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Der letzte Deutsche. Marc-André ter Stegen trifft am Samstag mit dem FC Barcelona im Finale der Champions League in Berlin auf Juventus Turin. Der 23-Jährige ist 2014 für zwölf Millionen Euro von Borussia Mönchengladbach zu Barça gewechselt.
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Uwe Kamps über Marc-André ter Stegen: „Ich konnte ein paar Sachen – er kann alles“

Ex-Bundesligakeeper und Torwarttrainer Uwe Kamps spricht im Interview über seinen Schützling Marc-André ter Stegen, den einzigen Deutschen im Finale der Champions League in Berlin zwischen dem FC Barcelona und Juventus Turin.

Herr Kamps, fühlen Sie sich auch ein bisschen als Champions-League-Finalist?

Nee, um Gottes willen. Das hat Marc schon alleine hinbekommen.

Aber Sie sind schon ein bisschen stolz auf Marc-André ter Stegen?

Natürlich sind wir stolz auf ihn. Er hat vorige Woche den Pokal gewonnen, kann jetzt noch den größten Titel holen, den es im Klubfußball gibt. Es ist schön zu sehen, dass er auf so einem hohen Niveau spielen kann und seinen Anteil daran hat, dass Barcelona im Finale der Champions League steht. Ein bisschen konnte ich ja auch daran drehen. Aber man muss auch sehen, dass er ein großes, großes Talent hat.

Wie eng ist Ihr Kontakt?

Der ist richtig gut. Wir telefonieren regelmäßig, zuletzt vor einer Woche. Wir sprechen über Dinge, die ich im Fernsehen bei ihm sehe, und ab und zu kann ich ihm auch noch einen Hinweis geben. Ich glaube, er legt auch noch Wert auf meine Meinung.

Haben Sie ihn mal gefragt, ob er noch eine Karte für das Finale hat?

Das wäre kein Problem gewesen. Er wollte mich sogar einladen.

Und Sie wollten nicht?

Wollen eigentlich schon. Ich habe auch noch versucht, etwas zu deichseln. Aber wir hatten schon Urlaub gebucht.

Als Torhüter waren Sie ganz anders als ter Stegen. Sie haben sich eher auf der Linie wohlgefühlt, er hingegen interpretiert seine Rolle sehr offensiv. War es eine bewusste Entscheidung, ihn gewissermaßen zu Ihrem Gegenmodell auszubilden?

Man muss dazu wissen, dass es zu Beginn meiner Karriere nicht einmal einen Torwarttrainer gegeben hat. Es gab auch niemanden, der uns auf unsere Schwächen hingewiesen, geschweige denn daran gearbeitet hätte. Man hat sie nur hinterher gesehen. Heute beginnt das spezifische Torwarttraining schon in der Jugend. Man muss bei Marc aber auch ganz klar sagen: Er ist einfach der bessere Torhüter. Er kann halt alle Sachen. Ich konnte ein paar Sachen. Aber ich konnte nicht Fußball spielen, ich war bei den Flanken nicht so stark. Das hat sich mit der Zeit ein bisschen entwickelt, aber bei Weitem nicht so wie bei Marc. Im Training lege ich schon Wert drauf, dass die Jungs die Dinge beherrschen, die ich selbst nicht so konnte.

Erkennen Sie Veränderungen in seinem Torwartspiel, seitdem er in Barcelona ist?

Eigentlich weiß man ja, was er kann und was er mitgebracht hat. Er war immer schon sehr weit. Marc beherrscht alle Facetten, die ein moderner Torhüter braucht. Aber diese internationalen Spiele auf höchstem Niveau sind noch mal ein Schüppchen obendrauf. Das bringt noch ein bisschen mehr Selbstvertrauen – woran es ihm natürlich auch nicht mangelt. Marc steht bei solchen Spielen schon sehr – wie soll man das sagen? – gelassen in der Kiste. Und das in seinem jungen Alter.

Wo kann er noch besser werden?

Er ist schon sehr weit oben, nah bei den Top-Torhütern in Europa. Das hat er mit dem Erreichen des Champions-League-Finales noch einmal bewiesen. Marc ist einfach ein kompletter Torhüter, der wirklich alle Dinge sehr gut beherrscht. Er ist wie ein elfter Feldspieler, der auch auf dem Feld auf höchstem Niveau mithalten könnte. Bis heute weiß ja niemand, ob er Rechts- oder Linksfuß ist. Es werden jetzt sicher noch Erfahrungswerte hinzukommen. Aber es gibt nichts, wo ich ansetzen und sagen könnte: Da reicht es nicht.

Sie hatten ihm geraten, noch ein, zwei Jahre in Gladbach zu bleiben. Haben Sie inzwischen Abbitte bei ihm geleistet?

Da war natürlich ein bisschen der Wunsch der Vater des Gedankens. Er hat sich ja auch bei uns gut entwickelt und könnte jetzt, mit einem Jahr Verspätung, auch mit Borussia in der Champions League spielen. Trotzdem kann man nicht sagen, dass seine Entscheidung falsch war. Man hat im Fußballerleben wahrscheinlich nur einmal die Chance, zu einem solchen Klub zu wechseln. Wechseln zu dürfen.

Uwe Kamps über Enke und Hildebrand als Negativbeispiele und das Debüt von Marc-André ter Stegen

 Uwe Kamps (l.) ist seit 2004 Torwarttrainer bei Borussia Mönchengladbach. Zwischen 1982 und 2004 bestritt er 390 Bundesliga- und 67 Zweitligaspiele für den Klub.
Uwe Kamps (l.) ist seit 2004 Torwarttrainer bei Borussia Mönchengladbach. Zwischen 1982 und 2004 bestritt er 390 Bundesliga- und 67 Zweitligaspiele für den Klub.
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Hatten Sie Sorgen, dass Marc-André ter Stegen beim FC Barcelona scheitern könnte?

Es hat zumindest in der Vergangenheit deutsche Torhüter gegeben, die im Ausland große Schwierigkeiten hatten. Aber auch da hat Marc uns Lügen gestraft. Er hat alles sehr souverän hingekriegt, ein tolles erstes Jahr gespielt. Er ist in Barcelona total angekommen.

Haben Sie ihn explizit vor einem Wechsel ins Ausland gewarnt, mit Blick auf die Schwierigkeiten, die Timo Hildebrand oder Robert Enke gehabt haben?

Natürlich haben wir darüber gesprochen, dass es richtig gute deutsche Torhüter im Ausland nicht gepackt haben. Und natürlich habe ich meine Bedenken geäußert. Neben den Torhütern, die Sie genannt haben, gibt es auch noch Jens Lehmann. Der ist aus Italien wieder nach Deutschland zurückgekommen und hat es erst im zweiten Anlauf bei Arsenal geschafft. Aber Marc war da sehr straight, er hat sich das zugetraut und er hat klar bewiesen, dass er alles richtig gemacht hat.

Haben Sie es als persönliche Niederlage empfunden, dass er geht?

Gar nicht. Wenn der FC Barcelona einen Torhüter von Borussia Mönchengladbach verpflichtet und er im ersten Jahr in der Champions League spielt, muss man das als Erfolg ansehen, nicht als Niederlage. Besser geht es nicht. Es ist eine Auszeichnung für den Klub, für die ganze Ausbildung des Jungen, der hier alle Mannschaften von der F-Jugend an durchlaufen hat. Eine Bestätigung für alle Trainer, die daran beteiligt waren. Und letztlich hat der Klub auch noch richtig viel Geld bekommen. Alle Beteiligten haben aus der Situation das Bestmögliche herausgezogen.

Haben Sie mit ihm vorab das Szenario durchgespielt, dass er nur in der Champions League zum Einsatz kommt?

Dazu sind zu viele Dinge passiert, mit denen man nicht rechnen konnte. Es stand ja noch nicht fest, dass Barcelona mit Claudio Bravo einen weiteren Torhüter verpflichten würde. Dann war der Sportdirektor, der Marc geholt hat, auf einmal weg. Andoni Zubizarreta war nicht nur selbst Torhüter, er war für Marc auch ein Vertrauter. Aber fürs erste Jahr hat Barcelona eine für alle Seiten gute Lösung gefunden. Jetzt sind sie dort einen Schritt weiter und müssen sich entscheiden: Wer ist die Nummer 1? Oder, wenn Sie so wollen, die 1a? Ich glaube, da hat Marc einen Schritt nach vorne gemacht.

Inwiefern?

Er ist vor einem Jahr von Borussia Mönchengladbach gekommen, hatte nur wenige Länderspiele bestritten. Da haben sich wahrscheinlich in Barcelona einige gefragt: Wer ist das eigentlich? Jetzt hat er klar gezeigt, wer er ist, wie er ist und was er kann. Ich glaube, es wird künftig eher so sein, wie Marc sich das erträumt hat.

Es würde Sie also wundern, wenn es so bliebe, dass Bravo in der Liga spielt und ter Stegen in der Champions League?

Ich denke, dass sich was ändern wird.

Werden Sie eigentlich wütend, wenn Sie hören: Er spielt ja „nur“ Champions League?

Wütend nicht. Es stimmt ja auch nicht. Marc hat die U-21-Länderspiele gemacht, er hat im Pokal gespielt, in der Champions League. Er hat also einen gewissen Rhythmus gehabt. Aber ich weiß ja, wie er ist und wie er tickt. Marc will am liebsten alles spielen, aber damit wird man dem anderen Torhüter nicht gerecht. Beide sind gut, und beide werden im Laufe einer langen Saison gebraucht.

Borussias Trainer Lucien Favre hat nach ter Stegens Bundesligadebüt gesagt: Wer nicht sieht, dass er Qualität hat, der ist blind. Wann sind Ihnen die Augen aufgegangen?

Eigentlich sofort. Er ist als U-15- oder U-16-Spieler in meine Trainingsgruppe mit den U-17- und U-19-Torhütern gekommen, weil er dieses Niveau einfach schon hatte. Mit 17 haben wir ihn dann zu den Profis hochgeholt. Damals habe ich gesagt: Wenn es nur nach der Trainingsleistung geht, müsste eigentlich er spielen.

Ist Ihnen etwas Spezielles aufgefallen?

Es war eher das Gesamtpaket: wie er gehalten hat, wie selbstbewusst er im Tor stand. Klar gab es ein paar Dinge, die man noch verbessern konnte. Das Spiel mit dem Fuß und die Spieleröffnung haben wir später intensiviert. Und anfangs ging es noch darum, dass er bei hohen Bällen, seitlich, oben, ein bisschen mehr Druck aufbaut. Das Endprodukt kennen Sie ja auch. Ich glaube, das haben wir ganz ordentlich hingekriegt.

Trotzdem sollen Sie vor seinem Bundesliga-Debüt 2011 gegen den 1. FC Köln Ihr Veto eingelegt haben.

Das habe ich auch gelesen. Das Gegenteil ist richtig. Ich habe das eher angeschoben.

Angeblich sollen Sie befürchtet haben, dass die Situation im Abstiegskampf ter Stegen überfordern könnte.

Wir haben damals alles ausdiskutiert, das Für und Wider. Man hat gemerkt, wie heiß Marc darauf war zu spielen. Und für einen Gladbacher Jungen kann es als Debüt gar kein größeres Spiel geben als das Derby gegen Köln. Eigentlich war das der perfekte Rahmen. Die Idee war auch, dass man die Mannschaft ein bisschen antippen kann. Wenn da ein junger Torwart hinten drin steht, kann das dazu führen, dass die Spieler sagen: „Hey, dem müssen wir jetzt auch ein bisschen helfen.“ Das war dann aber gar nicht nötig, weil Marc es gleich richtig gut gemacht hat. Und großen Anteil daran hatte, dass wir in der Liga geblieben sind.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

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