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Goldfinger: Bei den Spielen in Rio de Janeiro krönte sich Christoph Harting zum Olympiasieger.
© Kai Pfaffenbach/REUTERS

Sie starten bei den Leichtathletik-Finals für Berlin: Olympiasieger, Influencerin, E-Scooter-Fan

Bei den deutschen Meisterschaften gehen auch einige Leichtathletinnen und -athleten aus Berlin an den Start. Hier lernen Sie ein paar von ihnen kennen.

Christoph Harting (29 Jahre, SCC Berlin, Diskuswurf)
Seit inzwischen 13 Jahren kennt die Liste der Deutschen Meister im Diskuswurf nur einen Namen: Harting. In den Jahren 2018 und 2015 ist der Eintrag mit dem Zusatz „Christoph“ versehen, in all den anderen Jahren seit 2007 lautet er „Robert“. Doch Harting, Robert hat im vergangenen Jahr seine Karriere beendet. Bei den Finals ist es nun also an Harting, Christoph, den Titel in der Familie zu halten.

Doch interessieren dürfte das den 29-Jährigen kaum. Mit seinem Bruder verbindet ihn wenig, die beiden pflegen ein Nicht-Verhältnis. Der überraschende Olympiasieg 2016 wirkte deshalb für Christoph Harting wie ein Befreiungsschlag, endlich konnte er sich aus dem Schatten seines Bruders lösen. Danach machte er Schlagzeilen, weil er nicht brav wie andere Olympia-Champs Interviews geben und bei der Hymne strammstehen wollte.

Und auch sportlich kam er seitdem nicht mehr richtig in Tritt. Die WM 2017 verpasste er, bei der Heim-EM im vergangenen Jahr scheiterte er in der Qualifikation. Doch Harting ficht das wenig an. Sein großes Ziel ist Olympia 2020. Und der Weltrekord. „Dafür verzichte ich auch auf kurz- und mittelfristige Erfolge“, sagte er zuletzt der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Ich muss nicht Europameister werden, ich muss nicht Weltmeister werden. Im Zyklus meiner Leistungsentwicklung ist es wichtiger, weit zu werfen, als Etappenziele mitzunehmen.“

Was andere über ihn denken, war Harting schon immer egal. Und viel daran herumschrauben lässt sich ohnehin nicht. Denn als Leichtathlet tauche er in der Regel ja nur einmal im Jahr groß auf, so hat er es einmal dem Tagesspiegel erklärt: „Und da wird das Urteil gefällt.“ Die diesjährige Jury tagt am Wochenende.

Svea Köhrbrück (25 Jahre, SCC Berlin, 400 Meter)
Trainingslager – das klingt nach Plage und Quälerei. Svea Köhrbrück weiß das. Deshalb macht sie auch erst noch einen Schlenker, bevor sie erklärt, was sie sich davon verspricht: „Es klingt vielleicht ein bisschen doof, aber: Erholung.“ 

Denn in den letzten Tagen vor den Finals hätte sie sich gerne nur auf den Sport konzentriert. Konnte sie aber nicht: Als Kriminalkommissaranwärterin steckte die 25-Jährige noch im Klausurstress. Im Trainingszentrum Kienbaum erhofft sie sich deshalb „ein bisschen Ruhe vom Alltag, vor allem von der Uni“.

Teamplayer: Svea Köhrbrück (links) ging bei der WM 2017 mit der 400-Meter-Staffel an den Start.
Teamplayer: Svea Köhrbrück (links) ging bei der WM 2017 mit der 400-Meter-Staffel an den Start.
© Martin Rickett/dpa

Das soll ihr helfen, bei den Finals unter die Top Fünf zu laufen. Denn damit hätte sie gute Chancen, mit der Staffel zur WM nach Doha zu fliegen. 2017 war sie schon in London dabei, nachdem sie bei den deutschen Meisterschaften Zweite geworden war. Das kam damals völlig überraschend, denn auf die 400 Meter hatte sie sich erst zwei Jahre zuvor spezialisiert. Vorher hatte sie mit ihrem Vater Carsten, früher Olympiateilnehmer über 400 Meter, heute Athletiktrainer bei den Handballprofis der Füchse Berlin, auf den kürzeren Sprintstrecken erst einmal an ihrer Grundschnelligkeit gearbeitet.

Und einen weiteren Vorteil hat es, dass sie inzwischen die gesamte Stadionrunde läuft. Denn Familie und Bekannte können im Olympiastadion nicht gemeinsam im Publikum sitzen. „Das ist aber eigentlich gar nicht so schlecht“, sagt Köhrbrück. „Bei 400 Metern werde ich dann ja auf der ganzen Runde angefeuert.“

Emil Agyekum (20 Jahre, SCC Berlin, 400 Meter Hürden)
Berlin ist eine schöne Stadt. Berlin ist aber auch eine große Stadt. Von Pankow aus braucht Emil Agyekum gut und gerne eine Stunde bis ins Mommsenstadion. Da tut ein bisschen Beschaulichkeit im Brandenburgischen gut: Vor den Finals war der Hürdensprinter mit seinen Kollegen der 400-Meter-Distanz im Trainingszentrum Kienbaum zugange. „Der Vorteil ist, dass da alles an einem Ort ist“, sagt der 20-Jährige: Trainings- und Erholungsmöglichkeiten, Unterkunft, Verpflegung. „Für mich ist das optimal.“

In Berlin sind noch Sommerferien. Eigentlich eine Zeit, in der der Schüler des Schul- und Leistungssportzentrums in Hohenschönhausen gerne mit seinen Freunden unterwegs ist, Basketball spielen geht oder „ein bisschen mehr faulenzt“, wie er erzählt. Doch jetzt ist bei ihm volle Konzentration angesagt: Bei den Finals tritt er zum ersten Mal im Aktivenbereich bei den deutschen Meisterschaften an.

Sonnige Aussichten: Sprinter Emil Agyekum landete bei der U-23-EM auf Platz drei.
Sonnige Aussichten: Sprinter Emil Agyekum landete bei der U-23-EM auf Platz drei.
© promo

Vor etwa drei Wochen sprintete er bei der U-23-EM im schwedischen Gävle auf Rang drei, seine persönliche Bestleistung hat er in diesem Jahr gleich um etwa eineinhalb Sekunden gesteigert. Die A-Norm für die WM in Doha ist nun in Reichweite gerückt. Und auch für die Finals hat er sich was vorgenommen: „Eine Medaille wäre schon schön“, sagt er.

Entdeckt wurde sein Talent bereits im Vorschulalter. Mit seinen Eltern lebte er damals für zwei Jahre in Ghana. Dort fiel einem Schweizer Lehrer seine Begabung auf. Wieder zurück in Berlin gab er dann im Verein Gas. Auch im Olympiastadion startete er als Kind bereits. „Das ist aber lange her“, sagt Agyekum. Jetzt geht es für ihn dort um mehr.

Wer darf zur WM?

Nach oben: Sprinterin Alica Schmidt startet zum ersten Mal über 400 Meter bei den deutschen Meisterschaften im Aktivenbereich.
Nach oben: Sprinterin Alica Schmidt startet zum ersten Mal über 400 Meter bei den deutschen Meisterschaften im Aktivenbereich.
© promo

Alica Schmidt (20 Jahre, SCC Berlin, 400 Meter)
Am besten schafft man den Elefanten im Raum schnell aus dem Weg: Ja, Alica Schmidt ist keine ganz gewöhnliche Athletin, sie ist auch Influencerin und Model. Auf Instagram folgen ihr über 400 000 Leute, der Boulevard hat sie zur „heißesten Leichtathletin der Welt“ gekürt und einschlägige Medien machen mit ihren Bildern im Trainings- und Strandoutfit gerne Klicks. Aber: „Aussehen ist keine Leistung“, sagt Schmidt. „Ich will auch Anerkennung für meine sportlichen Leistungen.“

Und die haben der 20-Jährigen in diesem Jahr zu ihrem ersten Start bei deutschen Meisterschaften im Aktivenbereich über 400 Meter verholfen. In der U 23 lief sie dabei bereits mit persönlicher Bestleistung auf den dritten Platz, und bei der Junioren-EM schaffte sie es mit der Staffel ebenfalls auf Rang drei. Bei den Finals soll nun eine neue Bestzeit her: „Dann habe ich auch eine Chance auf das Finale“, sagt sie.

Es wird Schmidts erster Auftritt im Olympiastadion. Denn die Sprinterin ist erst seit knapp zwei Jahren in der Region. Nach dem Abitur in Ingolstadt entschied sie sich, ihre Heimat zu verlassen, um ihre Trainingsbedingungen zu verbessern und ein wenig Praxiserfahrung zu sammeln. Sie absolvierte deshalb erst ein FSJ beim Brandenburger Leichtathletik-Verband und wechselte dann auf der Suche nach passenden Trainingspartnerinnen zum SCC: „Damit wir uns im Training pushen können“, erklärt sie. Parallel läuft noch ihr Fernstudium in Medien- und Kommunikationsmanagement. Eine logische Wahl – #Praxiserfahrung

Charlene Woitha (25 Jahre, SCC Berlin, Hammerwurf)
Kurz nach ihrem siebten Geburtstag durfte Charlene Woitha ins Olympiastadion. Ihr Vater hatte sie zum Istaf mitgenommen. Dort sah Woitha als kleines Mädchen, wie Heike Drechsler sich in einem spannenden Weitsprung-Wettbewerb den zweiten Platz sicherte. Danach wusste sie: Das will ich auch.

An der Werner-Seelenbinder-Sportschule eiferte sie so als Mehrkämpferin ihrem Vorbild nach – und vergoss bittere Tränen, als ihr nach einigen Verletzungsproblemen mit 17 von ihrer Trainerin nahegelegt wurde, zum Hammerwerfen zu wechseln. „Das war nicht so das, was ich mir unter Sport vorstelle“, sagt sie heute. „Die Mädels sahen alle nicht so superathletisch aus.“ Doch mit ihren langen Armen und der Größe von 1,80 Metern brachte sie optimale Voraussetzungen mit. Und sie hat festgestellt: „Das Hammerwerfen ist ja inzwischen viel athletischer geworden.“

Der Wechsel hat sich ausgezahlt: 2016 nahm sie an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro und der EM in Amsterdam teil, bei den deutschen Meisterschaften kam sie bereits dreimal aufs Podium. Bei den Finals will sie jedoch eher auf ihre eigene Leistung schauen: 71 Meter würde sie gerne schaffen, dann dürfte sie Ende September wohl mit zur WM nach Doha.

Harte Bandagen: Hammerwerferin Charlene Woitha möchte zur WM.
Harte Bandagen: Hammerwerferin Charlene Woitha möchte zur WM.
© promo

„Man neigt in den Tagen vor solchen Wettbewerben immer dazu, sich ein bisschen verrückt zu machen“, sagt Woitha. Am Sonntag zuvor ist sie deshalb kurzerhand bei ihren Nachbarn ins Auto gestiegen und für einen Tag an die Ostsee gefahren. Einmal noch die Seele baumeln lassen. Denn kurz vor ihrem 26. Geburtstag darf Charlene Woitha wieder ins Olympiastadion.

Marc Koch (25 Jahre, LG Nord Berlin, 400 Meter)
Unfallrisiko, Sicherheitsgefahr, Schwerverletzte – in deutschen Innenstädten muss das nackte Chaos ausgebrochen sein, wenn man die aktuellen Diskussionen um E-Scooter so verfolgt. Marc Koch hat da zuletzt andere Erfahrungen gemacht: „Das ist total entspannt“, sagt der Berliner. Vor ein paar Tagen war er in Hamburg zu Besuch und hat die Stadt per Tretroller erkundet. Für Koch eine praktische Sache, denn vor großen Wettkämpfen spart er sich gerne jeden zusätzlichen Schritt: „Das Laufen macht die Beine müde“, erklärt er. „Da versuche ich, weniger zu Fuß zu gehen.“

Große Augen: In der Halle krönte sich Marc Koch 2017 zum deutschen Meister über 400 Meter.
Große Augen: In der Halle krönte sich Marc Koch 2017 zum deutschen Meister über 400 Meter.
© Hendrik Schmidt/dpa

Noch einmal alle Kräfte bündeln, sich sammeln und an Details arbeiten – das war Kochs Plan für die letzten Tage vor den Finals. Denn dort will er ganz nach vorne: „Wenn ich keine Medaille hole, dann bin ich schon enttäuscht“, sagt er. Der 25-Jährige weiß, dass man schnell an solchen Ansagen gemessen wird. Aber bei der WM in Doha will er mit der 400-Meter-Staffel an den Start gehen. Da hilft eine Top-Platzierung. „Den Deutschen Meister werden sie nicht zuhause lassen“, sagt Koch.

2017 stand er in der Halle schon einmal ganz oben auf dem Podest, im Freien wurde er damals Dritter. Mit sechs hatte ihn ein Freund zur Leichtathletik geschleppt, mit 17 spezialisierte er sich dann auf die Stadionrunde. 2015 trainierte er eine Zeit lang in England, „das hat mich weitergebracht“, sagt Koch. Und nun soll ihn der Heimvorteil pushen: Koch bringt gleich „40, 50 Leute“ mit ins Olympiastadion. Noch so eine praktische Sache.

Leonard Brandbeck

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