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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Tokios neues Olympia-Stadion wird von hunderten Ingenieuren und Architekten überwacht.
© dpa

Ein Jahr vor den Sommerspielen in Japan: Tokio liegt voll im Soll der Olympia-Vorbereitungen

In zwölf Monaten beginnt Olympia in Tokio. "Ich kann mich an keine Stadt erinnern, die ein Jahr vorher so weit war", sagt IOC-Präsident Thomas Bach.

Gründlichkeit, Genauigkeit, Pünktlichkeit – das sind normalerweise Tugenden respektive Klischees, die man weltweit mit Deutschland in Verbindung bringt. Beim Personenverkehr sind die Deutschen im internationalen Vergleich allerdings bestenfalls zweitklassig, ganz anders etwa als in Japan. Die durchschnittliche Verspätung des Hochgeschwindigkeitszugs Tokaido-Shinkansen, der Stolz des Landes, betrug im Jahr 2015 bereits 54 Sekunden.

Was nach einer Lappalie klingt, gilt in Japan als schlimmes Vergehen, gewissermaßen als höchste Beleidigung am Kunden. Trotz der hohen Frequenz - auf der 515 Kilometer langen Strecke von Tokio nach Osaka fahren täglich 256 Züge im Zehn-Minuten-Takt – zählt jede Sekunde. So viel Gründlichkeit möchte doch bitte sein!

Nicht weniger detailversessen gehen die Japaner ihr nächstes großes nationales Projekt an: die Ausrichtung der Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio. „Ich kann mich an keine andere Gastgeberstadt erinnern, die ein Jahr vor den Spielen bei der Vorbereitung schon so weit war“, sagt Thomas Bach, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). In der japanischen Hauptstadt ist schon zwölf Monate vor der Eröffnungsfeier am 24. Juli 2020 ein unglaublicher Ansturm auf die Olympia-Tickets ausgebrochen. Die Organisatoren haben - Stichwort: Pünktlichkeit - offensichtlich ganze Arbeit geleistet.

Für die 339 Wettkämpfe in 33 Sportarten sind bereits rund 3,2 Millionen Eintrittskarten verkauft. Die Organisatoren rechnen mit etwa 7,8 Millionen Eintrittskarten für die Spiele, japanische Medien spekulieren, dass es am Ende sogar mehr als neun Millionen werden. 70 Prozent der Tickets gehen an die Bewohner des Ausrichterlandes, der Rest steht Sportfans in aller Welt zur Verfügung oder geht an Sponsoren, Sportverbände oder Nationale Olympische Komitees. Für die „aufregendsten Spiele aller Zeiten“ hat die ostasiatische Wirtschaftsmacht mehr als 20 Milliarden US-Dollar aufgewendet.

3,2 Millionen Tickets sind bereits verkauft

Die Baukosten für das neue Nationalstadion wurden immerhin auf 1,2 Milliarden Euro gesenkt. Dort werden die Eröffnungs- und die Abschlussfeier der Olympischen Spiele und der Paralympics stattfinden. Es ist zu 90 Prozent fertiggestellt. Einschließlich des Stadions werden acht neue Wettkampfstätten gebaut. 25 Sportanlagen gibt es bereits und werden teils renoviert; zehn weitere werden nur für die Spiele vorübergehend genutzt.

Bis es in einem Jahr losgeht, gibt es aber noch Herausforderungen, wie ein Verkehrschaos auf den überlasteten Straßen abgewendet werden kann. Dazu sollen auch Auffahrten zur Stadtautobahn in der Nähe der Wettkampfstätten gesperrt werden. Außerdem wird an Unternehmen appelliert, ihren Mitarbeitern in Tokio Heimarbeit zu erlauben. Bahnbetreiber im Raum Tokio sind zudem dazu aufgerufen, ihre Betriebszeiten auszuweiten. In Tokio pendeln jeden Tag rund acht Millionen Menschen in 47 000 Zügen. Zu den Olympischen Spielen wird sich diese Zahl Schätzungen zufolge um 650 000 Menschen erhöhen.

Eine weitere große Sorge ist nach wie vor die extreme Sommerhitze. Um sie erträglicher zu machen, soll es für Freiluft-Wettkämpfe Maßnahmen zur Linderung der Hitze geben. Dazu gehören Planen, Ventilatoren und Feuchtigkeitsspender – zum Beispiel beim Beach-Volleyball. Auch für die Marathon-, Geh- und Rad-Wettbewerbe wird an Beschichtungen gedacht, die die Temperatur der Straßenoberfläche senken.

Trotzdem freut man sich auch im deutschen Lager schon auf die Sommerspiele. „Wir sehen den Spielen optimistisch entgegen. Wir werden mit einer leistungsstarken Mannschaft am Start sein“, sagte Dirk Schimmelpfennig, Sportchef des Deutschen Olympischen Sportbundes. Dass die Leistungssportreform schon kräftige Auswirkungen haben wird, erwartet der DOSB nicht. „Aus meiner Sicht werden die wesentlichen Auswirkungen in Tokio noch nicht zu sehen sein“, meinte DOSB-Präsident Alfons Hörmann. „Wer an eine solche Reform geht, muss zehn bis zwanzig Jahre im Blick haben. Deshalb sehe ich uns bestenfalls bei der Halbzeit der Reform.“ Sein Sportchef erkennt aber schon positive Effekte. „Die Verbände haben sich strukturell verbessert, dies gilt auch für die Rahmenbedingungen für die Athleten“, befand Schimmelpfennig.

Auch im deutschen Lager wächst die Vorfreude

Auslöser der Reform war der bis zu den Sommerspielen 2008 in Peking rapide Rückgang der gewonnenen Medaillen von 82 in Barcelona 1992 bis nur noch 41 in Peking 2008. Danach ist es 2012 in London (44) wieder bergauf gegangen. Zuletzt bei den Rio-Spielen 2016 gewannen die deutschen Sportler zwar nur 42 Medaillen, dafür aber 17 aus Gold - und damit so viele wie seit 1996 in Atlanta nicht mehr. „Der deutsche Leistungssport ist inzwischen etwas besser aufgestellt, auch wenn die Reform erst ab dem Olympia-Zyklus 2012 bis 2024 vollständig umgesetzt wird“, sagte Schimmelpfennig. Für erkennbare Effekte der Reform kämen die Tokio-Spiele aber zu früh. Angesichts der vielen noch ausstehenden Qualifikationswettkämpfe könne man noch nicht wirklich einschätzen, „wo die Reise hingeht“.

In den bisherigen Olympia-Ausscheidungen gab es Licht und Schatten. Besonders stark trumpfte die Abteilung Tischtennis bei den Europaspielen in Minsk auf, die sich dort komplett für Tokio qualifizierte. Für Topstar Timo Boll, den Fahnenträger von Rio, könnten die Spiele in Japan der krönende Abschluss seiner langen Karriere werden. Im deutschen olympischen Sport gibt es aber noch viele Fragezeichen, wie in Minsk deutlich wurde. Delegationsleiterin Uschi Schmitz hätte gern „die eine oder andere Medaille mehr“ gesehen. Schwache Judoka, zum Teil enttäuschende Schützen, Karateka, die hinter den Erwartungen blieben, prägten die Bilanz. Nicht mit nach Tokio werden nach dem Viertelfinal-Aus bei der WM die deutschen Fußballfrauen reisen, die 2016 noch Olympiasieger geworden waren. (Tsp/dpa)

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