Hertha BSC und seine Jung-Profis: Schwere Zeiten für Arne Maier und Jordan Torunarigha
Jürgen Klinsmann will Herthas Kader prominent verstärken und ausdünnen. Für die Einsatzchancen der erfolgreichen Nachwuchsspieler heißt das nichts Gutes.
Mike hat einen wirklich wunderbaren Arbeitsplatz, um den ihn selbst im Sonnen- und Rentnerstaat Florida einige Menschen beneiden dürften, sofern sie zur berufstätigen Bevölkerung gehören. Der Greenkeeper ist den ganzen Tag draußen an der frischen Luft, auf dem riesigen Areal der Luxuskette Omni Hotels & Resort Orlando hört er Frösche quaken und sieht Vögel vorbeifliegen, im künstlich angelegten Teich um die Ecke dreht sogar ein kleiner Alligator seine Runden. „Isn’t it beautiful?“, fragt der Mittfünfziger, der eigentlich aus Chicago im kalten, hohen Norden kommt, aber seit Jahrzehnten im schönen Florida lebt – natürlich eine rein rhetorische Frage.
Im Moment ist Mike allerdings schwer beschäftigt. Am Donnerstagvormittag lokaler Ortszeit etwa hat er den Rasen der acht Trainingsfelder final begutachtet, hat die Seitenlinien mit frischer Kreide nachgezogen und Fußballtore in Position gebracht – alles im Interesse der Profis von Hertha BSC, die hier in den nächsten sieben Tagen residieren und trainieren werden. „We are ready to go“, sagt Mike mit einem freundlichen Lächeln und schwingt sich auf sein Golfcart. Es kann also losgehen für Trainer Jürgen Klinsmann und seine Mannschaft.
Für manche Profis des Berliner Fußball-Bundesligisten wird besagter Rasen in der nächsten Woche gewissermaßen zum Boden der Tatsachen werden. Seit Klinsmanns Amtsübernahme Ende November ist bei Hertha BSC mächtig Bewegung drin: hinter den Kulissen ohnehin, aber auch im offensichtlichen Geschehen beim täglichen Training. Der Reformeifer des Trainers führt dazu, dass vieles auf dem Prüfstand steht; kaum jemand aus dem Kader darf sich mehr sicher fühlen. Das gilt nicht nur für vermeintlich arrivierte Spieler wie den freigestellten Salomon Kalou oder den wechselwilligen Ondrej Duda, sondern auch für die perspektivisch wertvollen Mitglieder des Aufgebots, sprich: für Herthas Jung-Profis aus der vereinseigenen Jugendakademie.
Jürgen Klinsmann will den Kader ausdünnen
Seit dem Einstieg von Investor Lars Windhorst und der Beförderung Klinsmanns zum Cheftrainer lautet eine der spannendsten Fragen: Inwiefern wirken sich die neue Liquidität des Klubs und die gestiegenen Ambitionen auf die Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten der Nachwuchskräfte aus? Finden die Berliner auch künftig Verwendung für ihre Talente? Oder muss man sich Sorgen machen, dass Hertha seine hochgelobte und nachweislich erfolgreiche Jugend verschwendet?
Im Vergleich zu seinen Vorgängern Pal Dardai und Ante Covic hat Klinsmann im Sinne der Kaderreduzierung bisher mit eisernem Besen ausgekehrt. Spieler wie Dennis Jastrzembski, Muhammed Kiprit, Maurice Covic, Palko Dardai, Florian Baak oder der kürzlich nach Wiesbaden transferierte Sidney Friede, die sich sonst stets im Windschatten der Profis bewegten und oft ins Trainingslager mitreisen durften, spielen im Moment offenbar keine Rolle mehr in den Überlegungen des Vereins. Darüber hinaus scheint selbst die Zukunft einiger Protagonisten fraglich, für die bisher ein vermeintlich sicherer Kaderplatz reserviert war.
Pal Dardai sprach von einer "goldenen Generation"
Da wäre zum einen die Personalie Arne Maier. Der Mittelfeldspieler, der am Mittwoch seinen 21. Geburtstag feiert, galt lange Zeit als vielversprechendster Kandidat des Jahrgangs 1999, den der ehemalige U-15-Coach Pal Dardai gern als „goldene Generation“ bezeichnete. Der gebürtige Ludwigsfelder, der Herthas A-Jugend 2018 zur ersten Deutschen Meisterschaft der Vereinsgeschichte führte, war seiner Zeit stets ein Stück voraus: Als A-Junior spielte er wie selbstverständlich bei den Profis mit. „Manches, was er hat, kann man nicht lernen“, hat U-19-Trainer Michael Hartmann einmal dem Fußball-Magazin „11Freunde“ erzählt. „Dieses Selbstbewusstsein, die Ausstrahlung“, führte Hartmann weiter aus, „wenn er gesund bleibt, wird er sehr erfolgreich werden.“
Sollte Klinsmann nicht auf Maier setzen, macht er den ersten schweren Fehler. Sicherlich muss er gesund sein und Spielpraxis bekommen, jedoch, wenn das der Fall ist, zählt dieser Spieler zu den talentiertesten in Deutschland. Ich hoffe, Klinsmann sieht das.
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2018 wurde Maier sogar mit der Fritz-Walter-Medaille in Silber ausgezeichnet, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) alljährlich an seine besten Nachwuchsspieler vergibt. Gold ging damals an den Leverkusener Kai Havertz, das mutmaßlich größte deutsche Talent, mit dem sich Maier in den U-Teams des DFB jahrelang das Hotelzimmer geteilt hatte. Und es war konsensfähig, dass beide Spieler ihren Klubs bei halbwegs normaler Entwicklung eines Tages einen Transfererlös im hohen zweistelligen Bereich einbringen würden.
Maier und Torunarigha spielen bisher keine Rolle
Im Vergleich zu seinem alten Mitbewohner ist Maiers Karriere in jüngerer Vergangenheit allerdings ein wenig ins Stocken geraten: die ersten zehn Spiele der Saison 2019/20 verpasste er wegen einer Knieverletzung – und auch seit seiner Rückkehr Ende November hat er nur 21 Minuten auf dem Feld gestanden. Zudem fahndet Hertha seit Wochen nach zentralen Mittelfeldspielern, die auf Maiers angestammter Planstelle einsetzbar sind – und der Klub ist in Santiago Ascacibar (vormals VfB Stuttgart) bereits fündig geworden.
Darüber hinaus wurde unter anderem der Ex-Dortmunder Julian Weigl gehandelt, der kürzlich zu Benfica Lissabon gewechselt ist. Auch der Name Granit Xhaka vom FC Arsenal tauchte immer wieder auf, zuletzt landete gar Emre Can von Juventus Turin in der Verlosung. Klinsmann hat die Stelle des Mittelfeldchefs sozusagen neu ausgeschrieben, obwohl er in Maier über eines der größten Talente auf dieser Position verfügt.
Neben Maier könnte auch eine andere Berliner Nachwuchskraft weiterhin das Nachsehen haben, in der viele Hertha-Fans Parallelen zum jungen Jerome Boateng sehen – respektive gesehen haben: Jordan Torunarigha. Der Innenverteidiger kommt in dieser Saison auf 91 Minuten Einsatzzeit in der Bundesliga. Am vierten Spieltag in Mainz spielte er durch, am 19. Oktober wurde er in Bremen in der Nachspielzeit eingewechselt.
Danach durfte Torunarigha nur noch im Pokal gegen Dresden ran – rettete Hertha dort jedoch zumindest in letzter Sekunde mit seinem Ausgleichstreffer ins Elfmeterschießen. In Florida hat der 22-Jährige nun eine Woche lang die Gelegenheit, den Trainerstab davon zu überzeugen, dass auch in Zukunft mit ihm zu rechnen ist.
„Die Tür ist offen für jeden, alles zu geben und sich anzubieten“, sagt Herthas Co-Trainer Alexander Nouri. „Wie sich das entwickelt, liegt auch an jedem Spieler selbst. Dann werden wir Entscheidungen treffen.“