Der Fußball nach dem Terror: Pal Dardai: "Ich habe keine Angst"
Nach der Länderspiel-Absage in Hannover: Die Fußball-Bundesliga sehnt sich nach Normalität und erhöht am Wochenende erst einmal die Sicherheitsvorkehrungen.
Der Wind treibt den Regen waagerecht über den Trainingsplatz, eine Welle nach der anderen. Ein Grauschleier liegt über dem Rasen, die meisten Spieler von Hertha BSC tragen Mützen, viele auch Handschuhe. Es ist ungemütlich geworden in Deutschland, und das liegt nicht allein an Tief Heini, das Sturmböen übers Land gebracht hat und einem Mitte November das Gefühl vermittelt, dass jetzt doch noch der Herbst gekommen ist.
Mittwochmorgen auf dem Schenckendorffplatz im Schatten des Berliner Olympiastadions. Es ist der Tag nach der Absage des Länderspiels in Hannover. Aber es ist auch zwei Tage vor dem nächsten Spieltag der Fußball-Bundesliga. Die Profis von Hertha BSC bereiten sich auf ihr Heimspiel gegen Hoffenheim am Sonntag vor. „Wir trainieren hart“, sagt Trainer Pal Dardai. Hart trainieren, sich beschäftigen, durch Arbeit ablenken – das ist in diesen Tagen vermutlich auch ein Mittel, die schlimmen Nachrichten nicht allzu sehr an sich heranzulassen.
Noch am Abend zuvor, bei der Pressekonferenz zweieinhalb Stunden nach der Absage des Länderspiels zwischen Deutschland und Holland, war Reinhard Rauball gefragt worden, was denn mit der Bundesliga am Wochenende sei. „Der Spieltag wird stattfinden“, antwortete Chef der Deutschen Fußball-Liga und Interimspräsident des Deutschen Fußball- Bundes. Aber er sagte auch: „Mein Eindruck ist, dass der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tage in allen Facetten eine andere Wendung genommen hat.“
Die ersten Auswirkungen werden schon am Wochenende zu spüren sein: Alle Vereine haben angekündigt, dass die Sicherheitsvorkehrungen deutlich erhöht werden. Mehr Ordner, mehr Polizei, akribischere Kontrollen. So wie es auch in Hannover war, ohne dass dadurch die Absage verhindert werden konnte. Pal Dardai, Herthas Trainer, sagt, es sei für ihn schwer einzuschätzen, ob die Absage richtig gewesen sei, das könne nur die Polizei entscheiden, aber „wenn die Spiele abgesagt werden, bekommen die Menschen irgendwann große Angst“.
Auch deshalb findet der Bundesliga- Spieltag statt, genauso die Spiele in Champions League und Europa League in der kommenden Woche. „Es gibt keine Erkenntnisse von jedweder Gefährdung“, sagt Hendrik Große Lefert, der Sicherheitsbeauftragte der DFB. Trotzdem muss immer wieder im Einzelfall entschieden werden: Wann ist eine Drohung wirklich ernst zu nehmen? Wann erlaubt sich ein Trittbrettfahrer nur einen billigen Scherz, den man getrost ignorieren kann? Diese Fragen haben am Dienstag auch die Sicherheitsbehörden in Hannover beantworten müssen, und sie sind schließlich zu dem Schluss gekommen, dass eine reale Gefährdung für die Zuschauer vorgelegen habe und das Spiel deshalb abgesagt werden müsse.
Hertha-Trainer Dardai verkündet: "Ich habe keine Angst"
„Wir sollten jetzt nicht in Hysterie verfallen, sondern gemeinsam überlegen, wie wir die ohnehin schon hohen Sicherheitsstandards noch erhöhen können“, sagt Hans-Joachim Watzke, der Geschäftsführer von Borussia Dortmund. So ähnlich äußern sich die meisten Vereinsvertreter. Die Argumente klingen so, wie sie auch vor dem Länderspiel in Hannover geklungen haben: Man dürfe sich nicht unterkriegen lassen, sonst hätten die Terroristen doch genau das erreicht, was sie erreichen wollten. „Es gibt keine Alternative“, sagt Watzke. „Wir müssen als Zivilgesellschaft Courage zeigen und dürfen nicht kapitulieren. Sonst jubeln doch genau die Leute, die jetzt nicht jubeln sollen.“
Es gibt in dieser Sache gewissermaßen ein übergeordnetes Interesse, das über dem eigenen Empfinden steht. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, wenn Fin Bartels von Werder Bremen einerseits „ein mulmiges Gefühl“, hat. Und andererseits sagt: „Ich denke, es wäre das Verkehrteste, wenn man jetzt nicht spielen würde. Wir dürfen nicht in Angst und Schrecken verfallen.“ Auch unter den Nationalspielern gab es viele, die von vornherein in Hannover lieber nicht gespielt hätten, die sich aber der Staatsräson gebeugt haben. Wenn auch am Ende vergebens.
„Man muss die Angst und Bedenken auch mal ausblenden“, sagt Bruno Labbadia, der Trainer des Hamburger SV, der schon am Freitagabend (gegen Borussia Dortmund) spielen muss. Auch wenn es das erste Mal sei, dass der Terror dem Fußball so nahe gekommen sei, „lasse ich es nicht zu, dass ich mich einschränke“. Sein Berliner Kollege Pal Dardai verkündet: „Ich habe keine Angst.“ Was allerdings auch daran liegt, dass er bereits Erfahrungen mit dem Tod beim Fußball gemacht hat. Dardais Bruder ist auf dem Platz gestorben, in den Armen seines Vaters, nachdem er seine Zunge verschluckt hatte und erstickt war. „Ich würde spielen“, sagt Dardai. „Fußball ist für mich heilig.“ Das Problem ist: Den Menschen, die angeblich im Namen eines heiligen Krieges morden, ist gar nichts heilig. (mit dpa)