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Müllers zwanghafte Versuche den Ball ins Tor zu schießen enden leider immer im Nichts. Vor allem in dieser EM.
© imago/Pressefoto Baumann

Thomas Müller ohne Tor-Glück: Unter Druck trifft Müller bestimmt

Thomas Müller rackert, allein ein Tor will ihm nicht gelingen. Doch jetzt kommen die wichtigen Spiele, die stets den besten Müller zum Vorschein brachten. Wendet sich das Blatt nun?

Thomas Müller hat am Dienstag ein interessantes Angebot erhalten. Ob er nicht ein bisschen Zusatztraining machen und sich ein paar Kniffe zeigen lassen wolle, wurde der Offensivspieler der deutschen Nationalmannschaft gefragt. Dass Müllers Spiel gerade gewisse Defizite aufweist, ist offensichtlich. Fünf Spiele sind bei der Europameisterschaft gespielt, und bisher hat Müller, der die Bundesligasaison beim FC Bayern mit einem persönlichen Rekord (20 Tore) abgeschlossen hat, noch kein einziges Mal getroffen. Das Angebot zum Zusatztraining kam allerdings von einer Journalistin aus China und bezog sich auf Müllers Spiel an der Tischtennisplatte.

Müller hat dankend abgelehnt. Er war vor einem Jahr mit den Bayern in China, hat dort mit früheren Weltmeistern und dem aktuellen Trainer des chinesischen Nationalteams trainiert. „Er hat mir ein paar Kniffe gezeigt“, hat Müller erzählt. „Ich bin gut gerüstet.“ Über seine Qualität im Torabschluss würde er vermutlich genau das Gleiche sagen. Die Frage ist nur, ob man ihm das noch glauben kann.

„Ein Tor würde mir Ruhe geben“

Wann spielt Schweinsteiger von Beginn an? Wann trifft Müller? Das sind die Großthemen, mit denen Bundestrainer Joachim Löw bei der EM immer wieder konfrontiert wird. „Sorge macht mir das nicht“, hat Löw zuletzt noch einmal über Müllers Torlosigkeit gesagt. „Von solchen Dingen lässt er sich nicht so runterziehen.“ Dabei begleitet das Thema den Münchner inzwischen durch das Turnier. Ist ja auch seltsam: Bei Weltmeisterschaften hat Müller in 13 Spielen zehn Tore erzielt, bei Europameisterschaften weiterhin kein einziges. Je länger die EM dauert, desto mehr hat das Ganze etwas von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Mit jedem Spiel wird das Raunen lauter, verfestigt sich die Erwartung zur Gewissheit, dass das wohl nichts mehr werden wird. „Ein Tor würde mir Ruhe geben“, sagt Müller, „dann müsste ich keine Fragen mehr beantworten.“

Müller hat auch noch den Elfmeter verschossen

Am Wochenende hat sich die Situation noch einmal zugespitzt. Im Viertelfinale gegen Italien hatte sich Müller mit einer Körpertäuschung seines Gegenspielers entledigt, an der Strafraumgrenze kam er beinahe unbehelligt zum Schuss. Der Ball flog tatsächlich Richtung Toreck, Gianluigi Buffon war bereits geschlagen, aber dann schlich sich Alessandro Florenzi noch ins Bild und wischte den Ball irgendwie mit der Hacke noch ins Toraus. Dass Müller später auch noch im Elfmeterschießen scheiterte, passte in seine persönliche EM-Geschichte. Von außen betrachtet haftet seinen Bemühungen inzwischen schon etwas Verzweifeltes an. Er selbst empfindet das nicht so: „Nee, es bringt mich nicht um.“

Müller - eine Kombinationsmaschine

Thomas Müller ist ein Fußballer, wie es ihn vermutlich kein zweites Mal auf der Welt gibt. Er ist keine Kombinationsmaschine, wie sie die Nachwuchsleistungszentren der Bundesliga mit hoher Verlässlichkeit ausspucken. Keiner, der jeden Ball mit der gleichen Temperatur auf Reisen schickt. Bei ihm holpert und poltert es auch mal. Dafür erschließt er mit seinem Instinkt Räume, auf die niemand sonst käme. Er läuft skurrile Wege – und steht plötzlich frei vor dem Tor. Auch deshalb hat man immer gedacht, Müller definiere sich vor allem über seine Tore. Bei der EM muss der 26-Jährige derartige Vermutungen nun nach jedem Spiel aufs Neue dementieren.

„Gefühlt wird nicht so wirklich geglaubt, dass ich nicht so von meinen Toren abhängig bin“, hat er schon nach dem Achtelfinale zu den Journalisten gesagt. „Aber ich bin bisher mit meinem und mit dem Turnier der Mannschaft zufriedener, als ihr vielleicht denkt.“ Müller rackert und ackert, er hilft in der Defensive und hat damit auch seinen Anteil, dass die Mannschaft im Halbfinale steht. Am Donnerstag trifft sie in Marseille auf Gastgeber Frankreich, hat also weiterhin die Chance, nach dem WM-Titel auch den EM-Titel zu gewinnen. Müller wird möglicherweise den verletzten Mario Gomez im Sturm vertreten – also noch mehr an Toren gemessen werden.

Mannschaftssieg statt Einzeljäger

„Dass ich gerne getroffen hätte, ist ganz klar“, aber Tore sind „nicht mein Benzin“, sagt er. Sie sind für ihn eher „der Speziallack, der nach außen gut aussieht“. Und was hat man von einem schönen Auto, das sich nicht mehr von der Stelle bewegen lässt, weil der Tank leer ist? „Mein Antrieb ist, mit der Mannschaft was Großes zu erreichen“, sagt Müller. „Wenn wir das Finale gewinnen und ich schieße kein Tor, komm’ ich medial vielleicht nicht so gut weg. Das Ding nehme ich trotzdem mit nach Hause.“

Allerdings muss das eine das andere nicht zwingend ausschließen. Deutschland könnte den silbernen Pokal auch gewinnen, obwohl Müller trifft. „Ich habe das Gefühl, wenn es wirklich notwendig ist, macht er einen“, sagt Bundestrainer Löw. Die wirklich wichtigen Spiele waren schon immer die Müller-Spiele. Erst wenn sich die Sache richtig zuspitzt, kommt der beste aller Müllers zum Vorschein, und so glauben inzwischen viele, dass all seine Fehlversuche nur das Vorspiel waren zu einem grandiosen Finale, dass er sich alles für die Franzosen oder gar das Endspiel aufgehoben habe. Thomas Müller sagt: „Ich hebe mir keine Tore auf.“

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