Rad-WM: Tony Martin: Schluss mit Stromsparen
Nach der Enttäuschung bei Olympia will Tony Martin in Katar zum vierten Mal Zeitfahr-Weltmeister werden. Dafür hat er einiges umgestellt - auch sein Fahrrad.
Für das luxuriöse Ambiente hat Tony Martin keinen Blick. Nicht für das mondäne Hotel Ritz Carlton, in dem die deutsche Mannschaft bei der Straßenrad-WM in Doha logiert. Und auch nicht für die beeindruckende Skyline von Doha. Martin ist fokussiert auf den Sport. Der 31-Jährige hat wieder ehrgeizige Ziele, vornehmlich den vierten WM-Titel im Einzelzeitfahren am Mittwoch (13 Uhr/live bei Eurosport). Das will Martin zwar nicht offensiv äußern, aber für zweite oder dritte Plätze geht er nicht an den Start.
Und die Zuversicht ist auch zurückgekehrt, erst recht nach dem Sieg im Mannschaftszeitfahren mit dem Etixx-Team. „Ich bin in einer Position, in der ich überraschen kann. Ich bin in der Lage, vorn mitzufahren“, sagt Martin. Vorbei sind offenbar die Zeiten des Haderns und der Enttäuschung. Noch bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro hatte er einen für ihn indiskutablen zwölften Platz in seiner Spezialdisziplin belegt, mit 3:18 Minuten Rückstand auf den Sieger Fabian Cancellara – Welten im Radsport.
Die Niederlage war ein Einschnitt für Tony Martin. Danach hat er einiges umgestellt, vor allem seine Rennmaschine. Er ließ sie umbauen, zurück zur alten Sitzposition, mit der er drei Titel eingefahren hatte. „Ich musste in Rio einsehen, dass das keine Position ist, auf der ich optimale Leistung bringen konnte“, sagt er. „Letztlich bringt es nichts, wenn man 20 Watt im Wind spart, aber 50 Watt weniger Leistung auf die Pedale bringt.“
Nun sind die 50 Watt wieder da. Schon bei der Tour of Britain hat er nach langer Zeit wieder einen internationalen Sieg eingefahren. Den Aufwärtstrend will er in Doha bestätigen, möglichst mit Gold. Es wäre der lang ersehnte vierte Titel, mit dem er zum Rekord-Weltmeister Cancellara aufschließen würde. Mit dem Schweizer Dauerrivalen muss er sich nicht mehr auseinandersetzen, Cancellara hat seine glanzvolle Karriere beendet. Konkurrenz ist trotzdem reichlich vorhanden: Insbesondere der Niederländer Tom Dumoulin, aber auch der Australier Rohan Dennis zählen zu den Anwärtern.
Dazu kommt der Faktor Hitze, vor dem Martin großen Respekt hat. Zur besseren Akklimatisierung für die Rennen bei Temperaturen bis zu 40 Grad hatte der Wahl-Schweizer Spezialeinheiten mit dicken Trikots auf der Rolle vor dem Heizlüfter eingelegt. „Es waren zwar nur anderthalb Stunden, aber es hat sich wie sechs Stunden angefühlt. Es sind viele Liter Schweiß geflossen. Bei der Ankunft in Doha hatte ich aber gemerkt, dass sich das gelohnt hat“, erklärt Martin.
Mit den Titelkämpfen in Doha kann Martin nicht viel anfangen. Auch dass mehr Journalisten als Zuschauer bei der Siegerehrung zuschauen, stört ihn. „Aber man weiß ja, warum das Rennen hierher gegangen ist: Geld regiert die Welt“, sagt der Ausnahmefahrer. Ein wenig dem Lockruf des Geldes dürfte aber auch Martin gefolgt sein, wenn er in der kommenden Saison für das langjährige Skandal-Team Katusha fährt. Das Team habe sich geändert und sei nicht mehr vergleichbar mit den vergangenen Jahren, betont Martin, der einst kritische Worte für den mit einigen Dopingfällen auffällig gewordenen russischen Rennstall gefunden hatte.
Als Anti-Doping-Kämpfer will sich Martin aber auch in Zukunft hervortun. So richtete er gleich mal deutliche Worte an den früheren Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins, der vor den großen Rundfahrten mehrmals Ausnahmegenehmigungen für verbotene Mittel eingereicht hatte. „Wenn er meinte, er brauchte die, dann ist das seine Entscheidung. Ich brauche keine.“ dpa