemann zum Monitor an der Seitenlinie eilte, um den Zweikampf zwischen Hasebe und Davie Selke noch einmal zu begutachten, den er zunächst für elfmeterwürdig befunden hatte. „Ich dachte mir: Super, das ist kein Elfmeter“, berichtete Bobic später.

Doch mit der Freude war es schnell wieder vorbei. Stegemann blieb bei seiner Entscheidung, Selke brachte Hertha BSC in Führung – und Bobic erst recht auf die Palme: „Das ist ja der Wahnsinn. Wahrnehmungsfehler vom Schiedsrichter verstehe ich. Aber wenn der Puls runtergeht, wie beim Biathlon am Schießstand, und der Schiedsrichter sich das noch mal in Ruhe anschaut – dann noch einmal das Gleiche zu sehen, das hat er exklusiv.“

Ja, es hat auch an diesem Wochenende wieder große Aufregung um den Videobeweis gegeben. Und, nein, daran wird sich wohl auch bis Saisonende nichts mehr ändern. Vielleicht wird es sogar noch schlimmer, jetzt, da die großen Entscheidungen anstehen, da ein falscher Pfiff über Titel oder Abstiege entscheiden kann. Das Problem hat verschiedene Ebenen, die sich jedoch nicht immer klar voneinander trennen lassen, sondern sich überschneiden.

DIE EMOTIONALE EBENE

Es hat schon fast etwas Folkloristisches: Wenn die Intervention des Videoassistenten zur Revision einer Entscheidung führt, setzt in deutschen Stadien die große Verbrüderung ein. Menschen, die sich sonst Pest und Rattenplagen an den Hals wünschen – also Schalker und Dortmunder, Kölner und Gladbacher, Bremer und Hamburger – verbünden sich gegen den großen Feind namens Deutscher Fußball-Bund. „Fußballmafia DFB!“, tönt es dann durchs Rund, selbst von denen, die von der Entscheidung profitiert haben.

Tore werden bejubelt, die Torjingles eingespielt, der Schütze vom Stadionsprecher verkündet – und plötzlich wird alles wieder auf Null gestellt. Kaum ein Fan traut sich noch, richtig aus sich herauszugehen. Stattdessen geht der Blick bänglich zum Schiedsrichter: Hält er sich den Zeigefinger ans Ohr oder nicht?

Auch für die Spieler ist es eine neue Erfahrung. Frankfurts Torhüter Lukas Hradecky stand am Samstag in Erwartung des Elfmeters für Hertha BSC schon auf der Linie. Der Ball lag auf dem Punkt, als der Schiedsrichter plötzlich Richtung Mittellinie stürmte. „Das ist natürlich hässlich“, sagte Valentino Lazaro.

Im Stadion geht die Unmittelbarkeit verloren, die das Stadionerlebnis eigentlich ausmacht. Damit greift der Videobeweis, anders als ursprünglich versprochen, massiv in den Charakter des Spiels ein. Der „Kicker“ hat vorige Woche geschrieben: „So verliert der Fußball seine Seele.“ Und Fredi Bobic verkündete nach der nachträglich verhängten Roten Karte gegen seinen Mittelfeldspieler Gelson Fernandes im Pokal-Halbfinale gegen Schalke: „Ist nicht mehr mein Fußball. Tut mir leid.“

Einen Extremfall gab es vor einer Woche in der Halbzeit des Spiels Mainz gegen Freiburg. Die Spieler waren schon im Kabinengang, die Zuschauer auf dem Weg zu den Bierständen – als der Schiedsrichter auf Empfehlung aus Köln einen Elfmeter für Mainz verhängte. Juristisch war das korrekt, weil a) ein strafbares Handspiel des Freiburgers Marc Oliver Kempf vorgelegen hatte und b) der Schiedsrichter das Feld noch nicht verlassen hatte. „Am Ende ist eine korrekte Entscheidung zustande gekommen“, hat Lutz Fröhlich, der Schiedsrichter-Chef des DFB, in einem Interview mit dem ZDF gesagt. Das sei positiv. Aber: „Der Ablauf war unglücklich.“

DIE JURISTISCHE EBENE

Womit wir auf der zweiten Ebene wären. Nicht alles, was juristisch korrekt ist, findet die Zustimmung der Beteiligten und des Publikums – weil es ihrem Rechtsempfinden widerspricht. Es wird zum Beispiel auch weiterhin irreguläre Tore geben, weil der Videoassistent in bestimmten Fällen nicht nachträglich eingreifen darf. Das ist politisch so gewollt, weil die Maxime lautet: Minimaler Eingriff, maximaler Erfolg.

Ein exemplarischer Fall war der zweite Aufreger der vergangenen Woche, als Franco Di Santo im Pokal-Halbfinale zwischen Schalke und Frankfurt in der Nachspielzeit das vermeintliche 1:1 erzielte. Die TV-Bilder sprachen dafür, dass es ein regulärer Treffer des Schalkers gewesen war; dass er den Ball vor seinem Schuss mit der Brust angenommen hatte und nicht mit dem Oberarm. Schiedsrichter Robert Hartmann aber hatte ein Handspiel wahrgenommen und das Spiel daraufhin sofort abgepfiffen – noch bevor der Ball die Torlinie überschritten hatte. Das ist der entscheidende Punkt, warum die Szene nachträglich nicht mehr vom Videoassistenten begutachtet werden konnte, ungeachtet der Tatsache, dass die Frankfurter keine Chance mehr hatten, den Ball auf dem Weg ins Tor aufzuhalten.

DIE PSYCHOLOGISCHE EBENE

Robert Hartmann hätte in Schalke nur einen Sekundenbruchteil mit seinem Pfiff warten müssen, dann wäre alles gut gewesen. Aber: „Das ist eine große Herausforderung für die Schiedsrichter“, sagt Lutz Fröhlich. „Sie sind seit Jahrzehnten gewohnt, das, was sie unmittelbar auf dem Platz sehen, auch zu entscheiden.“

Andererseits kann es ein psychologisches Problem sein, wenn die Schiedsrichter wissen, dass es noch ein Fangnetz gibt. Vor zwei Wochen, bei Herthas Niederlage in Mönchengladbach, ließ Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus nach einem klaren Foul von Fabian Lustenberger im eigenen Strafraum weiterspielen – und korrigierte sich nach Ansicht der Fernsehbilder. Herthas Trainer Pal Dardai mutmaßte, sie habe bewusst von einer Ad-hoc-Entscheidung abgesehen, weil sie im Hinterkopf gehabt habe, dass sie die Situation ja noch einmal begutachten könne. Genau so aber soll es nicht sein, weil jeder nachträgliche Eingriff als störend empfunden wird.

Auch deshalb wurde in der Winterpause noch einmal klar gemacht, dass der Videobeweis nur bei offensichtlich klar falschen Entscheidungen bemüht werden soll. Der Samstag in Frankfurt war hingegen ein Rückfall in alte Zeiten. Natürlich gingen sowohl dem Elfmeter als auch Herthas 2:0 strittige Entscheidungen voraus; es war aber schnell zu erkennen, dass es keine krassen Fehlentscheidungen gewesen waren. Damit gab es für den Videoassistenten keinen Grund einzugreifen. Er tat es trotzdem. „Wir sind in einem Lernprozess“, sagt Lutz Fröhlich. Zu diesem Prozess gehört unter anderem, dass die Schiedsrichter lernen müssen, ihre Fehler zu akzeptieren – auch wenn das ziemlich viel verlangt ist.

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