0:5 bei Borussia Mönchengladbach: Verspielt Hertha BSC die Champions League?
Herthas 0:5-Debakel in Mönchengladbach weckt Zweifel an der mentalen Robustheit des Teams. Zu Unrecht, glaubt Trainer Pal Dardai. Nur gegen Spitzenteams sieht er ein Problem.
Man muss die Kirche im Dorf lassen: Zuletzt ging es um den Klassenerhalt, da ist die Champions League kein wirkliches Ziel, von dem man sich verrückt machen lassen sollte. Also einfach weiter arbeiten, und am Ende der Saison wird man sehen, was heraus springt.
schreibt NutzerIn daemmi
Nico Schulz trug seine knapp zwei Jahre alte Tochter auf dem Arm und irrte ein wenig unschlüssig durch die Gänge. Vor dem Eingang zum Trakt der Berliner blieb er stehen. Es schien, als traute er sich nicht, den entscheidenden Schritt zu tun. Vielleicht fürchtete der frühere Berliner, dass man schon seine bloße Anwesenheit bei Hertha BSC als Provokation empfinden würde. 5:0 hatte sein aktueller Arbeitgeber Borussia Mönchengladbach gegen seinen früheren Arbeitgeber gewonnen; nach Gesellschaft der Sieger stand Herthas Fußballern vermutlich wirklich nicht der Sinn. Das große Wiedersehen mit den alten Kollegen fand für Schulz am Sonntagnachmittag nicht statt. Nur Trainer Pal Dardai blieb auf dem Weg in die Kabine kurz stehen, sah seinen früheren Spieler mit seiner Tochter und sagte: „Nicht schlecht. Gute Arbeit.“ Dann verschwand er.
Gute Arbeit war so ziemlich das Letzte, was man den Spielern von Hertha BSC nach der Niederlage im Gladbacher Borussia-Park nachsagen konnte. Im Gegenteil: Die Berliner hatten sich ausnahmsweise einmal richtig gehen lassen. Dardai fand in der Nacht nach dem Spiel nur schwer in den Schlaf, nach zweieinhalb Stunden war er schon wieder wach, danach wälzte er die Gedanken. Der Aufritt seines Teams habe ihn an einen grundsoliden und vernünftigen Typen erinnert, der plötzlich zur Überraschung seiner Frau total besoffen nach Hause komme. „Ab und zu kann so etwas passieren. Jede Mannschaft hat pro Saison so ein Spiel“, sagte der Ungar nach der höchsten Niederlage unter seiner Verantwortung. „Ein Problem hast du nur, wenn es zwei oder drei Mal passiert.“
Dardai hofft auf einen Lerneffekt
Nach dem bisherigen Saisonverlauf deutet nichts darauf hin, dass die Mannschaft schon das nächste Besäufnis plant und ein weiterer totaler Absturz droht. Der Kater danach dürfte sich disziplinierend auf das Team auswirken. „Ich glaube, die Gefahr besteht nicht“, sagte Dardai. Zumal die Mannschaft ausreichend nachgewiesen hat, dass sie über gesunde Reaktionskräfte verfügt. Den bisherigen Niederlagen in dieser Saison ließ Hertha sechs Siege und ein Unentschieden folgen. „Die Jungs sind ehrgeizig und zielstrebig. Bis jetzt waren immer Verbesserungen erkennbar“, sagte Dardai. „Aber ich erkenne keine Verbesserungen gegen Top-Mannschaften. Das ist das, was mich beschäftigt.“ In insgesamt fünf Versuchen haben die Berliner noch bei keinem der acht Europapokalanwärter gepunktet, und von den letzten sechs Gegnern dieser Saison stehen drei – Bayern, Leverkusen, Mainz – aktuell unter den Top sechs. Dazu spielt Hertha noch im Pokal-Halbfinale gegen den mutmaßlichen Vizemeister Borussia Dortmund.
So hoffen sie bei Hertha vor allem auf einen positiven Effekt der schmerzhaften Niederlage in Mönchengladbach. „Vielleicht war das ein Warnschuss zur rechten Zeit, der die Sinne schärft, dass wir wieder mehr investieren müssen“, sagte Kapitän Fabian Lustenberger. Auch Pal Dardai hofft, dass die Erfahrungen vom Sonntag „einen Riesen-Lerneffekt“ zur Folge haben. Besser einmal eine richtige Klatsche als ein knappes 0:1, das man dann auch noch irgendwie schönreden könne. „Jetzt hört jeder wieder gut zu“, sagte Dardai. Die Besprechung am Montag dauerte schon mal eine halbe Stunde, anschließend mussten die Spieler fünf 1000-Meter-Läufe abreißen. Den Dienstag gab Dardai der Mannschaft frei: „für die Köpfe“.
Hertha konnte sich Gladbachs Wucht nicht erwehren
Es liegt ja auf der Hand, dass nach einer solchen deprimierenden Niederlage, gerade gegen einen direkten Konkurrenten, Fragen nach der seelischen Robustheit der Mannschaft aufkommen: Wird der Druck für Hertha so kurz vor dem Ziel jetzt doch zu groß? Bekommen die Spieler jetzt, da sie etwas zu verlieren haben, Angst vor der eigenen Courage? Die Niederlage gegen die Gladbacher wurde zwar durch einen Aussetzer des Torhüters Rune Jarstein eingeleitet, die Defizite waren jedoch vor allem fußballerischer Natur. „Die ganze Mannschaft war in einer schlechten Verfassung“, bekannte Stürmer Salomon Kalou. Der Wucht der Gladbacher und ihren frühen Attacken wusste sich Hertha nicht zu erwehren.
Kapitän Lustenberger glaubt trotzdem nicht, dass diese Niederlage das Team aus der Bahn werfen werde. „Die Situation ist nichts Neues für uns“, sagte er. „Wir haben bewiesen, dass wir dem Druck da oben standhalten können.“ Seit dem 16. Spieltag steht Hertha – bis auf eine Ausnahme – auf Platz drei. Das ist auch nach dem 0:5 in Mönchengladbach noch so. Und beim Blick auf den Spielplan werden die Berliner längst festgestellt haben, dass die Gefahr, in einen Negativstrudel hineinzugeraten, erst einmal nicht besonders groß ist. Am Freitag kommt der Tabellenletzte Hannover 96 ins Olympiastadion.