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Er ist weder besonders groß noch kräftig. Trotzdem gewinnt N’Golo Kanté (l.) beinahe jedes Duell.
© Reuters

Fußball-WM 2018: N’Golo Kanté erwärmt die Welt

Er spricht nicht viel, er trifft nicht oft. Trotzdem ist N’Golo Kanté der überragende Spieler Frankreichs. Läuft er auch im Finale gegen Kroatien allen davon?

Leicesters Christian Fuchs stellte sich einmal einer virtuellen Fragerunde. „Welche drei Spieler würdest du mit auf eine einsame Insel nehmen?“, wollte ein User wissen. Fuchs antwortete: „Ich bräuchte nur einen: N’Golo Kanté. Er würde mich von der Insel wegtragen und durch den Ozean schwimmen, bis wir in Sicherheit wären.“

Fuchs war 2016 mit Kanté sensationell Meister geworden. Danach kämpfte Fuchs mit den „Foxes“ um den Klassenerhalt, während der weitergezogene Kanté wieder Englischer Meister wurde, diesmal mit Chelsea. 2016 erreichte der 27-Jährige mit Frankreich das EM-Finale, 2018 das Endspiel der Weltmeisterschaft in Russland. Zufall ist das nicht. Der französische Mittelfeldspieler fasziniert ganz England und animiert zu Witzen über seine unglaubliche Laufstärke und Kondition, wie sie auch Christian Fuchs gebracht hat. Ein geflügeltes Wort beispielsweise: „70 Prozent der Erde sind von Wasser bedeckt, der Rest von N’Golo Kanté.“ Oder: „Bevor du Kanté auf Twitter folgen kannst, folgt er dir schon lange.“

Das andere Faszinosum ist sein Spielverständnis, seine unglaubliche Antizipation. Der dazugehörige Gag: „Chelsea wollte eine Überraschungsparty zu seinem Geburtstag organisieren. Doch er hat es kommen gesehen und sie abgefangen.“ Kanté ist allerdings weit mehr als ein weiteres Hans-Sarpei-Meme, die Bewunderung für den wuseligen Spieler hat auch die Expertenrunden und Spielerkollegen erreicht.

Bereits 2016 galt er als verheißungsvoller Kandidat, 2017 kürten ihn die Profis der Liga tatsächlich zu „Englands bestem Fußballer des Jahres“. Nicht Eden Hazard, nicht Harry Kane, nicht Romelu Lukaku – nein, Kanté machte das Rennen. Damit wurde er notgedrungen zu einem Star der Premier League, auch wenn er das Rampenlicht konsequent scheut.

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Das mag mit seinem zurückhaltenden Charakter und Lebensstil zu tun haben. „Es ist eine große Ehre, von den anderen Spielern gewählt zu werden“, wurde er nach der Wahl zitiert. Doch die wenigsten glaubten, dass er überhaupt einen Satz gesagt habe. Kanté gilt als beharrlicher Schweiger, bei dem ein Lächeln einem Gefühlsausbruch gleichkommt. Die BBC veröffentlichte sogleich ein anderthalbstündiges Radiospecial über Kanté, bei dem die Experten in der Runde sicher waren: „So lange wie wir über ihn sprechen, hat er selbst noch nicht geredet.“

Kanté spult nicht einfach sinnlos Kilometer ab. Er schließt sinnvoll die Räume

Leicesters Ersatztorwart Mark Schwarzer berichtete in dem Beitrag dann auch von der Euphorie nach dem Sieg 2016 bei Man City, mit dem Leicester endgültig auf die Meisterspur einbog. In der Kabine sei es hoch hergegangen, doch Kanté, der ein großartiges Spiel abgeliefert hatte, saß unberührt da. „Man hätte ihm nicht ansehen können, dass er überhaupt beim Spiel dabei war.“

Schwarzer fuhr fort, man müsse Kantés Spiel genau beobachten, er selbst sei dabei jedes Mal „gefesselt“. Kanté gewinnt verloren geglaubte Bälle zurück, er kommt dabei erstaunlich oft ohne Foul aus. Seine Tacklings sind nicht besonders körperbetont, er liest die Bewegungen seines Gegenspielers und gewinnt die Bälle deswegen mit kleinen, schnellen Bewegungen.

Er mag ein Konditionswunder sein, doch er spult nicht sinnlos Kilometer ab, sondern schließt gekonnt die Räume. Bei eigenem Ballbesitz führt Kanté den Ball eng am Fuß, seine Pässe sind genau getimt, auch wenn er sie selten hinter die letzte Linie spielt. Seine Passgenauigkeit lag bereits in seiner ersten Premier-League-Saison bei 89 Prozent.

An der Schnittstelle zwischen Defensive und Offensive leitet er nicht nur einen Großteil der Angriffe ein, sondern hält sehr viel Druck vom eigenen Strafraum weg. Gary Lineker fasste das Phänomen während Leicesters Schwächeperiode 2017 so zusammen, als er über deren Innenverteidigung twitterte: „Morgan und Huth sind ohne Kanté eben doch nur Morgan und Huth.“

Dabei ist Kanté, gemessen an seiner enormen Zweikampfstärke, mit seinen 1,69 Metern relativ klein und nicht sonderlich robust. Doch sein Ehrgeiz ist ebenso ausgeprägt wie seine Bescheidenheit. Schon während seiner ersten Profijahre in Frankreich nahm er einen Scooter, um seine Einkäufe im Supermarkt der Stadt zu tätigen. Zum Training fuhr er in einem klapprigen Renault, in Leicester wechselte er den Wagen. Er entschied sich für einen Mini.

Der unscheinbare Kanté wäre wohl noch immer im französischen Caen unterwegs, wenn nicht Leicesters einstiger Topscout Steve Walsh 2015 derart überzeugt von ihm gewesen wäre. Walsh redete immerzu auf den Cheftrainer Claudio Ranieri ein, diesen kleinen Franzosen zu holen. Doch Ranieri zweifelte an dessen Physis. Wenn die beiden sich danach auf den Fluren des Trainingsgeländes begegneten, flüsterte Walsh immer wieder: „Kanté! Kanté!“ Bis Ranieri irgendwann ein Einsehen hatte – und für 5,6 Millionen Pfund den besten Transfer der letzten Jahre in England tätigte. Es war der Beginn einer Sensation auf dem Rasen – und im Netz.

Beides beeindruckt Kanté nicht im Übermaß, von ihm ist ein für seine Verhältnisse unglaublich langer Monolog überliefert: „Meine Teamkollegen haben mir von den Kanté-Facts erzählt. Das ist schon etwas lustig. Aber ich decke nicht 30 Prozent der Erde ab.“ Mag sein. Seine Fans aber pochen weiter auf folgende Statistik: Die Heatmap eines Spiels von N’Golo Kanté hat die globale Erwärmung um zehn Jahre beschleunigt.

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