Neue Serie: Berliner Sportler und ihr Arbeitsplatz: Rückwärtssalto über Berlin
In Rio de Janeiro gewann Patrick Hausding eine olympische Bronzemedaille – die Grundlage hat der Wasserspringer in Prenzlauer Berg gelegt.
Jetzt erst mal was essen, sonst wird das kein guter Tag. Patrick Hausding war frühmorgens in der Weddinger Julius-Leber-Kaserne, der Nachmittag ist für das Training in Prenzlauer Berg reserviert, und zwischendurch geht er vielleicht noch in den Grünen Salon, dazu später mehr. Wichtig aber ist das Hier und Jetzt, also: Erbsensuppe mit Wiener Würstchen, steht schon vorn auf dem Tresen, wo die Frau in der weißen Schürze mit den großen Töpfen hantiert, macht dreifünfzig. Patrick Hausding zieht die Jacke aus und streift die Mütze ab. Noch bevor er zum Löffel greifen kann, stehen zwei Burschen mit breiten Schultern vor ihm und gratulieren zur bronzenen Olympiamedaille von Rio. „Franzosen“, sagt Hausding, „die sind hier für ein paar Wochen zu Besuch.“
"Die Schwimmhalle ist meine zweite Heimat!"
Berlin ist im Allgemeinen Hotspot für die Party-Jugend und im Besonderen hochgeschätztes Trainingszentrum für die Wasser- und Turmspringer. Für Leute wie Patrick Hausding, der sich glücklich schätzt, „dass ich hier zu Hause bin. Ja doch, nach 17 Jahren kann man das schon so sagen: Die Schwimmhalle ist meine zweite Heimat!“
Die Schwimmhalle also. Klingt ein bisschen einfallslos für den Klotz aus Glas und Beton, den Berlin da für das Projekt Olympia 2000 an die Landsberger Alle gesetzt hat, direkt neben das ebenfalls neu gebaute Velodrom und ungefähr dorthin, wo früher mal die Werner-Seelenbinder-Halle stand. Das mit Olympia hat bekanntlich nicht ganz geklappt, weswegen heute niemand von der Olympiahalle spricht. Der offizielle Terminus lautet: „Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark“. Aber erstens wissen wahrscheinlich nicht mal die Anwohner, dass es an der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Hohenschönhausen einen Europasportpark gibt. Und zweitens „ist das doch ein bisschen sehr kompliziert“, findet Patrick Hausding. Und spricht bei der Erbsensuppe in der hauseigenen Cafeteria lieber von der Schwimmhalle.
„Der Umzug von der Dynamohalle hierher war ein Quantensprung“
1999 ist sie eröffnet worden, da war Hausding gerade zehn Jahre alt und Trainingsgast der ersten Stunde. Vorher ist er drei Straßenbahnstationen weiter in der Hohenschönhausener Dynamohalle auf Türme und Bretter geklettert, war auch okay, aber doch ein wenig beengt. Fünf- und Zehnmeterturm etwa waren als gemeinsame Anlage konzipiert und konnten nicht unabhängig voneinander genutzt werden.
An der Landsberger Allee gibt es neben den Einrichtungen für Freizeit- und Leistungsschwimmer einen abgegrenzten Komplex für die Wasserspringer. Einen Doppelsprungturm mit Einzelplattformen bei drei und siebeneinhalb Metern sowie Doppelplattformen für Synchronspringer bei fünf und zehn Metern. Dazu eine Trockensprunganlage mit Schaumstoffgruben, einem mittels Hydraulik individuell einstellbaren Turm und eine ausgeklügelten Videoanlage, die ihre Bilder mit ein paar Sekunden Verzögerung liefert, und zwar genau dann, wenn die Athleten nach dem Sprung aus dem Becken steigen. „Der Umzug von der Dynamohalle hierher war ein Quantensprung“, sagt Patrick Hausding.
Viele Sprünge, viele Verletzungen
Das schönste Erlebnis an der Landsberger Allee? Natürlich die Europameisterschaft 2014. Die Halle war an allen fünf Finaltagen bestens gefüllt, die Stimmung war hervorragend und Hausding sprang annähernd perfekt. Dreimal Gold und einmal Silber, „so etwas vergisst du nicht so leicht“. Das gilt aber auch für einen ausgekugelten Ellenbogen und einen Bänderriss im Fuß, auch dies zwei Souvenirs aus seiner Schwimmhalle. Verletzungen sind ständige Wegbegleiter. Was denn die Schultern machen, fragt einer der französischen Trainingsgäste. Geht so, sagt Hausding und dass er eigentlich operiert werden müsste, die Sehnen sind nach jahrelanger Belastung so dünn, dass die bald reißen könnten. Aber eine Operation fügt sich nicht in die Planung. Ab März stehen eine Weltcupserie sowie Reisen nach Russland und in die USA an, „da kann ich nicht zu lange pausieren und erst ein paar Wochen vorher mit dem Training beginnen“.
Das Wochenprogramm nimmt in Hochzeiten um die 30 Wochenstunden in Anspruch, in wettkampfintensiven Jahren kann sich eine Saison schon mal über elfeinhalb Monate ziehen. All das parallel zum BWL-Studium und den Pflichten als Sportsoldat, irgendwie will das Leben schließlich finanziert werden. Bis zu 15 000 Sprünge jährlich absolvieren Wasserspringer auf höchstem Niveau. Salti und Schrauben, vorwärts und rückwärts, vom Brett und vom Turm, allein oder synchron, und damit es nicht langweilig wird, gehen sie zwischendurch öfter mal in den Grünen Salon.
Der Grüne Salon ist auf keinem Hallenplan eingezeichnet, und es lohnt auch nicht, beim Bademeister nachzufragen. Nach dem kleinen Raum gleich hinterm Sprungbecken, ausgestattet mit Kaffeemaschine, Fernseher und grünem Teppich, womit auch die Frage nach der Namensgebung geklärt wäre. Wann immer es Pausen im Trainingsprogramm gibt, ziehen sich die Wasserspringer in den Grünen Salon zurück. Patrick Hausding hat hier in stundenlangem DVD-Studium gravierende Wissenslücken geschlossen, vorrangig in den Comedyserien „How I Met Your Mother“, „Scrubs“ oder „The Big Bang Theory“.
Vor dem Wettkampf steht viel, viel Arbeit
Genug geredet. Suppe und Würstchen sind verzehrt, der Sprungturm wartet. Vier Monate sind es noch bis zum Saisonstart, das klingt unendlich weit weg und prägt doch die Gegenwart. „Der Wettkampf ist die Kür, die eigentliche Arbeit machst du in den Monaten davor“, sagt Hausding. Also raus aus der Cafeteria und die Treppe runter, „wir haben einen speziellen Eingang, damit wir den Badebetrieb nicht unnötig verzögern“. Wenn die Schwimmer zu Meisterschaften anrücken, kann das schon mal ein bisschen voller werden. Alle paar Wochen gibt es eine Anweisung von oben, dann wollen die Angestellten von allen Sportlern die Athletenpässe sehen, muss ja alles seine Richtigkeit haben. „Ach, Leute“, sagt Hausding dann. „Ihr kennt mich doch, ich komme jeden Tag hierher“, und wer muss an der eigenen Wohnungstür schon seinen Ausweis zeigen?