Start der Formel 1: Sebastian Vettel jagt wieder Hamilton
In seinem neuen Rennwagen Loria will der Deutsche endlich Dauerrivale Lewis Hamilton schlagen. Im ersten Qualifying der Saison klappt das aber nicht.
Bislang lag Loria in der nordostitalienischen Provinz Treviso, nicht mal 10 000 Einwohner groß und ziemlich unbedeutend. Seit Donnerstag aber ist Loria eine, der ganz Italien verfallen ist, mindestens. Dass Loria bereits einen Liebhaber hat, noch dazu einen Deutschen, wird im Übrigen als nicht störend empfunden. Den Liebhaber, er heißt Sebastian Vettel und ist hauptberuflich Formel-1-Pilot, lieben die Italiener ja auch. Vettel soll mit Loria - so hat er seinen neuen Rennwagen getauft - so viel Leidenschaft entfachen, dass am Ende der Formel-1-Saison wieder ein Ferrari ganz oben in der Fahrerwertung steht. Es wäre das erste Mal seit 2007, seit Kimi Räikkönen.
Der Finne sitzt auch in dieser Saison in einem Ferrari. Vor dem ersten Rennen am Sonntag in Melbourne wird Räikönnen, mittlerweile 38, aber nur weniger beachtet, er ist halt nur die Nummer zwei und hat seine besten Zeiten schon hinter sich. Trotzdem könnte Vettel, 30, vom langsameren Teamkollegen in einer Disziplin noch lernen: Coolness. „Wenn ich mir Sebastian anschaue, dann ist er auf viele Arten bereits mehr Italiener als viele von uns“, sagte der Ferrari-Boss Sergio Marchionne einmal über Vettel.
Das war natürlich positiv gemeint. Wenn der gebürtige Heppenheimer Emotionen zeigt, goutieren die Italiener das. Nur schlich sich bei Vettel in der letzten Saison der Fehler ein, dass er vielmehr Nerven als Emotionen zeigte. Als negativer Höhepunkt ist das Rennen in Baku in kollektiver Erinnerung geblieben. Da fuhr der viermalige Weltmeister Vettel dem bis dahin erst dreimaligen Weltmeister Lewis Hamilton während einer Safety-Car-Phase in die Seite. Zuvor hatte der Führende Hamilton nach Vettels Auffassung übertrieben stark gebremst, weshalb der Deutsche dem Briten hinten reinrauschte. Vettel musste eine Zehn-Sekunden-Strafe in der Box abstehen – und hatte mit dieser unglücklichen Attacke bewiesen, dass ihm für den fünften WM-Triumph die Abgezocktheit fehlte. Das zunächst enge Titelrennen – Vettel führte vor Baku noch mit zwölf Punkten Vorsprung – entschied Hamilton letztlich vorzeitig für sich, 363:317 Punkte.
Wer schließt zu Fangio auf?
In dieser Saison fahren also zwei viermalige Weltmeister gegeneinander. Beide wollen mit dem Argentinier Juan Manuel Fangio gleichziehen, der in den 1950er Jahren fünfmal triumphierte, unter anderem als Mercedes- und Ferrari-Pilot. Wie stark die Autos der Topteams in diesem Jahr sind, wissen die Fans noch nicht. Viele rechnen damit, dass der Mercedes W09 noch knapp vor Ferraris SF71H liegt. Auch dem Red-Bull-Team mit dem erst 20-jährigen Max Verstappen wird zugetraut, Hamilton und Vettel herauszufordern. Am Ende aber setzt auch der Veranstalter Liberty Media auf den medienwirksamen Zweikampf Hamilton gegen Vettel.
Über Letzteren urteilte Marchionne Ende der letzten Saison: „Es war eine Kombination, vor allem in der zweiten Saisonhälfte, aus technischen Problemen und Fahrfehlern, oder genauer gesagt: Fahrer-Fehleinschätzungen.“ Vettel wird wissen, dass er auf den 21 Strecken, darunter der Hockenheimring, weniger fehlerbehaftet fahren muss. Mehr Kühle, weniger Herz. Kann er das? Sich noch mal charakterlich weiterentwickeln?
Früher fuhr Vettel mal für Peter Mücke, einen Berliner, der das Team „Mücke Motorsport“ aufbaute. Es waren Formel-3-Zeiten, an die sich Mücke noch gut erinnert. „Ich hatte oft Schweißausbrüche, wenn Sebastian wieder mal zehn Sekunden vor Schluss des Qualifyings auf die Strecke ging, um dann – wenn die Strecke am schnellsten war – eine neue Bestzeit aufzustellen. Sebastian hat ein gutes Nervenkostüm“, sagt Mücke. Der 76-Jährige sagt aber auch: „Es war für mich verwunderlich, wie Sebbi im letzten Jahr manchmal fuhr. So habe ich ihn nicht kennengelernt.“ Nerven habe Vettel gezeigt, während Hamilton sich „eiskalt“ und „abgebrüht“ gegeben habe. Der 33-Jährige sei aber auch einer, um den man sich kümmere, der sich nur ins Auto zu setzen und zu fahren brauche. Vettel dagegen nehme bei Ferrari eine Führungsrolle ein. Tatsächlich gilt Vettel, wie einst der siebenmalige Weltmeister Michael Schumacher, nicht nur als fahrender Angestellter, sondern als integraler Bestandteil des Teams. Außerdem, sagt Mücke, hätte sich auch Hamilton erst weiterentwickeln müssen. „Die Jungs sind immer am Lernen, doch dafür braucht man auch gewisse Voraussetzungen.“
In Melbourne ist Mercedes im Vorteil
Dem detailversessenen Vettel traut Mücke just dies zu. „Sebastian ist einer, der aus Fehlern lernt. Aber klar: Wenn der Druck größer wird, wird’s auch schwieriger.“ Was die Leistungsstärke der Autos betrifft, sieht Mücke Mercedes aktuell noch im Vorteil, auch wenn die bisherigen Tests im kalten Barcelona nicht aussagekräftig gewesen seien. „Grundsätzlich sind Mercedes und Ferrari auf der Motorenseite stabil“, sagt Mücke.
In dieser Saison sind nur noch drei Antriebe erlaubt, weshalb nicht nur ein leistungsfähiges, sondern auch haltbares Paket gefordert ist. „Der hohe Kraftstoffverbrauch ist im Moment noch ein Problem für Ferrari“, glaubt Mücke. Doch seien die Werke ohnehin das ganze Jahr damit beschäftigt, technische Nachteile auszugleichen, Feinheiten weiterzuentwickeln. Anders als im Vorjahr könne diesmal also vielleicht Ferrari erst in der zweiten Saisonhälfte so richtig durchstarten.
Am Donnerstag gab sich Vettel verhalten optimistisch. „Wir haben alle Gründe, zuversichtlich zu sein, zu diesem Zeitpunkt weißt du aber nicht, wo die anderen stehen“, sagte der Ferrari-Star mit neuem, kämpferisch wirkenden Haarschnitt. Da lag das Qualifying, welches Hamilton vor Raikkönen und Vettel gewann, noch vor Vettel. Einen „Masterplan“ habe er zudem für 2018. „Der liegt aber in meinem Raum. Und euch werd’ ich ihn nicht erzählen.“
Auch Hamilton wollte nicht allzu viel preisgeben, nur so viel: „Es wird ein aufregendes Jahr für die Formel-1-Fans.“ Ob es auch bis zum letzten Rennen spannend bleibt, hängt vor allem von Sebastian Vettel ab. Steuert er sein Auto wieder mit so viel Leidenschaft, aber Unverstand durch die Geraden und Kurven wie in Baku, wird Loria so schnell vergessen sein wie Vorgängerin Gina.