Mit Hertha BSC im Trainingslager in Florida: Warum Jürgen Klinsmann in den USA so populär ist
Den Fußball in den USA hat Jürgen Klinsmann kräftig umgekrempelt. Vielen Fans hat das gefallen, einigen Funktionären weniger.
Wenn Jürgen Klinsmann irgendwo anpackt, bleibt auch etwas hängen. Beim Deutschen Fußball-Bund war das so, aber auch in den Vereinigten Staaten krempelte der aktuelle Trainer von Hertha BSC den Fußball komplett um. Die USA, wohin Klinsmann mit seinem Team an diesem Donnerstag ins Trainingslager nach Orlando/Florida aufbricht, sind so ein Land, in dem er als Nationaltrainer tiefe Spuren hinterlassen hat.
Wie populär der 55-Jährige in den USA ist, verdeutlicht eine Anekdote aus dem November 2016: Ein paar Tage nach seiner Entlassung als US-Nationalcoach musste Klinsmann nach einem Platten einen Reifenwechsel in Kalifornien vornehmen lassen. Der Mechaniker tat dies gerne, wollte aber vor Wut auf die Entscheidung des Verbands kein Geld nehmen. „Die Funktionäre haben einen Fehler gemacht“, sagte er zu Klinsmann. „Einen großen Fehler.“
Die Erinnerungen an den forschen Berliner Übungsleiter sind in den USA gut. In seinen fünfeinhalb Jahren als Trainer und Technischer Direktor des US Men’s National Team (USMNT) feierte Jürgen Klinsmann einige große Triumphe. In einem Land, in dem der Fußball zwar schnell wächst, jedoch immer noch im Schatten von American Football, Basketball und Baseball steht, hat Klinsmann einige wichtige Veränderungen vorgenommen, um das Interesse am Fußball zu steigern.
Noch entscheidender war aber, dass er den internationalen Horizont der amerikanischen Spieler und auch Fans erweitern konnte. Sein Ziel war es, den Vereinigten Staaten zu helfen, ihr enormes Potenzial auszuschöpfen und eines Tages, um die Weltmeisterschaft spielen zu können. Und sie waren auf einem guten Weg.
Klinsmann versuchte, den Sport für die breite Gesellschaft zugänglicher zu machen. Insbesondere Talente aus den spanisch sprechenden Vierteln und den Universitäten, sowie Europäer mit doppelter Staatsbürgerschaft sollten dazu beitragen, den Spielerpool für die Nationalmannschaft zu erweitern. Er wollte das Team für alle Schichten öffnen und ermutigte talentierte US-Amerikaner, sich in den besten Ligen der Welt in Europa zu messen.
Selbstverständlich waren nicht alle glücklich über seine Reformideen, denn für manche stellten sie eine Bedrohung der Nationalen Liga (MLS) dar. Klinsmann glaubte daran, dass stärkere Konkurrenz die Entwicklung der amerikanischen Spieler am besten fördern würde und blieb seinem Ansatz treu.
Mit Klinsmann wurde Fußball in den USA beliebt wie nie
Klinsmann wollte den amerikanischen Spielern helfen, sich auf ein mögliches WM-Achtel-, Viertel- oder Halbfinale gegen Top-Nationen vorzubereiten, indem er so viele Freundschaftsspiele wie möglich gegen Schwergewichte wie Deutschland, Italien, Frankreich und Brasilien ansetzte. Zuvor konzentrierte sich die Nationalmannschaft eher auf Gegner in Nord- und Mittelamerika.
Außerdem hoffte Klinsmann, dass mehr Amerikaner wie Christian Pulisic regelmäßig in der europäischen Champions League spielen würden, um ihr eigenes Niveau auf eine höheres Level zu heben. Seine Begabung, junge Talente zu finden und zu fördern, hat er in den USA weiterentwickelt. Christian Pulisic, Bobby Wood, John Brooks, und DeAndre Yedlin belegen das eindrucksvoll.
Ohne Zweifel trug Klinsmann in seinen fünfeinhalb Jahren als Nationalcoach dazu bei, das weltweite Ansehen des US-Teams zu steigern – vor allem als die Mannschaft 2014 bei der WM in Brasilien allen Erwartungen zum Trotz die sogenannte Todesgruppe mit Portugal, Ghana und Deutschland überstand und das Achtelfinale erreichte. Das US-Team schied schließlich nach einer starken Leistung im Achtelfinale in der Verlängerung gegen Belgien aus.
Plötzlich war der Fußball in den USA so populär wie nie zuvor und eine Rekordzahl von 22 Millionen Menschen verfolgten in den USA die WM vor dem Fernseher.
Schon zuvor hatte Klinsmann einen Rekord aufgestellt und mit der US-Nationalmannschaft 2013 erstmals zwölf Spiele in Folge gewonnen, darunter ein Freundschaftsspiel gegen Italien und zum ersten Mal in der Geschichte ein Spiel in Mexiko-Stadt. Darüber hinaus besiegten die USA Deutschland zwei Mal in Freundschaftsspielen und 2016 erreichte Klinsmanns Elf das Halbfinale der prestigeträchtigen Copa America Centenario.
Insgesamt gewann die Nationalmannschaft 55 der 98 Spiele in Klinsmanns Amtszeit. Dem stehen 27 Niederlagen und 16 Unentschieden gegenüber. Nur Bruce Arena konnte mehr Siege einfahren (81, allerdings in neun Jahren).
Klinsmann regt zu neuen Gedanken an
Es war natürlich auch klar, dass nicht alle Reformvorschläge von Klinsmann gut ankamen. Die MLS, die nordamerikanische Profiliga, widersetzte sich seinen Ideen zum Auf- und Abstieg, um den Konkurrenzkampf der schwächeren Klubs zu erhöhen und die Saison von neun auf elf Monate zu verlängern. Die MLS konnte außerdem seine Bemühungen nicht gutheißen, die besten US-Spieler zu ermutigen, für europäische Vereine zu spielen. Und manchen Fans und Journalisten fehlte schlicht die Geduld, vor allem als die Nationalmannschaft die ersten zwei WM-Qualifikationsspiele gegen Mexiko und Costa Rica im November 2016 verlor.
Klinsmann war sich sicher, dass seine Mannschaft unter ihm die WM 2018 noch erreichen und in Russland weit kommen würde. Aber er sollte nicht die Chance dazu erhalten. Verbandspräsident Sunil Gulati beurlaubte ihn, merkte aber gleichzeitig an: „Er forderte jeden in der US-Fußballgemeinde auf, über die Dinge auf eine neue Weise nachzudenken. Und dank seiner Bemühungen sind wir als Organisation gewachsen und erwarten, dass wir die positiven Ergebnisse seiner Arbeit in den kommenden Jahren sehen werden.“
Überrascht und enttäuscht bedankte sich Klinsmann in einer Videobotschaft bei den US Fans: „Es war eine erstaunliche Erfahrung und große Ehre.“
Danach, wissbegierig wie immer, intensivierte Klinsmann seine Bemühungen, Spanisch zu lernen und erwarb eine weitere Hubschrauberpilotlizenz. Er mag halt Herausforderungen. Viele US-Fans und manche Spieler, die Klinsmanns angestrebte Veränderungen verstanden und befürwortet haben, waren enttäuscht.
In den USA sagt man: „He likes to move outside his own comfort zone and take you with him!
Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Klinsmanns Veränderungen – ähnlich wie bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft – manchmal weh tun können und nicht immer zu sofortigen Verbesserungen führen. Er stellt hohe Anforderungen an seine Spieler und sich selbst. In den USA sagt man: „He likes to move outside his own comfort zone and take you with him!“ Er mag es, aus seiner Komfortzone auszubrechen und dich mitzunehmen.
Es kann eine gewisse Zeit dauern und es wird immer einige Rückschläge geben, doch diese kurzfristigen Dämpfer werden durch die langfristigen Erfolge in den Schatten gestellt – wenn er genug Zeit bekommt.
Auch seine Ziele für Hertha BSC sind hoch gesteckt: um die Meisterschaft spielen, die Champions League erreichen. Das wird nicht einfach werden und– wenn es schlecht läuft – Kritiker hervorrufen. Sollte Klinsmann aber die Zeit, Geduld, Mittel und die nötige Unterstützung bekommen, könnte er die Hertha nachhaltig voranbringen.
Erik Kirschbaum ist US-amerikanischer Journalist und Autor, der seit 31 Jahren aus Deutschland berichtet. Er kennt Jürgen Klinsmann seit 2004 und hat das Buch „Jürgen Klinsmann – Fußball Ohne Grenzen“ geschrieben.
Erik Kirschbaum