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Konzentriert. Sebastian Vettel will es beim Heimspiel in Hockenheim allen zeigen.
© Kai Pfaffenbach/Reuters

Formel 1 am Hockenheimring: Sebastian Vettel und die Folgen eines Fahrfehlers

Das Formel-1-Heimspiel in Hockenheim scheint für Vettel wieder einmal zum Desaster zu werden. Daran hat sein Rennstall Ferrari entscheidenden Anteil.

Von David Joram

Die Welt war klein in jenem Moment. Sie bestand nur aus einem weißen Helm in den Farben schwarz, rot und gelb. Darunter versteckte sich der Formel-1-Pilot Sebastian Vettel; vor den knipsenden Fotografen, die versuchten Bilder eines Fahrers einzufangen, der Qualen litt. Eines Fahrers, der an jenem 22. Juli 2018 seinen Ferrari in eine Werbebande gelenkt hatte. Der damit den Traum vom Heimsieg in Hockenheim auf billigste Weise selbst vernichtet hatte – und ein paar Monate später auch jenen vom fünften WM-Titel.

Die Geschichte von Vettels Fahrfehler in Hockenheim, sie ist vor dem Rennen am Sonntag (15.10 Uhr, live bei RTL und Sky) nochmal rauf und runter erzählt und geschrieben worden. Am Samstag hat sie sich wiederholt, nur ein bisschen anders eben. Im Qualifying wollte Vettel ein paar schnelle Runden zaubern, um sonntags weit vorn starten zu können. Doch sein Ferrari streikte, Turboprobleme. Statt Vettel, der nach einer Aufwärmrunde sein Auto an der Box abstellen musste, stand am Ende Lewis Hamiltons Mercedes ganz vorn, wieder einmal. Max Verstappen (Red Bull) und Valtteri Bottas (Mercedes) folgten. Nico Hülkenberg (Renault) wurde Neunter. Der zweite Ferrari-Pilot, Charles Leclerc, musste seinen Wagen ebenfalls vorzeitig abstellen, Probleme mit dem Benzinsystem. Er landete noch hinter Hülkenberg auf Platz zehn.

Vettel schlich derweil in Ferraris Motorhome, mit trauriger Miene zum traurigen Spiel. Die Panne in Hockenheim passt zu dieser für Vettel so enttäuschenden Saison, in der er längst alle Chancen auf seinen fünften Weltmeistertitel verfahren hat. Aber wenigstens wollte er in seinem Heimspiel eine neue Geschichte erzählen. Weg vom Image des vielfach kritisierten Pannen-Vettels, der unter Druck zu Fehlern neigt, der in der modernen Formel 1 vergeblich seinen Platz sucht.

Bis zum Malheur wirkte er locker, winkte seinen Fans in der Nordkurve im Training aus dem Auto heraus zu, laute Tröten und Applaus erwiderten den Gruß. „Ich mag den Ort hier sehr, ich habe gute Erinnerungen an die Atmosphäre im letzten Jahr“, sagte Vettel. Die vielen Fans, die hochgereckten Flaggen, der Enthusiasmus um die Strecke, all das hat Vettel gefallen – „das Ergebnis war halt nicht so toll.“ Wie am Samstag dann.

Hockenheim 2018 war der Wendepunkt Vettels Saison

Der Schmerz über den Ausfall war groß. Vettel gilt als Traditionalist, er hat ein ausgeprägtes Gespür für die Geschichten dieses Sports, für alte Legenden wie Lauda, Senna oder Schumacher, dessen Erfolge im Ferrari er so liebend gerne wiederholen würde. Nur 40 Kilometer von Hockenheim ist er groß geworden, im südhessischen Heppenheim. Mentalität und Mundart sind nahezu dieselben wie im nordbadischen Hockenheim. Hier zu gewinnen, wo Vettel noch nie gewann, würde ihm viel bedeuten.

Nun sieht es wieder schlecht aus – so wie das ganze letzte Jahr schon. Seit Hockenheim 2018 ist Vettel wenig gelungen. Rennen, in denen er falsche Entscheidungen traf. Autos, die hinter Mercedes' Entwicklungen zurückfielen. Teamchefs, die sich nicht bedingungslos hinter ihre nominelle Nummer eins stellten. „Er wurde gebremst an manchen Stellen, er wirkt deshalb müde“, findet der Motivationscoach Steffen Kirchner, der sich im Motorsport gut auskennt. Mehr „Ruhe im Kopf“ brauche Vettel wieder, „wenn er es noch einmal schaffen will“. Doch nur Siege bringen Ruhe – und seit Hockenheim hat Vettel nur noch ein einziges Rennen gewonnen, am 26. August im belgischen Spa. In dieser Saison sollte bei Ferrari vieles anders werden.

Im Rückspiegel. Sebastian Vettel will mit seinem Ferrari vor Mercedes landen.
Im Rückspiegel. Sebastian Vettel will mit seinem Ferrari vor Mercedes landen.
© Uli Deck/dpa

Tatsächlich ist auch vieles anders geworden, nur anders als von Vettel und Ferrari erhofft. Lagen die Italiener im vergangenen Jahr – zumindest bis Hockenheim – noch gleichauf mit Mercedes, ist der Rückstand in dieser Saison gigantisch. 100 Punkte hat der WM-Gesamtführende Hamilton schon auf den Vierten Vettel Vorsprung, eine astronomisch anmutende Dimension.

Die Gründe sind vielschichtig. Der Ferrari SF 90 H hält nicht das, was er vor der Saison bei den Testfahrten in Barcelona versprochen hatte, Spitzenzeiten also. Man habe die Latte wieder etwas höher gelegt und versucht, „so extrem wie möglich zu sein“, hatte der neue Teamchef Mattia Binotto bei der Vorstellung des Autos im Februar gesagt. Doch extrem sind bisher nur die Ergebnisse – zehn Rennen, null Siege. Insbesondere mit dem Reifenmanagement, im Vorjahr Ferraris Stärke, hat Binottos Crew Probleme.

Vettel erhält zusätzlichen Druck durch Charles Leclerc, der kaum schlechter als die nominelle Nummer eins fährt und nur drei Punkte im Gesamtklassement hinter ihm liegt. Leclerc harmoniert besser mit dem Auto als Vettel, der mit seinem Unwohlsein recht offensiv umgeht. „Ich spüre das Heck nicht richtig. Dadurch fehlt mir das Vertrauen ins Auto“, sagte Vettel in Silverstone.

Vettel vertraut seinem Ferrari nicht - und dm Team?

Beim Großen Preis von Großbritannien rauschte Vettel zuletzt Red-Bull-Pilot Max Verstappen ins Auto. „Bei Red Bull machte er kaum Fehler. Er hat das Fahren doch nicht verlernt. Warum passieren ihm bei Ferrari immer wieder diese Sachen?“, fragte der geschädigte Verstappen. Eine gute Frage.

Beim Rennen in Österreich vermasselte Ferraris Crew seinen Boxenstopp, weil sie vergaß, rechtzeitig Reifen bereitzustellen. Eine blöde Panne, nicht mehr, aber doch eine, die für größere Ungereimtheiten steht. Und nun also Hockenheim. „Eigentlich müsste Sebastian ein anderes Umfeld bekommen, sprich das Team wechseln. Aber da sehe ich für 2020 keine Möglichkeit. Du machst Fehler, wenn du dir deiner Sache nicht mehr sicher bist. Das passiert im Unterbewusstsein“, sagte RB-Chef Helmut Marko kürzlich.

Mit Red Bull wurde Vettel viermal Weltmeister, man schätzt ihn dort noch sehr, und glaubt, ihn nach wie vor auch richtig einzuschätzen. „Sebastian ist kein so harter Typ wie Michael Schumacher oder Fernando Alonso, der immer Höchstleistungen abrufen konnte. Sebastian ist ein Fahrer, der die bedingungslose Unterstützung spüren muss. Der Nestwärme braucht. Die hat er bei Red Bull gehabt. Bei Ferrari wohl eher nicht“, sagte RB-Teammanager Jonathan Wheatley „Auto Bild Motorsport“. Das Vertrauen zwischen Ferrari und Sebastian Vettel ist am Samstag zumindest nicht größer geworden.

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