Neuer Trainer an der Alten Försterei: Urs-Korrektur bei Union Berlin
Der neue Coach Urs Fischer soll beim Berliner Zweitligisten viel verändern - wie schon bei den Stationen zuvor. Das Porträt eines Erfolgstrainers.
Es wäre für ihn ein Leichtes gewesen, ein bisschen Arroganz zu zeigen. Urs Fischer hätte keine Ausnahme gebildet, wenn er seine großartigen Erfolge hervorgehoben hätte; zwei Meistertitel und ein Pokalsieg waren es in zwei Jahren beim FC Basel. Nach Ablauf der Saison 2016/17 wies sein Team sogar 17 Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten Youngs Boys Bern aus. Es wäre also tatsächlich ein Leichtes gewesen, seine Überlegenheit in schmucke Worte zu kleiden. Fischer ließ es trotzdem sein. Der neue Trainer des 1. FC Union, der am Sonntag die Zweitliga-Saison gegen Erzgebirge Aue eröffnet (15.30 Uhr, Alte Försterei und live bei Sky) ist halt kein Lautsprecher.
Eine seiner großen Qualitäten ist es, die Sache stets über eigene Interessen zu stellen. Auch das macht ihn zu einem gradlinigen, bodenständigen Trainer. Wenn auch mit lauter Stimme und kernigen Ausdrücken, wie sein entschuldigendes „Äxgüsi“, das er so gern in die Medienräume der Schweiz schmetterte. Fischer arbeitet Fußball und ist viel mehr hemdsärmelig als brillant. Er hat sich auf ehrliche Art hochgearbeitet und sein Schaffen bis heute als Privileg verstanden. Auch dann noch, als er mit dem FC Basel in der Schweiz ganz oben ankam.
Urs Fischer eilte niemals ein Ruf voraus
Im Juli 2015 wurde er als Gegenentwurf für den weltgewandten Paulo Sousa verpflichtet. Dem Portugiesen eilte der Ruf als Weltklassespieler voraus, der für offensiven Fußball stand, nach nur einem Jahr aber Richtung Florenz weiterzog. Kann Fischer Basel? Das war damals der erste öffentliche Reflex. Hat er das Format für den erfolgsverwöhnten FC Basel, der seit Jahren die Konkurrenz in Grund und Boden gespielt hatte? Fragen, die sich nicht zum ersten Mal in der Trainer-Karriere des heute 52-Jährigen stellten.
Auch als der Nachwuchs-Verantwortliche 2010 beim FC Zürich zum Cheftrainer befördert wurde, äußerten die Experten Skepsis. Nur beim kleinen FC Thun im beschaulichen Berner Oberland war das nie ein Thema. Es kam erst wieder auf den Tisch, als Fischer beim Branchenführer in Basel unterschrieb. Zwei Jahre, 102 Spiele und drei Titel später ist klar: Fischer war genau der richtige Mann. In seinen zwei Saisons führte er die Schweizer Super-League-Tabelle in 71 von 72 möglichen Runden an – es waren schweizerische Pep-Guardiola-Sphären.
Bereits seit 34 Jahren im Fußball-Geschäft
Seit 34 Jahren ist Fischer nunmehr im Fußball-Geschäft. Von 1984 bis 2003 war er Spieler, danach Trainer. Mit 545 Einsätzen hält er die Bestmarke in der höchsten Schweizer Spielklasse. In der Nationalmannschaft reichte es für den ehemaligen Innenverteidiger allerdings dennoch nur zu vier Länderspielen. Man weiß, dass er mit seinen Spielern stets einen respektvollen Umgang pflegt, gerne rotiert und dass 4-2-3-1 seine bevorzugten Systemzahlen sind.
Ebenso gesichert ist die Erkenntnis, dass Fischer eher resultatorientiert spielen lässt. Wenn er zwischen Sicherheit und Mut wählen kann, entscheidet er sich immer für Sicherheit. Vor allem zum Ende seiner Baseler Zeit wurde ihm das negativ ausgelegt. Genau so wenig gefiel, dass Fischer die internationalen Ziele kläglich verpasste. Die Sehnsucht nach magischen Nächten in der Champions League konnte er nicht erfüllen, dabei war das Basler Fußballvolk so verwöhnt worden in den Jahren zuvor, unter anderem mit Siegen über Manchester United und den FC Liverpool.
Auch im Umgang mit jungen Spielern tat sich Fischer schwer. Aus Talenten gestandene Profis zu formen, die idealerweise Millionen in die Klubkasse spülen, war nicht sein Ding. Fischer produzierte keinen Granit Xhaka oder Xherdan Shaqiri. Xhaka wechselte im Jahr 2012 für 8,5 Millionen Euro zur Borussia nach Gladbach, die Bayern sollen im gleichen Sommer 11,8 Millionen Euro plus Folgezahlungen für Shaqiri überwiesen haben. Aber man weiß heute auch, dass Fischer gestandene Spieler besser macht: Mohamed Elyounoussi, Manuel Akanji oder der der neue Gladbacher Michael Lang profitierten in der Ära Fischer.
Über sein Privatleben ist wenig bekannt
34 Jahre lang war Fischer auf Schweizer Fußballplätzen beschäftigt, dennoch ist über den Menschen nur wenig bekannt. Sein Privatleben hat er in der Öffentlichkeit selten bis nie ausgebreitet. Sein Zuhause hat er in Affoltern aufgeschlagen, trotz der unmittelbaren Zentrumsnähe ein Stadtteil Zürichs mit altem Dorfkern, Riegelbauten und Bauernhöfen. Dort lebt Fischer mit seinem Drei- Mädel-Haushalt, also seiner Frau Sandra und den erwachsenen Töchtern Riana und Chiara. Riana hat die Gene des Vaters im Blut und spielt Fußball. Sie trägt die Nummer 14, wie es auch Fischer bei seinen Stationen als Spieler tat. Chiara dagegen teilt ihre Liebe mit dem Pferdesport.
Im Frühling 2017 ging der FC Basel in neue Hände über. Präsident Bernhard Heusler verkaufte den Klub an den Basler Unternehmer Bernhard Burgener. Für die Umsetzung des neuen Konzepts kam man zum Schluss, dass man auch auf der Position des Trainers neue Akzente setzen wollte. Die Zeit von Fischer war abgelaufen – Meistertitel hin oder her.
Jetzt eben Union Berlin. Fischer hat nie im Ausland gearbeitet. Und schon ist sie wieder da, die Frage: Kann er auch Bundesliga? Der Zürcher konnte Zürich, Thun und Basel. Vielleicht sollte man die Frage inzwischen umformulieren: Urs Fischer kann das – warum denn nicht?
Eva Tedesco