Hertha BSC, AS Rom, Atlético Madrid: Stimmungstöter Olympiastadion
Nicht nur Hertha BSC hadert mit seiner Spielstätte. Auch andere Klubs, die in Olympiastadien spielen, kämpfen mit Tartanbahn und schlechter Stimmung. Ein Überblick.
Vater und Sohn wirken wehmütig. Dabei sieht man sie nur von hinten, wie sie, beide Trikots von Atlético Madrid tragend, vor dem Stadion Vicente Calderón stehen, Arm in Arm. „Unser Erbe wird ewig sein“, haben die Fans unter das Banner geschrieben, das die Südkurve bedeckt. Diese emotionale Choreographie hatten sich die Atlético-Fans für das letzte Derby in ihrem geliebten Stadion einfallen lassen. Das Duell mit Real Madrid vor elf Tagen war das letzte, das in der altehrwürdigen Arena am Fluss Manzanares stattfand.
Ab kommender Saison will Atlético im Madrider Olympiastadion spielen. Da die spanische Hauptstadt wohl nie Sommerspiele bekommt, muss Atlético aber wohl keine Laufbahn für Leichtathleten mehr einbauen lassen. Trotzdem sind die Fans der Colchoneros wenig begeistert, nach 50 Jahren die südliche Innenstadt Madrids zu verlassen und 15 Kilometer weiter östlich an den Stadtrand zu ziehen. In ein Stadion, das nach drei gescheiterten Olympia-Bewerbungen schon als Investitionsruine galt und das wegen seiner kammartigen Form La Peineta genannt wird.
Doch der chronisch verschuldete Verein hat sein altes Gelände am Manzanares-Fluss schon für 170 Millionen Euro an die Stadt verkauft, das Stadion Vicente Calderón wird abgerissen. Ein Park entsteht hier, Umweltschützer hatten Hochhausbauten verhindert. Doch viele Atlético-Anhänger fragen sich, ob ihr Team das Malocher-Image des Arbeiterviertels Arganzuela hinüberretten kann auf die grüne Wiese – oder eher: auf die braune Brache mit Autobahnkreuz. Dass ein Stadionumfeld einen Verein prägen kann, sieht man beim Rivalen Real, der im Finanzdistrikt Chamartín im Norden der Innenstadt zu Hause ist und sein edles Bild auch den benachbarten Banken verdankt.
Nicht nur für Hertha BSC ist das Thema Stadionstandort also ein heikles. In vielen europäischen Metropolen fehlt Bauland im Stadtkern. Bestehende, für Olympia errichtete Anlagen sind oft wenig kompatibel mit Fußball. Also ziehen die Vereine weit hinaus in die Peripherie und geben damit ein Stück Identität auf.
Zurück bleiben oft Gastwirte, Kioskbetreiber und Fans, die den Verein in ihrer Nachbarschaft vermissen. Und viele Vorstadtbewohner müssen sich erst einmal an die Menschenmassen gewöhnen. Großvereine wie Real, der FC Barcelona oder der FC Chelsea wollen da lieber am gleichen Standort um- oder neubauen.
Positivbeispiel Bayern München
Als Positivbeispiel für eine Umzug wird oft der FC Bayern herangezogen, der 2005 vom zugigen Olympiastadion zehn Kilometer weiter nördlich nach Fröttmaning ging. Trotz Kläranlage und Mülldeponie in der Nähe litt das Glamour-Image des Rekordmeisters nicht, sind die 75.000 Plätze regelmäßig ausverkauft.
Schlechter lief es jedoch für den TSV 1860 München, dessen Fans sich 15 Kilometer und mehrere Welten nördlich vom Stadion an der Grünwalder Straße deutlich unwohler fühlten. Ein großstädtischer Arbeiter-Verein in Randlage, das passt irgendwie nicht, siehe Atlético. Die Madrider wollen ihre neue Arena von LED-Leuchten in Rot, Blau und Weiß erstrahlen lassen, wie die Münchener Arena. Dort mussten sich die Blauen, die Sechziger, nach ihrem Bundesliga-Abstieg aus der Arena-Gesellschaft zurückziehen musste und das Feld den Roten, den Bayern, überlassen.
Ein eigenes Stadion muss man sich eben auch leisten können. Und dafür sollte – wie es beim FC Bayern meistens der Fall ist – der sportliche Erfolg stimmen. Sonst wird es schwierig mit der Refinanzierung.
West Ham United ist als Tabellen-16. der englischen Premier League nur bedingt erfolgreich, aber bekam ein neues Stadion quasi geschenkt. Zur aktuellen Saison durfte der Traditionsverein ins Londoner Olympiastadion von 2012 umziehen. Die jährliche Miete von 2,5 Millionen Euro ist erschwinglich, die laufenden Kosten übernimmt der Stadionbetreiber. Doch obwohl die neue Arena nur fünf Kilometer stadteinwärts liegt, fühlen sich die West-Ham-Fans unwohl nach 112 Jahren im Upton Park.
Die spektakuläre Sprengung des alten Stadions, das für Wohnungen weichen musste, brach vielen Fans das Herz. Dazu wurden die alten Stammplätze nach dem Umzug neu vergeben, auf Sitzplätzen zu stehen wird nicht mehr geduldet, bei den ersten Heimspielen kam es zu Schlägereien mit Ordnern. Zur Sicherheit wurde die Kapazität auf 57 000 Zuschauer verringert. Aber West Ham hat ja noch Zeit sich zu gewöhnen, der Pachtvertrag läuft über 99 Jahre.
Fast so lange, wie der AS Rom über eine neue Arena nachdenkt. Das 1932 eröffnete Olympiastadion, in dem die Sommerspiele 1960 stattfanden, lässt sich am ehesten mit dem Berliner Olympiastadion vergleichen. Das italienische Pokalfinale findet hier jährlich statt, 2009 gab es dort das Champions-League-Finale und 1990 das WM-Finale. Aber die störende Laufbahn, die flachen Ränge und die zugige Bauweise verhindern meist, dass echte Fußballstimmung aufkommt. Weder AS noch Lazio Rom können die 75.000 Zuschauerränge wirklich füllen.
„Das Olympiastadion ist groß, sehr groß, und es ist schwer zu füllen. Die Tifosi verlieren sich hier, das ist ein Nachteil für die Mannschaft“, sagte zuletzt Roma-Sportdirektor Mauro Baldissoni, der zu Saisonbeginn nur 25.000 Fans begrüßen durfte. „Wenn dieser Trend anhält, müssen wir an kleinere Stadien denken.“ Seit 2011 hat der Verein zwar einen US-amerikanischen Investor und träumt stets von einer Arena im Kolosseum-Stil vor den Toren Roms. Passiert ist aber bis heute nicht viel. Also zahlt der Klub weiter 3,5 Millionen Euro Miete an das Nationale Olympische Komitee.
Ein Umzug in eine neue Gegend löst ja nicht immer Freudengefühle bei den Fans aus. Manchmal nur Wehmut, bei Vätern und Söhnen. Und ob der Geist und das Erbe einer Arena ewig sein können, muss sich erst im neuen Stadion zeigen.