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Arm in Arm: Die Ersatzspieler vor Anpfiff des letzten deutschen Vorrundenspiels gegen Südkorea.
© imago/DeFodi

Löw und der DFB nach dem WM-Aus: Nur eine Trotzreaktion kann die Nationalelf wieder aufbauen

Als amtierender Weltmeister enttäuschen? Das hat auch unsere Kolumnistin schon erlebt. 2011 scheiterten die Frauen bei der Heim-WM. Wie kommt ein Team aus diesem Loch?

Auf so ein Scheitern, wie es die deutschen Spieler am Mittwoch erlebt haben, ist man einfach nicht vorbereitet. Und ich weiß, wovon ich spreche. Denn ich habe so etwas auch schon erlebt. Unser Aus bei der WM 2011 fand ich noch ein bisschen schlimmer – schließlich sind wir damals als amtierender Weltmeister bei der Heim-WM gescheitert. Im Viertelfinale gegen Japan war Schluss, dabei hatten alle vorher nur vom Finale gesprochen.

Wenn der Anspruch von außen und innen extrem hoch ist, macht das schon etwas mit einer Mannschaft, vor allem unterbewusst. Man denkt zunächst gar nicht daran, dass man verlieren könnte. So war das auch im Spiel gegen Japan. Erst ab der 60. Minute dachte ich: So langsam müssten wir mal ein Tor schießen. Als dann die weiteren Minuten verrannen, begann der Mindfuck und mir wurde klar: „Ach du Scheiße, wir könnten ja ausscheiden. Ein Fehler, und alles ist vorbei.“ Der Gegner merkt so etwas natürlich und bekommt Aufwind – und man selbst rennt immer wieder gegen eine Wand. Da können auf dem Feld unfassbare Energien entstehen, man spürt das, aber man kann es von außen oder vor dem Fernseher nicht sehen.

Ich habe noch nie eine so ruhige Kabine erlebt wie nach dieser Niederlage. Alles stresst und nervt und man will sich am liebsten vergraben. Wir als Mannschaft haben danach noch lange beim Abendessen gesessen und viel geredet. Emotional habe ich das Ausscheiden lange nicht begriffen – und auch nicht akzeptiert. Es war so skurril. Ich war absolut darauf eingestellt, das nächste WM-Spiel zu spielen. Doch als wir ausgeschieden waren, sind am nächsten Tag alle vom Team einfach nach Hause gefahren. Ich stand dann mit dem Koffer in meiner damaligen Frankfurter Wohnung und dachte: „Und jetzt? Eigentlich kann ich doch auch mit dem Fußball aufhören und etwas ganz anderes machen. Warum setze ich mich überhaupt diesem Druck aus?“

Joachim Löw wird nicht den Feiglings-Weg gehen

Dann habe ich versucht, mir einzureden, dass unser WM-Aus doch eigentlich nur halb so wild war, dass es nur Sport war und keine Operation am offenen Herzen – kein Weltuntergang und so weiter. Aber das hat auch nicht geholfen. Danach habe ich mich mit vielen Freunden getroffen und wollte bloß nicht über Fußball reden, weil das eh alles Schwachsinn gewesen wäre und kein rationaler Gedanke herausgekommen wäre. Zwei Tage später habe ich mich dann besonnen und gesagt: „Jetzt erst recht! Natürlich mache ich weiter und ich zeige jetzt eine Trotzreaktion.“ Mir hat dann enorm geholfen, dass ich viel trainiert habe – um mir zu beweisen: Ich kann es und so etwas wird nicht noch mal passieren.

Als Team haben wir das alles dann erst beim nächsten Nationalmannschafts-Lehrgang verarbeitet. Zunächst lief der Lehrgang fürchterlich, das Team war so verunsichert und wir mussten wieder zusammenfinden. Aber das erste Testspiel danach gegen die starken Schwedinnen haben wir dann 1:0 gewonnen – und das war ein echter Befreiungsschlag für uns. Aber das konnte nur klappen, weil wir uns alle hinterfragt haben. Denn solch ein Scheitern ist ja auch eine besondere Chance für den Umbruch. Und so haben wir alle überlegt: Was kann man verändern? So wird es nun auch bei Joachim Löw und den Nationalspielern sein. Und Löw wird bestimmt auch nicht den Feiglings-Weg gehen und aufhören.

Unsere Kolumnistin Nadine Angerer.
Unsere Kolumnistin Nadine Angerer.
© imago sportfotodienst

Nadine Angerer ist ehemalige Torhüterin der Frauen-Nationalmannschaft, mit der sie zweimal Weltmeister wurde. Hier schreibt sie im Wechsel mit Jens Hegeler, Sven Goldmann, Philipp Köster, Roman Neustädter, Harald Stenger und Frank Lüdecke.

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Nadine Angerer

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