Mobbing, Machtkämpfe, Missmanagement: Verspielt der FC Barcelona seine Magie?
Der FC Barcelona feiert lieber ein Messi-Jubiläum, als sich der Gegenwart zu stellen. Denn die ist geprägt von erbitterten Machtkämpfen – und dem „Barça-Gate“.
Es ist hart, in diesen Zeiten Barça-Fan zu sein. Nicht nur wegen der Coronavirus-Krise, auch wenn sie die Misere des FC Barcelona noch schmerzlicher macht. Lionel Messi dribbelt lediglich im Hausflur für Instagram mit einer Klopapierrolle, mehr zu lachen gibt es für die weltweite Barça-Gemeinde derzeit nicht. Der traditionelle und stolz getragene Spitzname „Culer“ für den Barça-Fan, „Arsch“ heißt das auf Deutsch, beschreibt jetzt eher einen sarkastischen Gefühlszustand. Oder auch einen depressiven.
Der Fußballverein mit dem Anspruch, der beste der Welt zu sein, wird seit Monaten von Intrigen, Machtkämpfen und Missmanagement erschüttert. Da verwundert wenig, dass die Mannschaft in dieser Saison oft bleiern gespielt hat. Droht Barça etwa abzurutschen ins Mittelmaß, wie der einst große AC Mailand oder der FC Arsenal? Noch, so scheint es, steht Er dagegen, der größte Fußballzwerg der Welt, Seine Heiligkeit Lionel Messi. Und so wurde dieser Tage ein für diesen Klub besonderes Jubiläum gefeiert. Sein erstes Tor für Barça – erzielt am 1. Mai 2005, vor 15 Jahren.
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Auch Er kommt also in die Jahre, im Juni steht der 33. Geburtstag an, für die Fans überhaupt kein Grund zum Feiern. Umso schlimmer ist, wie im Verein mit Ihm umgegangen wird. Wenn irgendetwas die Krise des FC Barcelona verdeutlicht, dann ist es der eigentlich unvorstellbare Versuch, Ihn zu mobben. Als würde es eine Weltreligion wagen, ihren Gott anzurempeln.
Der Skandal wird in Barcelona denn auch „Barça-Gate“ genannt, das ist nicht weniger als der Vergleich mit der Watergate-Affäre, die einst den US-Präsidenten Richard Nixon das Amt kostete. Im Februar kam heraus, dass der Verein mit einer Agentur namens „13 Ventures“ kooperiert hatte, die in den sozialen Medien Messi schlechtredete. Da wurde behauptet, der Argentinier würde seine Vertragsverlängerung verheimlichen, um den Verein zu destabilisieren.
Das Mobbing traf auch andere Helden wie den früheren Barça-Trainer Pep Guardiola – „er kann so wenig Autofahren wie eine Champions League ohne Messi gewinnen“ – und den Abwehrspieler Gerard Piqué. Warum die Agentur das tat, bleibt nebulös. Angeblich bekam sie für ihr Treiben auch noch eine Million Euro. Wollte Vereinspräsident Josep Bartomeu die Krise, in der Barça steckt, auf andere abwälzen?
Wie sehr Messi getroffen war, zeigte eine kaum vorstellbare Reaktion: Er gab ein Interview. „Für mich ist das eine wirklich seltsame Angelegenheit“, sagte Messi der Sportzeitung „Mundo Deportivo“. Er stellte öffentlich infrage, was Barça-Präsident Bartomeu ihm, Piqué und zwei weiteren Spielern gesagt hatte. Nämlich, dass er mit den Mobbing-Attacken nichts zu tun habe.
Messi hatte daran Zweifel. Auch das war unglaublich. Nie zuvor hatte er öffentlich gegen die Spitze des Vereins rebelliert, für den er seit seinem 14. Lebensjahr spielt. Barça-Fans hielten den Atem an. ER wird doch nicht im Sommer gehen, wenn er ablösefrei wechseln könnte. Der Gedanke wurde verdrängt. Doch Messi bleibt unruhig.
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Im März beschwerte er sich über Gerüchte, die offenbar aus dem Verein in Umlauf gebracht worden waren. Demnach hätten Messi und die anderen Spieler der ersten Mannschaft wegen der Coronavirus-Krise nur auf 30 Prozent ihres Gehalts verzichten wollen. Statt auf mehr als 70 Prozent, wie es letztlich bei den Verhandlungen zwischen den Spielern und der Vereinsspitze vereinbart wurde.
„Es hört nicht auf uns zu überraschen, dass es innerhalb des Klubs Leute gibt, die uns unter die Lupe nehmen und versuchen, uns unter Druck zu setzen, damit wir etwas tun, bei dem wir schon immer klar vor Augen hatten, dass wir es tun würden“, verkündete Messi bei Instagram. Anfang April kam dann etwas Entwarnung, wenn auch grollend. Messi teilte mit, wieder über Instagram, die Gerüchte, er werde zu Inter Mailand wechseln, seien eine Lüge. Die Barça-Fans konnten aufatmen. Für den Moment.
Die Vereinskrise ist keineswegs ausgestanden. Am 9. April traten zwei Vizepräsidenten und vier weitere Mitglieder des Vorstands zurück, vor allem wegen Barça-Gate. Es war offenkundig auch ein Protest gegen den zunehmend unbeliebten Präsidenten Bartomeu. Ein zurückgetretener Vize beschuldigte ihn, vom Mobbing gegen Messi, Guardiola und Piqué gewusst zu haben. Bartomeu bestreitet und will auch nicht zurücktreten. Barça verharrt im Stress. Und das während der Coronavirus-Krise.
Sie böte eigentlich Zeit zum Nachdenken. Warum schafft es der Verein nicht, in der Mannschaft den überfälligen Generationenwechsel einzuleiten? Warum gelingt es nicht, ein Megatalent wie Ousmane Dembélé vor ständigen Verletzungen zu bewahren? Warum schafft es Antoine Griezmann nicht, seine Torflaute zu überwinden? Zur Erinnerung: Dembélé und Griezmann kosteten beide zusammen weit mehr als 200 Millionen Euro.
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Und geradezu peinlich erscheint, dass Barça im Februar rasch einen Stürmer nachkaufen musste, weil auch Luis Suárez verletzt ausfiel. Dank einer Ausnahmeregel des spanischen Verbands konnte der Verein jenseits der Transferperiode dem abstiegsbedrohten Erstligisten CD Leganés den Dänen Martin Braithwaite wegreißen. Ohne den halbwegs torgefährlichen Braithwaite dürfte Leganés geliefert sein, sollte die Saison regulär zu Ende gespielt werden.
Solche Geschichten kratzen am Barça-Image, „més que un club“ zu sein, mehr als eine der seelenlosen Kommerzmaschinen wie Paris Saint-Germain und Manchester City. Doch ein Umbruch, ein Aufbruch zurück zu den goldenen Zeiten, als Pep Guardiola und das Team mit dem magischen Trio Messi, Iniesta und Xavi insgesamt 14 Titel holten, darunter zweimal den Henkelpott der Champions League, ist erst einmal nicht in Sicht. Der Verein hat im Januar den ideenlosen Trainer Ernesto Valverde gefeuert und Quique Setién eingestellt, der zuvor beim mittelmäßigen Erstligisten Betis Sevilla rausgeflogen war.
Kürzlich wurde auch noch verkündet, die Rechte am Stadionnamen Camp Nou sollen an einen Sponsor verkauft werden. Mit dem erhofften Geld sollen – angeblich – Forschungsprojekte gegen das Coronavirus unterstützt werden. Barça-Fans vermuten, der heilige Name Camp Nou werde früher oder später verscherbelt, damit der Klub die astronomischen Gehälter für Ihn, die weiteren Stars und die Modernisierung des maroden Stadions bezahlen kann, die mehrere hundert Millionen Euro kosten soll.
Kein Lichtblick, nirgends? Doch. Der erste: Marc-André ter Stegen. Dem coolen Blonden aus Mönchengladbach, wegen seiner Wahnsinnsparaden „Messi mit Handschuhen“ genannt, ist maßgeblich zu verdanken, dass Barça in der Ligatabelle auf Platz eins steht und noch in der Champions League vertreten ist. Allerdings sind die Verhandlungen über eine Verlängerung seines 2022 endenden Vertrags ins Stocken geraten. Offizieller Grund ist die Coronavirus-Krise. Aber es soll auch ums Gehalt gehen.
Lichtblick zwei ist Ansu Fati, 17 Jahre alt. Gleich beim ersten Einsatz, er war noch 16, dribbelte Fati unbekümmert drauflos. Bald schoss er die ersten Tore und fiel Messi in die Arme. Der quirlige Junge entstammt der legendären Barça-Jugendakademie La Masia, da waren einst auch Messi, Iniesta, Xavi, Piqué.
Ansu verkörpert derzeit als Einziger die alte Barça-Tugend, eher auf den eigenen Nachwuchs zu setzen als weltweit teuer einzukaufen. Ansu steht für die Zukunft von „més que un club“. So lange bis ihn, es gibt Gerüchte, womöglich Borussia Dortmund kauft.