Ausfälle fürs EM-Halbfinale: Was kommt nach Mario Gomez?
Mario Gomez fällt mit einer Muskelverletzung im Oberschenkel für den Rest der EM aus. Einen ähnlichen Spielertyp hat Joachim Löw nicht im Kader. Was jetzt?
Mario Gomez hat keine Miene verzogen. Er hat nicht mal schelmisch gelächelt, geschweige denn laut losgeprustet. Dabei war die Frage wirklich unglaublich witzig, zumindest die einleitenden Worte. Vorige Woche war das, bei einer Pressekonferenz der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Évian. „Eine Frage an Herrn Gomez: Ihre Spielweise ähnelt sehr der von Miroslav Klose…“ Super Scherz, ein echter Brüller.
Es ist noch nicht lange her, da galt Mario Gomez als der Anti-Klose schlechthin. Als der unbewegliche Brecher, der den Strafraum nur auf behördliche Anweisung verlässt und dort untätig darauf wartet, dass ihm die Bälle zugestellt werden. Inzwischen sieht das etwas anders aus. Im EM-Viertelfinale gegen Italien hat Gomez sogar das deutsche Führungstor eingeleitet, als er auf der linken Außenbahn drei Gegenspieler auf sich zog und den Ball dann perfekt in den Lauf des Vorlagengebers Jonas Hector passte. Ob dieser Spielzug einstudiert gewesen sei, wurde Hector später gefragt. Nein, antwortete er, „ich glaube, es ist selten der Fall, dass Mario an der Außenlinie auf dieser Höhe den Ball hat“.
Gomez ist auch mit bald 31 Jahren noch kein kombinierender Mittelstürmer, der den Spielfluss in Gang hält, indem er sich fallen lässt oder auf die Flügel ausweicht. Aber so wie das einstige Kopfballungeheuer Klose sein Portfolio im Laufe der Jahre erheblich erweitert und sich für die Moderne fit gemacht hat, so ist auch Gomez nicht mehr der Mittelstürmer, der er früher war. Er nimmt im Spiel der deutschen Mannschaft bei der Europameisterschaft eine wichtige Rolle ein. Hat eingenommen – muss man leider sagen. Die Muskelverletzung, derentwegen Mario Gomez gegen Italien ausgewechselt werden musste, hat sich als Faserriss im Oberschenkel herausgestellt.
Im Halbfinale fehlen: Gomez, Khedira, Hummels
Gomez wird bei der EM nicht mehr zum Einsatz kommen, selbst wenn die Deutschen am Donnerstag das Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich gewinnen sollten. „Er hat Großartiges geleistet, war ein sehr wichtiger Spieler, hat sich klasse eingebracht“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. Gomez ist nicht der einzige Stammspieler, der im Halbfinale fehlen wird: Mats Hummels ist gesperrt, Sami Khedira kann nicht spielen, Bastian Schweinsteiger wohl auch eher nicht. Der größte Verlust für den Bundestrainer aber ist der Ausfall von Mario Gomez.
Noch vor ein paar Wochen wäre man für einen solchen Satz vermutlich ausgelacht worden. Gomez galt als Mann der Vergangenheit, der im Rentnerparadies Süperlig stressfrei seine Karriere ausklingen lässt. Das Turnier in Frankreich aber hat ihn gleich doppelt rehabilitiert: seine Person und seine Position.
Ein bisschen hat Gomez vom neuen EM-Modus profitiert: von den vielen kleinen Teams, die sich allein auf die Torverhinderung versteift haben. „Früher haben die Verteidiger versucht, nach der Offensive ihre Defensive auszurichten, und jetzt versucht man gegen die Abwehrreihen Lösungen zu finden“, hat er erzählt.
Gomez hat in seinen vier EM-Einsätzen 78 Ballkontakte gehabt
Der Bundestrainer hat anfangs Mario Götze als falsche Neun im Angriff aufgeboten – der Ertrag war überschaubar. Auch deshalb wurde Gomez im zweiten Gruppenspiel gegen Polen eingewechselt; seitdem hat er, bis zu seiner Auswechslung gegen Italien, keine Minute verpasst. Gomez hat in seinen vier EM-Einsätzen ganze 78 Ballkontakte gehabt, hat zwei Tore erzielt, aber mindestens so wichtig war sein Spiel ohne Ball, sein fortwährender Kampf gegen die gegnerischen Verteidiger, sein Drohpotenzial. Der Mittelstürmer hat versucht, Schneisen zu schlagen in das Defensivdickicht, er hat die Aufmerksamkeit bewusst auf sich gelenkt, hat Schläge und Tritte eingesteckt, aber nie aufgesteckt. „Er ist ein Spieler, der vorne durch seine körperliche Präsenz Spieler bindet“, sagt Löw.
Selbst ausgewiesene Haudegen wie die drei italienischen Innenverteidiger hätten eine Menge Respekt vor Gomez gehabt, „weil er aus einer Chance ein Tor machen kann: Er kann abschließen wie wenige Mittelstürmer, rechts, links, mit dem Kopf.“ Erst nach Gomez‘ Auswechslung kamen die Italiener am Samstag besser ins Spiel und schließlich zum Ausgleich. Zufall war das nicht.
Müller oder Götze in die Spitze? Doch beiden fehlt etwas.
Für das Halbfinale muss der Bundestrainer nun entscheiden, ob er Thomas Müller in die Spitze versetzt, der durch seine surrealen Laufwege die gegnerische Verteidigung in Verwirrung stürzen kann oder doch wieder Mario Götze, der in den Zwischenräumen anspielbar ist und die Bälle weiterleiten kann. Was beiden fehlt, ist die Robustheit, die Gomez hat, auch „eine gewisse Kopfballstärke“, wie der Bundestrainer sagt. „Das wird uns sicherlich fehlen.“ Überhaupt gibt es im deutschen Kader keinen Offensivspieler, der so sehr die körperliche Komponente einbringt, wie es Gomez getan hat. Vermutlich wird Joachim Löw jetzt ein Vorwurf daraus gestrickt, dass er keinen zweiten Mario Gomez mit nach Frankreich zur EM genommen hat. Der Vorwurf kommt wahrscheinlich von denselben Leuten, denen vor ein paar Wochen selbst ein Mario Gomez schon einer zu viel war.
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