Vom letzten auf den zweiten Platz: Sebastian Vettel mit furioser Aufholjagd in Hockenheim
Im Regen von Hockenheim fährt Vettel beim Heimspiel vom letzten Platz aufs Podium. Max Verstappen gewinnt, Mercedes erwischt einen gebrauchten Tag.
Formel-1-Fahrer hören für gewöhnlich keine Radiosender, wenn sie in ihren schnellen Autos Rennen fahren. Die vielen Wetterwarnungen, die am Sonntag durch den Orbit geschickt wurden, bekamen sie also nicht mit. Trotzdem waren alle informiert, dass es beim Großen Preis von Deutschland in Hockenheim zum ersten Regenrennen in diesem Jahr kommen würde. Und trotzdem rutschten zahlreiche Fahrer hilflos über den nassen Asphalt. Am Ende siegte Max Verstappen, aber zum Regenkönig von Hockenheim stieg Sebastian Vettel empor. Er flog von Platz 20 startend auf zwei, Daniil Kvyat im Toro Rosso wurde sensationell Dritter – Mercedes erlebte dagegen ein Fiasko.
„Er hat eine fantastische Leistung gezeigt“, lobte Ferraris Teamchef Mattia Binotto. „Es hat Spaß gemacht, ein unheimlich hartes Rennen“, sagte Vettel. „Ich konnte mich aus allem raushalten. Glückwunsch an Max. Vor dem letzten Safety Car wurde mir klar, dass ich noch eine Chance habe. Aber in den ersten beiden Kurven war es immer noch gefährlich.“ Diesmal aber mied Vettel die Gefahren und hielt seinen Ferrari im Gleichgewicht. Im vergangenen Jahr hatte er den sicheren Sieg noch hergegeben, weil er die Balance verloren hatte. Dieses Mal verloren sie andere. Vettels Teamkollege Charles Leclerc zum Beispiel, der seinen Wagen im Kiesbett eingrub; oder die beiden Mercedes-Fahrer. Valtteri Bottas‘ Auto rutschte weg und krachte in die Bande, Weltmeister Lewis Hamilton, von Position eins gestartet, kam nur als Elfter ins Ziel. Erst nachträglich rutschte der Brite noch auf Rang neun vor, nachdem die Rennkommissare die Alfa-Romeo-Piloten Kimi Räikkönen und Antonio Giovinazzi mit einer 30-Sekunden-Zeitstrafe belegten.
Vor dem Start sprach wenig für Vettel, er hatte das Rennen nach seinem technischen Defekt im Qualifying ja von Position 20 aus beginnen müssen, der denkbar schlechtesten. Vor ihm standen jene Piloten, denen Vettel normalerweise nur im Fahrerlager direkt begegnet. Lando Norris im McLaren, Robert Kubica und George Russell im Williams oder Alexander Albon (Toro Rosso). Hinterbänkler eben. Entsprechend mühelos zog Vettel an der unterlegenen Konkurrenz vorbei. Nach der ersten Runde nahm er bereits den zwölften Platz ein, nach sieben Runden war er Achter.
Verstappens Red Bull blieb am Start dagegen förmlich stehen, Valtteri Bottas und Kimi Räikkönen fuhren vorbei, Verstappen war nur noch Vierter. Red-Bull-Teamchef Christian Horner zog eine Grimasse, die der Sache entsprach. Doch das Rennen sollte noch ein paar spektakuläre Wendungen nehmen.
Die niederländischen Fans feuerten Verstappen an
Sergio Perez (Racing Point) nahm an keiner teil. In Runde zwei rutschte er vom Kurs und war damit der erste von insgesamt sieben Ausfällen. In Runde 15 zog Daniel Ricciardos Auto riesige Rauschschwaden hinter sich her, kurz darauf war das Rennen für den Teamkollegen von Nico Hülkenberg ebenfalls beendet, am Streckenrand qualmte das Auto aus.
Der Fokus lag zunächst auf dem Kampf um die Positionen zwei und drei. Während Hamilton an der Spitze einsam seine Runden zog, versuchte Verstappen alles, um sich seinen zweiten Platz von Bottas zurückzuholen. Mal verbremste er sich dabei, mal rutschte sein Auto weg, und oft entwischte ihm Bottas im letzten Moment doch noch.
Die niederländischen Fans feuerten ihn zunächst vergebens an, also fuhr Verstappen an die Box und ließ sich frische Reifen aufziehen. Die falsche Entscheidung. Kaum zurück auf der Strecke drehte es seinen Red Bull einmal komplett. Verstappen schickte einen Fluch an die Box, die weniger rutschfeste Reifenmischung gefiel ihm nicht. „Wir haben auf Slick gewechselt. Dann kam der 360-Grad-Dreher“, sagte er hinterher. Und: „Es kam darauf an, wenige Fehler zu machen.“
Die wenigsten Fehler beging Vettel. Er rutschte nicht und führte die vielen Duelle gegen seine Konkurrenten mit Augenmaß, etwas, das ihm seine Kritiker in den vergangenen Monaten zunehmend abgesprochen hatten. Und in der 29. Runde sahen sie sich auch kurz bestätigt. Im Kiesbett hing ein Ferrari, wieder blickten die Fans entgeistert, doch diesmal war es nicht Vettel, der enttäuscht seinem Wagen entstieg, sondern Leclerc. „Es war kein großer Fehler. Es war ein kleiner Fehler“, fand er, aber eben einer mit enormer Wirkung.
Eine Runde später erwischte es auch Hamilton. Sein Ausflug neben die Strecke kostete ihn den Frontflügel, zudem bekam er eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt, weil er nicht ordnungsgemäß an die Box fuhr. „Dass ich gegen die Wand gekracht bin, hat natürlich nicht geholfen“, sagte er. Auch seine Crew half ihm beim anschließenden Boxenstopp nicht wirklich. Fast eine Minute schraubte und schraubte sie, erst die falschen Reifen an, dann wieder ab. Und weil auch der passende Frontflügel fehlte, verlor Hamilton sehr viel Zeit und ein paar Plätze. Als Fünfter kehrte er auf die Strecke zurück, Max Verstappen führte plötzlich – und auf Platz zwei lag Nico Hülkenberg.
Hülkenbergs Hochgefühl verflog aber schnell. Erst zog Bottas an ihm vorbei, dann Hamilton – und wenig später flog er just an jener Stelle ab, die auch Leclerc zum Verhängnis geworden war. Das Rennen blieb unübersichtlich und voller Tücken. Hamilton drehte es erneut, er verlor weitere Plätze, dann schied Valtteri Bottas aus – und Vettel stieg so richtig ein. Erst schnappte er sich Lance Stroll, kurz drauf Kvyat. An Verstappen kam er nicht mehr heran, aber die Regenregentschaft war ihm auch so sicher.