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Bei Lukas Podolski war schon früh zu erkennen, dass er ein besonderes Talent besitzt.
© Erich-Kästner-Schule Bergheim

Abschiedsspiel von Lukas Podolski: „Poldi konnte man gar nicht verhindern“

Kölns früherer Jugendtrainer Thomas Krücken über Talent, Heimatliebe und Siegeswillen von Lukas Podolski - ob beim Fußball oder beim Schnick-Schnack-Schnuck.

Herr Krücken, als Sie 2007 Pädagogischer Leiter bei Hertha BSC geworden sind, hat die „Bild“-Zeitung geschrieben: „Hier kommt der Poldi-Erzieher.“

Ich erinner’ mich. Besonders gelungen fand ich die Schlagzeile nicht.

Warum nicht?

Poldi musste man nicht erziehen. Poldi ist Poldi. Das war früher schon seine Stärke – und ist es bis heute. Er hat zwar immer seine Späße gemacht, wollte aber auch jedes Trainingsspiel und jeden Wettkampf gewinnen. Auf dem Platz musste ich ihn ganz sicher nicht erziehen.

Und daneben?

Das war die Zeit, in der man in den Nachwuchsleistungszentren mit Schulkooperationen begonnen hat, damit man die Trainingsumfänge für die Jugendspieler hochfahren konnte. Poldi war beim 1. FC Köln einer der Ersten, der regelmäßig Unterstützung bekam. Er sollte eine Ausbildung bei den Ford-Werken in Köln beginnen. Und ich kann mich noch erinnern, dass wir mit ihm und seinem Vater Waldemar im Büro unseres damaligen Nachwuchsleiters saßen und uns überlegt haben, wie wir ihn auf den Eignungstest vorbereiten.

Wie ist der Test verlaufen?

Den gab es nicht. Das war genau in der Phase, als die erste Mannschaft in der Bundesliga Probleme bekam und Marcel Koller neuer Trainer wurde. Koller hat Poldi dann aufgrund seiner herausragenden Leistungen in der A-Jugend zu den Profis geholt hat. Das mit Ford wurde dann sehr schnell hinfällig.

Podolski war vermutlich nicht ganz unglücklich darüber.

Ich glaub’ nicht (lacht).

So wie man ihn kennt, wird er in der Schule immer genau so viel getan haben, um gerade so durchzukommen.

Ja. Aber das hat er auch geschafft. Wenn es drauf ankam, hat er sich zusammengerissen und seine Sachen gemacht. Da war immer Verlass auf ihn. Auch auf dem Fußballplatz. Er wusste, was er wollte.

Wann hatten Sie konkret mit ihm zu tun?

Als Leiter des Schulprojekts und Nachwuchstrainer in der Jugendabteilung des 1. FC Köln. Er hat in jeder Trainingseinheit den Unterschied gemacht. Nichts, was er anpackte, wollte er verlieren. Diese Bereitschaft, alles für den Sieg zu tun, ob beim Schnick-Schnack-Schnuck oder bei einem Trainingsspiel, die war schon außergewöhnlich. Er hat sich für seine Mannschaft zerrissen. Poldi war das erste Talent, bei dem ich als junger Trainer mitbekam, dass diese Eigenschaften den Unterschied machen. Meinen Jungs erzähle ich diese Geschichten teilweise heute noch.

Die Öffentlichkeit hat von ihm eher das Bild, dass er ein lustiger Vogel ist.

So wie er heute im Fernsehen rüberkommt, war er auch schon als Jugendlicher. Poldi hatte immer ein Lächeln auf den Lippen. Er konnte seine Späße machen, wusste aber auch immer, wann es ernst wird. Das war einfach eine geile Mischung. Diese Leichtigkeit war wichtig für ihn, gerade als er beim 1. FC Köln schon in jungen Jahren für die erste Mannschaft spielte. Er hat sich nie Gedanken gemacht, was er tut. Er hatte immer eine unglaubliche Freude und maximale Begeisterung für den Fußball. Auch das ist was Besonderes. Dieses Naturell hat man heute bei vielen Spielern nicht mehr. Und man kann es durchaus kritisch sehen, in welche Richtung sich der Jugendbereich da entwickelt.

Was konnte er damals fußballerisch – und was noch nicht?

Ich habe ihn als sehr spielintelligent in Erinnerung, als Spieler, der aus der Tiefe kommend seine Mitspieler immer wieder in Szene setzen konnte. Aber wirklich außergewöhnlich für einen Jugendspieler war seine Abschlussstärke. Zwischen dem ersten Kontakt und dem Abschluss brauchte er überhaupt keine Zeit. Und alles geschah mit einer außergewöhnlichen Präzision. Dadurch verschaffte er sich den entscheidenden Handlungsvorsprung. Gepaart mit seiner außergewöhnlichen Schlagtechnik, die ihm nie jemand beigebracht hatte, führte das dazu, dass er sehr, sehr viele Tore geschossen hat.

Es gibt in jedem Verein Talente, von denen schon in jungen Jahren geraunt wird, dass sie mal ganz groß rauskommen. War das bei Podolski auch so?

Definitiv. Man musste nicht 15 Jahre Berufserfahrung als Scout mitbringen, um sein Talent zu erkennen. Wie er Fußball spielte, wie er auftrat – den musste niemand entdecken. Poldi ist einer jener Spieler, bei denen man als Trainer gar nicht so viel falsch machen konnte, um ihn zu verhindern.

Haben Sie ihm speziell etwas mitgeben können?

So vermessen bin ich nicht. Poldi war ein absolutes Toptalent, das unglaublich viel mitbrachte, eine intuitive Kreativität, Dynamik, Abschlussstärke. Damals war es noch ungewöhnlich, dass ein A-Jugendspieler einfach zu den Profis hochgezogen wurde. Heutzutage sind die Spieler aufgrund der differenzierten Ausbildung in den Nachwuchsleistungszentren schon mit 17, 18, 19 so weit, dass sie physisch in der Bundesliga mithalten können. Das war damals noch nicht so, weil die Ausbildung gerade im athletischen Bereich, aber auch technisch-taktisch noch nicht so weit war. Daher ist es umso bemerkenswerter, dass Lukas Podolski schon so früh im Männerfußball seinen Platz gefunden hat. Ich führe das auf seine Leichtigkeit und seine Hochbegabung zurück. Poldi hat in dieser schwierigen Situation einfach gekickt. Der war einfach so, wie er ist, und das hat er sich bis heute bewahrt.

Haben Sie noch Kontakt?

Der Kontakt ist nie richtig abgerissen. Lukas engagiert sich ja sehr bei seinem Heimatverein Bergheim 2000, und er fragt mich gelegentlich, ob ich ihm nicht Spieler für die erste Mannschaft empfehlen könne, Jugendtrainer kenne oder ihm in konzeptionellen Dingen helfen könne. Er hat die Vision, mit Bergheim im Jugendbereich in den höchsten Spielklassen unterwegs zu sein. Der Verein liegt ihm sehr am Herzen – weil er weiß, dass der Fußball nicht nur eine Möglichkeit ist, junge Menschen von der Straße zu holen, sondern auch viele soziale Kompetenzen vermitteln kann. Poldi ist da sehr bemüht. Das finde ich außergewöhnlich. Ich kenne jedenfalls keinen Profi, der sich Gedanken macht, ob sein Heimatverein eine gute Nachwuchsarbeit macht.

Was zeichnet ihn als Mensch aus?

Dass er so normal geblieben ist und sich noch erinnern kann, wie es war, bevor er als Nationalspieler berühmt geworden ist. Als ich bei Hertha U-17-Trainer war, hat Poldi mit der Nationalmannschaft bei uns im Amateurstadion trainiert. Nach der Einheit hat er bei uns beim Training vorbeigeschaut und kurz mit den Spielern gequatscht. Das war der Jahrgang 1993 mit Nico Schulz, Jay-Jay Brooks, Jerome Kiesewetter. Was meinen Sie, wie meine Jungs geguckt haben, als plötzlich ein Nationalspieler vor ihnen stand? Die sind erstarrt wie die Ölgötzen. Selbst ein Nico Schulz hat große Augen gemacht und sich gerade hingestellt. Aber mit seiner Art hat Poldi diese Distanz schnell wieder aufgebrochen. Die Spieler lieben ihn. Gerade durch seine Leichtigkeit im Auftreten ist er ein Vorbild.

Hat er auch noch ein bisschen mitgekickt?

Das nicht. Aber ich will nicht ausschließen, dass er beim Lattenschießen mitgemacht hat.

Thomas Krücken, 39, arbeitet seit fast 20 Jahren als Jugendtrainer. Nach Stationen unter anderem beim 1. FC Köln, Manchester City und Hertha BSC trainiert er derzeit die U 19 von Mainz 05.

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