Länderspiel Frankreich - Deutschland: Paul Pogba: Weltfußballer oder Zirkusartist?
Paul Pogba gilt als künftiger Anführer des französischen Nationalteams - ganz angekommen in dieser Rolle ist er aber noch nicht.
Der große Auftritt ist Paul Pogba nicht fremd. Als der Nationalspieler Anfang der Woche in Clairefontaine, dem Sitz des französischen Fußballverbandes, aus dem Auto stieg, konnte er sich ziemlich sicher sein, dass die Kameras auf ihn gerichtet sein würden. Pogba war darauf vorbereitet: Die Frisur frisch bearbeitet, mit blonden Strähnchen im Haupthaar und einem goldenen Stern an der akkurat gestutzten Seite, die Augen hinter einer Sonnenbrille versteckt, um den Hals die großzügig dimensionierten Kopfhörer, das obligatorische Accessoire aller Fußballer. Dazu trug der 22-Jährige eine Art Poncho mit ausladendem Kragen, darunter ein Oberteil, das an die schusssichere Weste eines SEK-Beamten erinnerte.
„Er ist klar im Kopf." Sagt Nicolas Anelka
Äußerlich erfüllt Pogba fast jedes Klischee, das über Fußballprofis in Umlauf ist; Menschen, die ihn näher kennen, nehmen ihn allerdings gegen den Vorwurf der Oberflächlichkeit in Schutz.
Der 14 Jahre ältere Nicolas Anelka, der in seiner wilden Karriere unter anderem bei Real, Arsenal, PSG und Chelsea unter Vertrag gestanden hat, war jedenfalls ziemlich beeindruckt von Pogbas früher Reife, als er seinen Landsmann im Januar 2013 bei Juventus Turin kennengelernt hat: „Er ist klar im Kopf.“ Was vermutlich alles andere als einfach ist, wenn man Paul Pogba heißt, und einem ständig der Kopf verdreht wird.
Der Franzose gilt längst als das nächste große Ding im Weltfußball. Bei der WM 2014 wurde er als bester Nachwuchsspieler ausgezeichnet, und wie im Vorjahr ist Pogba auch jetzt wieder für die Wahl zum Weltfußballer nominiert. „Er ist einer der stärksten Spieler der Welt“, sagt sein Berater Mino Raiola. „Juve hatte eine Menge Angebote um die 80 Millionen Euro, aber er ist 100 Millionen wert.“
Weltfußballer oder Zirkusartist?
Man kann darüber streiten, ob das wirklich schon so ist; unstrittig ist Pogbas außergewöhnliche Begabung. Juves Mittelfeldspieler ist ein absoluter Herrscher über den Ball. Polpo Paul wird er in Italien genannt, Krake Paul, weil er acht Beine zu haben scheint und seine tentakelhaften Extremitäten die Bälle regelrecht anzusaugen scheinen, selbst Bälle, die scheinbar verloren sind. „Seine Präsenz macht dem Gegner Angst“, sagt Anelka.
Aber manchmal übertreibt es Pogba auch in seiner Selbstverliebtheit. Dann ist es, als suchte er bewusst die komplizierte Lösung anstelle der einfachen. Wenn sie gelingt, ist es große Kunst wie zuletzt im Champions-League-Spiel gegen Borussia Mönchengladbach, als sein Lupfer mit dem Außenrist auf Stephan Lichtsteiner den Ausgleich zum 1:1-Endstand einleitete.
Weltfußballer oder Zirkusartist – das sind die Extreme, zwischen denen sich Pogba bewegt. „Mit seiner Technik ist er in der Lage, die Fans von den Sitzen zu reissen“, sagt Frankreichs Nationaltrainer Didier Deschamps. „Aber er muss auch effizient sein, nicht nur spektakulär.“ Manchmal komme ihm Pogba mit seinem Spiel ein wenig geziert vor, sagt Deschamps, „er muss versuchen, konkreter zu werden in dem, was er tut“.
Trotzdem gilt Pogba schon jetzt als die Zukunft des französischen Fußballs. „Ich bewundere ihn“, sagt der frühere Nationalspieler Jean-Pierre Papin. Bundestrainer Joachim Löw sieht in Pogba „eine der zentralen Figuren“ in der Equipe tricolore. Pogba wird auch heute auf dem Feld stehen, wenn der Weltmeister Deutschland zum Freundschaftsspiel in St. Denis antritt – irgendwo im Mittelfeld. Wo genau, das ist mehr und mehr die entscheidende Frage: Wo kann Paul Pogba seine Qualität am besten einbringen: als offensiver Spielmacher auf der Zehn? Oder aus der Defensive als Sechser? Aus französischer Perspektive heißt das: Ist Pogba der neue Zinédine Zidane oder der neue Patrick Vieira?
Bei Juventus hat der Franzose bis zum Sommer noch die 6 getragen, vor der Saison wurde ihm die 10 zugeteilt. Doch in Italien wird längst diskutiert, ob sie Pogba wirklich zusteht. Seinen Mehrwert für die Offensive hat er zumindest in dieser Saison noch nicht ausreichend nachgewiesen. In der Champions League kommt Pogba auf zwei Vorlagen, in der Serie A hat er bisher zwei Tore erzielt, eins per Elfmeter. „Tuttosport“ hat bereits vom „Fluch der Nummer 10“ geschrieben, weil Pogba mit der Obsession auf den Platz gehe, sich die Nummer verdienen zu müssen. Und die „Gazzetta dello Sport“ bescheinigt ihm zwar durchaus Qualität, „aber nicht genug, um daran zu denken, das Erbe Zidanes anzutreten“.
Bei Juventus Turin soll er das Mittelfeld allein beherrschen
In der vorigen Saison stand Pogba noch unter dem Schutz seiner Nebenleute Andrea Pirlo und Arturo Vidal. Jetzt sind beide weg, und Pogba soll bei Juve das Mittelfeld allein beherrschen. Vielleicht ist das in der Tat ein bisschen viel für einen 22-Jährigen, selbst wenn sein alter Kumpel Anelka in Pogba den künftigen Kapitän der Nationalelf sieht. „Er ist derjenige, der führt und die Entscheidungen trifft“, hat er in einem Interview mit „France Football“ gesagt. „Das wird von ganz allein passieren, auf natürliche Art und Weise.“
Pogba selbst setzt eher darauf, weiter zu lernen, als allein seiner natürlichen Begabung zu vertrauen. Die Serie A sei „die Universität des Fußballs“, hat er nach seinem Wechsel von Manchester United nach Turin gesagt. „Ein Mittelfeldspieler, der es dort schafft, hat das Zeug, der Beste zu werden.“ Es sieht so aus, als hätte für Paul Pogba gerade der Master-Studiengang begonnen.