Formel 1 trifft Fashion Week: Nico Rosberg: Gebrochen oder gestärkt?
Der Mercedes-Pilot zeigt sich gut gelaunt in Berlin. Das verlorene WM-Finale gegen Lewis Hamilton scheint er verarbeitet zu haben - Experten sehen ihn für das Duell in diesem Jahr sogar gestärkt.
Das erste Rennen des neuen Jahres hat Nico Rosberg gewonnen, wenn man so will. Der Vizeweltmeister der Formel 1 steht geschniegelt in der temporären Veranstaltungshalle am Brandenburger Tor, wo er mit seinem Mercedes-Teamkollegen Lewis Hamilton eine Modekampage auf der Fashion Week präsentieren soll. Doch Rosberg hat freie Bahn, der Stallrivale, der ihn 2014 auf der Strecke piesackte, ist nicht in Sicht. „Lewis Hamilton hat es leider nicht geschafft“, sagt der Moderator entschuldigend. So steht Rosberg allein mit der Modefotografin Collier Schorr und dem Model Dree Hemingway da, der Urenkelin von Ernest, und gibt seine Ansichten über Mode preis. „Ich mag es, morgens meine Sachen auszuwählen“, sagt er. „Der erste Eindruck ist wichtig in unserer Welt.“ Der Deutsche wirkt gut gelaunt und keineswegs so, als empfände er wegen der Abstinenz seines Teamkollegen besondere Trauer.
Nico Rosberg und Lewis Hamilton haben sich ohnehin mehr oder weniger darauf verständigt, sich eher aus dem Weg zu gehen - so gut es für Kollegen eben machbar ist. Spätestens seit der Eskalation von Belgien, als sich beide Autos im Rennen berührten und Hamilton ausfiel, gilt im Mercedes-Team die Vorgabe: Bitte weiträumig umfahren. Zur Sicherheit setzen die beiden Streithähne diese Direktive offenbar auch im Privatleben um. Dem Vernehmen nach ist Hamilton aus dem Apartmentblock im monegassischen Stadtteil Larvotto ausgezogen, in dem Rosberg schon sein ganzes Leben wohnt. So ganz genau weiß allerdings auch Rosberg nicht Bescheid über den Verbleib seines prominenten Nachbarn, die beiden sind sich offenbar schon länger nicht mehr an der Haustür begegnet.
Niki Lauda sieht dieses Fahren und Leben lassen als Indiz dafür, dass der Konflikt nicht ähnlich unfeine Züge annimmt wie der zwischen Alain Prost und Ayrton Senna, die sich einst gegenseitig von der Strecke rammten. „Sie haben einen gewissen Respekt voreinander“, sagt der Vorstand des Mercedes-Teams über seine Piloten. „Wenn du diese Schwierigkeiten hinter dir lässt - der eine gewinnt die Meisterschaft, der andere nicht, der eine berührt den anderen und der andere nicht - dann wird es einfacher, denn die beiden respektieren sich auf ihrem Leistungsniveau.“
Rosberg hat offen eingeräumt: "Hamilton ist verdient Weltmeister geworden"
Der Umgang mit der Niederlage hat vor allem Rosberg auch viel Respekt von anderer Seite eingebracht. Noch beim WM-Finale in Abu Dhabi hatte der 29-Jährige seinem Gegner nach Monaten beidseitiger Ignoranz zum Triumph gratuliert. Daimler-Chef Dieter Zetsche lobte Rosbergs Kampfgeist in einem Weihnachtsbrief an die Untergebenen als leuchtendes Beispiel. „Mir selbst wird ein Satz besonders in Erinnerung bleiben: Ich wollte einfach die Zielflagge sehen“, schrieb Zetsche. Gemeint war Rosbergs Weigerung, der Anweisung aus der Box Folge zu leisten und sein defektes Auto in Abu Dhabi einfach abzustellen. „Nico hat das Rennen bis zum Schluss durchgezogen. Dabei ging es nicht nur um die Zielflagge, es ging auch ums Prinzip: nicht aufgeben, sondern dranbleiben und sich durchbeißen.“
Für seine neuerliche Attacke auf den nun zweimaligen Weltmeister hat Rosberg einen in der Formel 1 eher unüblichen Ansatz gewählt: Er hat reinen Tisch gemacht. Hat auf die Flucht in Verschwörungstheorien verzichtet und stattdessen offen eingeräumt: „Lewis ist verdient Weltmeister geworden.“ Danach hat Rosberg seine Leistung selbst einer eingehenden Analyse unterzogen. So kam er zu dem Schluss, dass seine reine Geschwindigkeit auf einer Runde stimmt, wie man an den gewonnenen Qualifikationsduellen sehen konnte. Doch in den Rennen muss er sich verbessern, am Ende gewann Hamilton mehr als doppelt so viele Große Preise (elf) wie er (fünf). In Monza und Sotschi zeigte Rosberg zudem Schwächen unter Druck, sein Zweikampfverhalten ist optimierungswürdig.
Rosberg muss in diesem Jahr gut aus den Startlöchern kommen
Man kann an einer solchen Niederlage gegen den Teamkollegen zerbrechen, doch genau diese eher nüchterne Herangehensweise nährt die Hoffnung, dass Nico Rosberg die mentale Stärke für einen weiteren Anlauf mitbringt. Zwar wirkte er zumindest gegen Ende des WM-Kampfs angespannt und teilweise neben sich stehend. Deswegen geht wohl auch Hamiltons Vater Anthony davon aus, dass sein Sohn den Konkurrenten gebrochen hat und den Titel 2015 „schon zur Saisonmitte holt“. Der frühere Formel-1-Pilot David Coulthard jedoch schätzt Rosberg künftig sogar stärker ein als bisher, „da er jetzt die Erfahrung hat, um einen WM-Titel zu kämpfen“. Es sei für niemanden leicht, im Rampenlicht zu stehen, und Rosberg wisse nun, was ihn erwarte. Für den erfahrenen Lewis Hamilton sehe er umgekehrt „keine Möglichkeit, wie er noch besser werden kann, weil er schon auf einem solch unglaublich hohen Niveau ist“. Auch Niki Lauda, der seine Begeisterung für Hamilton selten zähmen kann, glaubt: „Nico wird zurückschlagen und er hat noch Potenzial nach oben.“
Doch Rosberg muss schnell zurückschlagen, das weiß er selbst. Er muss in diesem Jahr gut aus den Startlöchern kommen, nicht nur beim Rennen um Sponsorentermine. Andernfalls könnte sich Hamiltons Status als Nummer eins im Rennstall zementieren, und dann wird es für den Deutschen fast unmöglich, die Verhältnisse noch einmal zu kippen. Die Gefahr, vom Star Hamilton verschattet zu werden, ist ohnehin latent vorhanden, obwohl 2015 noch kein Kilometer gefahren wurde. Der Vertrag des Briten mit Mercedes läuft nach der Saison aus, ein neuer wird gerade ausverhandelt. Sollte man sich einigen, dürfte der gut gemanagte Hamilton seinem Kontrahenten zumindest in der Kategorie Gehalt wohl noch weiter enteilt sein.
Einen wichtigeren Wettlauf vor dem Saisonstart als den am Mittwoch in Berlin hat Nico Rosberg immerhin schon für sich entschieden. Der neue Mercedes wird am 1. Februar in Jerez vorgestellt, und die erste Ausfahrt darf der Deutsche unternehmen.