Zwei Weltmeister bei Mercedes: Nico Rosberg und Lewis Hamilton: Angst vor der Eskalation
Nach Rosbergs Titelgewinn und Hamiltons Rebellion steht Mercedes vor der Frage: Wie umgehen mit zwei Weltmeistern im Team? An den Spannungen könnte das Team zerbrechen.
Toto Wolff sah nicht so aus, als habe er gerade Lust, eine Weltmeisterschaft zu feiern. Der Chef des Mercedes-Rennstalls wirkte eher erbost als erleichtert. „Wenn wir so weitermachen, würde das totale Anarchie bedeuten, dann macht jeder, was er will“, sagte der Österreicher. „Da werden wir deshalb schon dazwischenhauen.“ Wolff stand lange nach dem Rennen noch immer unter dem Eindruck des Formel-1-Finals von Abu Dhabi, in dem sich seine beiden Fahrer erbittert bekämpft hatten. Auf dem Weg zu seinem ersten WM-Titel war Nico Rosberg am Sonntag von seinem Vorgänger Lewis Hamilton rundenlang eingebremst worden. Der Brite wollte damit erzwingen, dass sich der heranstürmende Sebastian Vettel im Ferrari und der Red-Bull-Pilot Max Verstappen noch zwischen ihn und Rosberg schieben – dann hätte er seinen Titel erfolgreich verteidigt. Doch die Taktik ging nicht auf, Rosberg wehrte alle Angriffe ab und ließ sich nicht zu einem Fehler verleiten. Er fuhr den zweiten Platz nach Hause und wurde als erster Deutscher in einem deutschen Auto Weltmeister.
Hinterher wollte der erleichterte 31-Jährige gar nicht allzu sehr auf die Methoden seines Kontrahenten eingehen. „Ich habe gewonnen, deshalb kann ich darüber stehen“, sagte er. Er erkannte sogar an, dass Hamilton immerhin die Line zum totalen Krieg auf der Strecke nicht überschritten hatte: „Er hätte sich auch was richtiges Extremes überlegen können.“
Noch steht das Duell der Mercedes-Piloten eine Stufe unter der Mutter aller Teamkriege, dem Kampf zwischen Alain Prost und Ayrton Senna Ende der 1980er. Doch das Ringen der beiden Champions könnte das Team schon in der nächsten Saison zersetzen, so wie es damals bei McLaren geschehen ist. Das technische Reglement ändert sich 2017. Ob Mercedes die Dominanz aufrecht erhält und es wieder zum internen WM-Kampf kommt, wird man sehen. In jedem Fall aber wird Hamilton versuchen, die Position der Nummer eins im Rennstall zurückzuerobern.
Ob es dabei völlig aus dem Ruder läuft, wie einst bei Prost und Senna, als der erbitterte Kampf 1989 in den Unfall von Suzuka mündete, das hängt zuallererst von Hamilton ab. Der Brite hat in Abu Dhabi trotz seines 53. Rennsiegs seine wohl schwerste Niederlage einstecken müssen. Gerade weil er fast bis zum Äußersten ging, verlieh er dem Triumph seines Rivalen zusätzlichen Glanz. „Er ist einer der Besten aller Zeiten“, sagte Rosberg über Hamilton, „ihm die Weltmeisterschaft wegzunehmen, das ist ein phänomenales Gefühl.“ Dieses Gefühl wird ihm auch für künftige Duelle Kraft verleihen. Rosberg: „Für mich ist es einfach eine Erfahrung mehr, die mich stärker macht.“
Aus Mercedes-Sicht besteht nun aber die große Gefahr, dass Hamilton über die schmerzhaften Erfahrung der Niederlage zum Einzelkämpfer im Rennstall wird, der ohne Rücksicht auf Verluste alles versucht, sich seinen Titel zurückzuholen. Bisher hat Toto Wolff den Fight seiner beiden Piloten gut moderiert, nicht zuletzt deswegen entschlossen sich alle Parteien unlängst, die Konstellation bis 2018 so beizubehalten. In Abu Dhabi hat die Auseinandersetzung zwischen Rosberg und Hamilton allerdings eine weitere Stufe auf der Eskalationsleiter erklommen. Schon in der Weltmeisternacht sah sich der Rennstallleiter deshalb gezwungen, Konsequenzen anzukündigen. „Alles ist möglich“, sagte Wolff nach dem, was er einen „Präzedenzfall“ nannte. Vielleicht werde man den Piloten sogar noch mehr Freiheiten auf der Strecke geben, auch wenn dies noch mehr Scharmützel bedeuten könnte. „Wir könnten auch die harte Lösung finden, weil unsere Werte nicht respektiert wurden. Ich bin bereit, über alles zu diskutieren.“
Ein sofortiger Rauswurf Hamiltons, wie ihn manche englische Zeitung befürchtete, dürfte dennoch nicht zur Debatte stehen. Es wird sich wohl auf eine symbolische Strafe beschränken, wie schon in der Vergangenheit. Denn schon mehrfach setzte sich der dreimalige Weltmeister über Anweisungen aus der Box hinweg, der Deutsche befolgte die Teamorder dagegen bisher stets – so auch dieses Jahr in Monaco, als er Hamilton passieren und gewinnen ließ.
Auf lange Sicht wird Mercedes kaum eine andere Wahl bleiben, als entweder jeden Ungehorsam sofort zu sanktionieren oder sich von einem seiner beiden Weltmeister zu trennen. Erste Anzeichen von Entfremdung zeigte Hamilton bereits, als er im Gespräch über sein Team fein zwischen „sie“ und „ich“ unterschied: „Ich weiß nicht, warum sie uns nicht einfach haben fahren lassen. Es ging nur um mich und Nico. Sie hielten es dennoch für nötig, Kommentare abzugeben.“ Dabei habe er nichts Gefährliches oder Unfaires getan.
Die meisten Rennsportexperten waren in der Tat der Ansicht, dass Hamiltons Manöver noch im Toleranzbereich lagen – selbst Rosbergs Vater Keke. „In den letzten beiden Runden hätte ich vielleicht sogar noch mehr erwartet“, sagte der Weltmeister von 1982, der eine Stunde nach dem Triumph seines Sohns zur Party an der Strecke eintraf. „Von daher muss man sagen, dass es okay ist.“
Auch wenn er nichts konkret Regelwidriges unternahm, so setzte Hamilton durch die Blockade doch seine Reputation als harter, aber sauberer Rennfahrer aufs Spiel, auf die er vorher so bedacht war. Sogar in Großbritannien verlor er an Rückhalt. „Hamilton verließ Abu Dhabi ohne Anstand“, befand die „Times“, und der dreimalige Weltmeister Jackie Stewart erklärte, man müsse auch in der Niederlage „ein bisschen Würde“ zeigen.
Beinahe dieselben Worte wählte Toto Wolff. Wer dem Mercedes-Teamchefs zuhörte, der konnte auf die Idee kommen, dass Hamiltons Ansehen auch bei seinem Arbeitgeber nachhaltig gelitten hat. Hamilton habe durch sein Verhalten „die Teamstruktur unterwandert“ und sich selbst über das Team gestellt, sagte Wolff.Kombiniert mit Hamiltons kontinuierlich vorgetragenen Vorwürfen, technische Defekte an seinem Auto hätten ihn den Titel gekostet, rief das offenbar regelrecht persönliche Enttäuschung bei Wolff hervor.
Toto Wolff weiß, dass seine Aufgabe mit zwei Weltmeistern in der Garage deutlich delikater geworden ist. Die ohnehin fragile Konstellation bei Mercedes trug vier Jahre lang nur, weil Rosberg zwar meist auf Augenhöhe mit Hamilton kämpfte, am Ende aber ohne Aufstand seinen Platz im Windschatten akzeptierte. Wenn nun auch der eher harmoniebedachte Deutsche die Ansprüche erhebt, die seinem seinem neuen Status als Weltmeister entsprechen, wenn er ebenfalls das Recht zum Alleingang für sich reklamiert, dann droht die totale Eskalation, „Ich werde als Nummer eins besser sein als vorher“, kündigte Rosberg bereits an. Lewis Hamilton wird es vernommen haben.