Cricket-Boom in Deutschland: Mehr Plätze würden dem Spiel guttun
Cricket wächst wegen der vielen Flüchtlinge nirgends so rasant wie hierzulande. Doch die Deutschen tun sich noch schwer mit dem Sport.
Es ist schon ein merkwürdiger Zufall, aber als das mit dem Cricket für Volker Ellerbeck in Berlin begann, da nannte sich seine Mannschaft noch „The Refugees“ – die Flüchtlinge. „Das waren viele von uns auch“, sagt Ellerbeck. „Geflüchtete vom Thatcher-England.“ Heute, mehr als dreißig Jahre später, heißt seine Truppe nicht mehr „The Refugees“, obwohl sie es mehr denn je sind. Beim Berliner Cricket-Club (BCC), dessen Erster Vorsitzender Ellerbeck ist, spielen Tamilen, Pakistaner, Inder und neuerdings auch Syrer und Afghanen. „Internationaler geht eigentlich nicht“, sagt Ellerbeck, und dass der BCC der Inbegriff der Integration sei.
Was für den BCC gilt, gilt generell für das Cricket in Deutschland. Mit den vielen Flüchtlingen, die in den Jahren 2015 und 2016 kamen, erfuhr die Sportart hierzulande einen riesigen Zulauf. In Syrien und noch mehr in Afghanistan ist Cricket das große Ding ist. „Noch größer als Fußball“, sagt Brian Mantle.
Mantle versucht wie Ellerbeck seit vielen Jahren, Cricket in Deutschland voranzubringen. Seit sechs Jahren ist der Engländer Geschäftsführer des Deutschen Cricket-Bundes (DCB). Das ist keine besonders lange Zeit. Doch als Mantle mit dem Job begann, gab es deutschlandweit 70 Mannschaften. Cricket war keine Randsportart, Cricket war so gut wie nicht existent im deutschen Sport. Heute gibt es 320 Mannschaften, und beinahe jede Woche gründen sich neue Teams. Auch die Mitgliederzahl im DCB hat sich auf mehr als 6000 verdoppelt. „Die Entwicklung in den vergangenen 18 Monaten war schon phänomenal. Kein Land auf der Welt wächst im Cricket schneller als Deutschland“, sagt Mantle.
Für die meisten Deutschen ist Cricket aber immer noch eine seltsame Sportart. Dabei hat sie gerade in Berlin durchaus Geschichte. 1891 wurde in der Hauptstadt des Deutschen Kaiserreiches der Deutsche Fußball- und Cricket-Bund gegründet. „Es gab vor dem Ersten Weltkrieg in Berlin eine Liga mit 13 Mannschaften, die auf dem Tempelhofer Feld gegeneinander antraten“, erzählt Ellerbeck, der durch sein Studium in Oxford einst auf die Sportart aufmerksam geworden war. Doch Cricket fiel der anti-englischen Stimmung im wilhelminischen Reich zum Opfer und auch dem Umstand, dass neben dem zu dieser Zeit noch neuen Fußball wenig Platz für anderes war. Cricket verschwand in Deutschland, weltweit aber ist die Sportart bis heute eine der beliebtesten und meist gespielten überhaupt.
Cricket – und das macht die Etablierung ziemlich schwierig – ist gleich in mehrerer Hinsicht eine komplizierte Sportart. Da wäre die Spielform, die sich nicht jedem schnell erschließt. Das Spiel ähnelt dem Baseball. Es treten zwei Teams mit jeweils elf Spielern gegeneinander an. Eine Mannschaft versucht, durch Schlagen des Balls und einem anschließenden Run Punkte zu erzielen, während das andere Team dies unterbinden will.
Ein Spiel dauert bis zu fünf Tage
Was viele Deutsche vornehmlich am Cricket verstört, ist die Tatsache, dass so ein Spiel mitunter erst nach bis zu fünf Tagen entschieden ist. „Es gibt auch kurze Spielformen, die nach drei Stunden vorbei sind“, sagt Mantle, der Cricket ins deutsche Fernsehen bringen will. „Warum auch nicht? Darts hat es auch mit guten Quoten ins Fernsehen geschafft“, sagt er. Er hofft, „dass es in Deutschland eine Zeit geben wird, in der jeder über Cricket Bescheid weiß“.
Wenn sich Cricket weiter so entwickelt, ist das nicht abwegig. Zumal auch die deutschen Nationalmannschaften einen riesigen Leistungssprung in den vergangenen Jahren hinlegten.
Dass aber noch viel im Argen liegt, wird auch am Beispiel des Berliner Cricket-Clubs deutlich. Kompliziert am Cricket ist nicht nur die Spielform, sondern auch der Umstand, dass ein Spiel auf einem Platz von einer Größe von zwei Fußballfeldern ausgetragen wird. In Berlin gibt es gerade mal zwei solche regulären Cricket-Plätze, auf dem Maifeld im Olympiapark. Das ist viel zu wenig, um dem stark gestiegenen Interesse gerecht zu werden. „Wir haben ein gravierendes Platzproblem“, sagt Ellerbeck, dessen letzter Vorstoß in der Röländer Straße in Berlin-Karow scheiterte. Ellerbeck glaubt, dass es durch die vielen Flüchtlinge noch riesiges Potenzial in Deutschland für hochklassigen Cricket-Sport gibt. Doch es fehlt nicht nur an Plätzen, sondern auch an finanzieller Förderung. Das wiederum hängt damit zusammen, dass Deutsche Cricket Bund (DCB) noch nicht Mitglied ist beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).
10.000 Mitglieder muss der DCB zusammenbekommen. Sicher nur eine Frage der Zeit, aber schon jetzt würden viel mehr organisiert spielen, wenn es mehr Plätze und auch mehr ehrenamtliches Personal gäbe. Die wenigen, die sich bisher um die Teams, den Spielbetrieb et cetera gekümmert haben, sind mit dem neuen Ansturm überfordert – zumal viele der Flüchtlinge „unglaubliche Defizite in der Organisation haben“, wie Ellerbeck erzählt.
Bei seinem BCC spielt im Übrigen eines der größten deutschen Cricket-Talente, Nadjibullah Yasser. Der 19-Jährige flüchtete von Afghanistan nach Deutschland und sollte schon wieder abgeschoben werden. Ellerbeck und der BCC setzten sich für ihn ein, die Abschiebung wurde zumindest vorerst ausgesetzt. „Er träumt von einem Weg aus der Armut, vom großen Geld, wie es die Spieler in Pakistan verdienen“, erzählt Ellerbeck. „Viele Flüchtlinge wissen noch nicht, dass es in Deutschland noch keine Chance auf eine Profiliga gibt.“
Volker Ellerbeck will ihnen ihre Träume nicht nehmen, weil es ja auch sein Traum ist, dass Cricket hier einmal das ganz große Ding wird.
Martin Einsiedler