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Neues Ziel. Sprinter Ali Lacin konnte sich dank Spenden in Höhe von 6000 Euro neue Prothesen leisten. Mit denen hat er schon am ersten Trainingstag eine neue Bestzeit erzielt.
© picture alliance/dpa

Paralympics 2020 in Tokio: Deutsche Sportler sind auf Hilfe angewiesen

Paralympische Athleten wie Tom Kierey und Ali Lacin brauchen Sponsoren, um bestmögliche Leistungen abliefern zu können. Ohne Förderung geht gar nichts.

Von Ronja Ringelstein

Tom Kierey, 25 Jahre alt, blond blaue Augen, ist ein bulliger Typ, breite Schultern, muskulöse Arme. Ali Lacin, 32 Jahre alt, schwarze Haare, dunkle Augen, ist eher schlank und drahtig. Ähnlich sind sich die zwei wirklich nicht – aber die beiden Berliner haben etwas gemeinsam: Sie sind Medaillenfavoriten bei den Paralympics in Tokio. Der eine, der Breite, fährt Para-Kanu, holte damit schon Silber vor vier Jahren in Rio de Janeiro. Der andere, der Drahtige, startet gerade so richtig durch, ist der neue Shootingstar in der Para-Leichtathletik, Mitglied im Top-Team des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Das heißt: Von dem erwartet man dieses Jahr noch etwas, wenn er beim Sprint und beim Weitsprung an den Start geht. Er hat seinen Leistungshöhepunkt noch nicht erreicht, sagt selbst von sich: „Ich werde gerade schneller und schneller.“ Bei der Weltmeisterschaft in Dubai holte Lacin zuletzt Bronze und sicherte sich damit sein Ticket nach Tokio.

Auch Para-Kanut Tom Kierey, der vom Berliner Kanu-Club „Borussia“ kommt, ist für die Paralympischen Spiele ab 25. August gesetzt. Kierey, der rechts einen Klumpfuß und ein versteiftes Sprunggelenk hat, wurde bei der Para-Kanu-Weltmeisterschaft in Ungarn vergangenes Jahr Achter – das reichte für einen Quotenplatz. In Tokio soll das deutlich besser werden.

Aber der Weg dorthin ist noch weit. Es ist für paralympische Athleten und Athletinnen nach wie vor schwieriger als für olympische: Ohne die finanzielle Förderung geht es nicht – die umfasst neben den Kosten für Höhen- und andere Trainingslager auch das Essenzielle: Die Prothesen, die etwa der beidseitig oberschenkelamputierte Ali Lacin zum Rennen und Weitspringen braucht. Der Alltag vieler Para-Athleten sieht so aus, dass sie bis kurz vor den Wettkämpfen täglich ihren normalen Berufen nachgehen, um ihre Existenz zu sichern und ihren Sport zu bezahlen. Kierey etwa musste aus beruflichen Gründen eine Trainingspause einlegen, so reichte es bei der WM eben nur für Platz acht. Vom Sport leben? Für die allermeisten undenkbar. Deshalb sammelt der Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband (BSB) im Vorfeld der Paralympics für die Berliner Athleten Spenden und sucht Sponsoren – dieses Jahr unter dem Motto „Ungehindert Tokyo“. So sollen es möglichst viele Sportler aus Berlin nach Tokio schaffen.

20 weitere Berliner könnten es nach Tokio schaffen

„90 000 Euro möchte ich schon zusammenbekommen“, sagte Klaas Brose, Geschäftsführer des BSB bei einem für diesen Zweck angesetzten Spendenabend im Japanisch-Deutschen Zentrum in Berlin, dem Tagesspiegel. „Wir haben elf Sportler, die in der Kernauswahl für Tokio sind, aber es gibt bis zu 20 Berliner, die noch die Möglichkeit hätten, nach Tokio zu kommen.“ Die Qualifikationsrunden laufen noch, als nächstes beginnen die Ausscheidungen im Sitzvolleyball. Qualifiziert sich die Deutsche Mannschaft, wären damit auch wieder mehr Berliner an Bord. Zu den Medaillen-Favoriten gehört auch das recht starke Schwimmteam, Brose hofft, vier Berliner Schwimmer mit nach Tokio schicken zu können. Auch die Para-Leichtathletik und Para-Tischtennis sind Kernsportarten, möglicherweise schafft es auch Rollstuhltennis-Profi Katharina Krüger von den Zehlendorfer Wespen, die bereits in Peking, London und Rio dabei war.

„Wir versuchen über Spenden und Sponsorengelder die komplette Abdeckung für den Sportler zu bekommen, von der Ausrüstung über Prothesen bis hin zu Wettkampf- und Trainingskosten“, sagte Brose, denn die Athletinnen solle sich um Geld keine Gedanken machen müssen. „Die leisten schon genug.“ Und obwohl Politik im Sport eigentlich nichts verloren hat, wird so ein Spenden-Abend zu einem Ort, an dem sich Politik und Sport begegnen – der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist Schirmherr der Spendenaktion, Öczan Mutlu, Mitglied des Deutschen Bundestages für die Grünen, ist BSB-Präsident und spricht Berliner Firmen an, ob sie nicht etwas Geld für Para-Spitzensport übrig hätten.

Die beiden Sportler werden von der Arbeit freigestellt

Auch Lacin und Kierey profitieren davon. Sie gehören zu den wenigen, die so gut gefördert werden, dass sie sich einige Monate vor den Spielen bereits voll auf den Sport, aufs Training konzentrieren können. Ali Lacin, dessen Stammverein der PSC Berlin ist, beschreibt seinen Alltag derzeit so, wenn er nicht im Trainingslager in Kienbaum ist: Von 8 bis 13 Uhr arbeitet er beim städtischen Immobilienunternehmen „Stadt und Land“ im Einkauf. Danach wird bis in die Abendstunden trainiert. Samstags den ganzen Tag. Der Sprinter mit dem Spitznamen „Candyman“ hatte ursprünglich einen Süßwarengroßhandel mit seinen Brüdern in Berlin betrieben – aber Selbstständigkeit und Spitzensport, das war nicht zu schaffen.

Auch Tom Kierey arbeitet in Teilzeit, macht gerade seine Ausbildung zum Bootsbauer bei der USE, einer gemeinnützigen GmbH in Grünau, die direkt an der Dahme liegt. Da, wo Kireys Trainingsstrecke verläuft.

Beide Unternehmen nehmen an der Aktion „Ungehindert Tokyo“ teil, die USE beteiligt sich an Kosten für Kiereys Trainingslager. Beide Sportler werden für mehrere Monate von der Arbeit freigestellt. Und Ali Lacin konnte sich durch die Spenden seine neuen, 6000 Euro teuren Prothesen leisten. „Ich habe meine persönliche Bestzeit schon am ersten Tag in Kienbaum übertroffen“, sagte er. Die Prothesen sind extra für die paralympische Saison, das heißt, damit Lacin ihr Potenzial voll ausschöpfen kann, muss er noch besser werden. Er nennt es, „sich in die Prothesen reintrainieren“, damit er so viel Kraft in die Federn geben kann, dass er das optimale Ergebnis erzielt – im besten Fall wäre dies eine Medaille bei den Spielen in Tokio.

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