Ein Auswärts-Tor sollte schon herausspringen: Union will sich im ersten Relegationsspiel nicht einmauern
Trainer Urs Fischer will mit dem 1. FC Union mutig in das erste Relegationsspiel gegen Stuttgart gehen. Es solle auch nach vorn gespielt werden.
Große Spiele werfen ihre Schatten voraus, das war in den vergangenen Tagen beim 1. FC Union nicht anders. Sogar die Singvögel, die rund ums Stadion An der Alten Försterei ihre Werktage für gewöhnlich ungestört verbringen, nahmen das wahr.
Normalerweise geben sie auf den Waldwegen zum Stadion den Ton an, zwitschernd, trillernd, unbeschwert und ungestört. Aber was ist derzeit schon normal, wo es für die benachbarten Fußballer um so viel geht? Um die endgültige Krönung einer Saison nämlich – oder das finale Scheitern.
An diesem Donnerstag (20.30 Uhr im Eurosport Player) tritt der Köpenicker Zweitligist beim Bundesliga-16. VfB Stuttgart zum ersten Relegationsspiel an, das zweite folgt am Montag. Rund um die Alte Försterei ist deshalb eine gewisse Betriebsamkeit ausgebrochen.
Die Vögel müssen momentan etwas lauter piepsen, um gegen die vielen Menschen anzukommen, die ihr Revier durchqueren. Menschen in roten Trikots und mit ernsten Mienen: Unioner. Die Fans, die in diesen Tagen also ungeduldig durch den Wald Richtung Kassenhäuschen laufen, um vor selbigen auf ihre Relegationstickets zu warten, sie hätten, ebenso wie die heimischen Waldvögel, gut und gerne auf diesen Ausnahmezustand verzichten können; auf zwei Zusatzspiele, in denen es um den erstmaligen Bundesliga-Aufstieg in der an Höhepunkten nicht allzu reichen Vereinsgeschichte geht.
Hätte das Spiel in Bochum (2:2) nur fünf Minuten länger gedauert, dann würde jene Belegschaft, die nun nach Stuttgart reist, womöglich gerade in Mallorca die Sektkorken knallen lassen. Ein weiteres Tor in Bochum, der Aufstieg wäre da gewesen. Wäre, hätte, könnte.
„Du hast gar nicht viel Zeit, lange darüber zu studieren, was gewesen ist“, sagt Unions Trainer Urs Fischer, der ohnehin nicht als jemand gilt, der gern in der Vergangenheit wühlt. „Uns ist ja auch klar: Was geschehen ist, kannst du nicht rückgängig machen“, sagt er. Wäre, hätte, könnte. Auch der Konjunktiv ist Fischers Sache nicht. „Wir schauen nach vorne und wollen den Fokus auf die Aufgabe Stuttgart legen.“
Es bleibt ihm und seiner Mannschaft viel anderes auch nicht übrig. Die Frage, wie dieser moralische Tiefschlag von Bochum verkraftet werde, handelte Fischer deshalb schnell ab. Am Montag sei die Stimmung noch entsprechend gewesen, „aber es war wichtig, dass wir sofort eine neue Aufgabe bekommen“.
Gut und positiv habe er das Team in den Trainingseinheiten erlebt, so Fischer. Neben ihm stand Pressesprecher Christian Arbeit mit einem knallroten T-Shirt und dem passenden Motto zu diesen Worten. „Gib niemals auf und glaub an dich“, stand darauf.
Nur auf Defensive will Union in Stuttgart nicht setzen
Natürlich wissen sie bei Union um die Größe und Schwere der Herausforderung. Die Schwaben haben Spieler in ihren Reihen, mit denen sie sich ursprünglich für den Europapokal qualifizieren wollten, und mancher dachte dabei insgeheim sogar an die Champions League.
„Die haben eine sehr gute Dynamik im Umschaltspiel, sehr schnelle und wendige Spieler, die es lieben, ins Eins-gegen-Eins zu gehen“, sagt Fischer, der den VfB am 34. Spieltag in Gelsenkirchen beobachtet hat. Ein bisschen Europapokal-Atmosphäre kann er den Stuttgartern dann doch versprechen. Gerade wenn es, wie im europäischen Wettbewerb, zwei Spiele gebe, sagt Fischer, „dann musst du dir eine gute Ausgangslage fürs Rückspiel schaffen“.
Wie das funktionieren kann, steht schon fest. Nur auf Defensive wollen die Köpenicker in Stuttgart nicht setzen, ein Auswärtstor, mindestens, soll schon herausspringen. Sein Team müsse den Mut haben, auch nach vorn zu spielen, fordert Fischer deshalb. Nur zu verteidigen, um die Null zu halten, sei eher eine unwahrscheinliche Taktik, „irgendwie bekommst du immer einen rein“.
Trotz Fischers rhetorischer Offensivfreude wird es eher auf die Defensivabteilung ankommen. Lediglich 33 Gegentore haben die Berliner in dieser Zweitligasaison bekommen, ein Spitzenwert und deutlich besser als die zweitbeste Abwehr der Liga (HSV/42). Mit Kapitän Christopher Trimmel, der auf der rechten Seite verteidigt, oder Ken Reichel, der auf links den Vorzug vor Christopher Lenz erhalten dürfte, verfügt Fischer über zwei erfahrene Außenverteidiger.
Reichel kennt die Relegation schon aus dem Jahr 2017, als er mit Braunschweig an Wolfsburg scheiterte, Lenz erlebte im vergangenen Jahr zwei Niederlagen, ebenfalls gegen Wolfsburg, mit Holstein Kiel. Bezogen auf das gesamte Team und die Ausnahmesituation Relegation findet Fischer ohnehin: „Es hat genügend Erfahrung.“
Offen ist derweil noch, wer neben Marvin Friedrich als zweiter Innenverteidiger aufläuft. Der etatmäßige Stammspieler Florian Hübner fehlt gelbgesperrt, Nicolai Rapp und Michael Parensen heißen die Alternativen. Rapps Geschwindigkeitsvorteile gleicht Parensen mit einem besseren Stellungsspiel aus, zudem hat der bald 33-Jährige schon in der Liga gegen den HSV (2:0) gezeigt, dass er trotz geringer Spielpraxis dem Team sofort Stabilität verleihen kann.
Viel Fleißarbeit wird auch das Berliner Mittelfeld verrichten müssen, wo vor allem Grischa Prömel einen besonderen Auftritt hinlegen will. Er ist im VfB-Stadtteil Bad Cannstatt geboren, im nahe gelegenen Esslingen aufgewachsen. „Mein Papa hat uns im Jugendalter häufig mit ins Stadion genommen.“ Wenn man aus dem Kessel komme, wachse man eben mit dem VfB auf, sagt er. Am liebsten würde er auf das Relegationsspiel gegen Stuttgart verzichten, hatte Prömel in der vergangenen Woche gesagt. Lang ist es her. Jetzt geht der Blick nach vorn.
So könnte Union spielen: Gikiewicz – Trimmel, Friedrich, Parensen, Reichel – Schmiedebach, Kroos – Prömel, Zulj, Abdullahi – Polter.