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Max Eberl, 43, hat seinen Vertrag bei den Gladbachern bis 2022 verlängert – obwohl die Bayern ihn gern als Sportdirektor verpflichtet hätten.
© Moritz Müller/Imago

Gladbachs Sportdirektor im Interview: Max Eberl: „Ich habe mich bewusst für Grenzen entschieden“

Max Eberl, der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach, spricht über seine Absage an Bayern München, Kritik an der Bundesliga und Überdruss am Fußball.

Herr Eberl, mögen Sie Mario Gomez?

Ist ein guter Spieler.

Und als Typ?

Kenn’ ich ihn zu wenig. Ich erinnere mich eigentlich nur an eine direkte Begegnung, als er mit Stuttgart gegen uns gespielt hat. Hans Meyer war unser Trainer, wir steckten im Abstiegskampf und haben wirklich bieder gespielt, weil wir jeden Punkt benötigten. Nach dem Spiel hat Mario dann über unseren Altherrenfußball gelästert.

Vor kurzem hat Gomez das fußballerische Niveau der Bundesliga kritisiert: Das sei mehr Gemurkse als sonst was.

Dass man über das eine oder andere Spiel diese Meinung haben kann – ja. Aber solche allgemeinen Aussagen sind immer waghalsig. Es wird der Bundesliga nicht gerecht, sie in Gänze zu verurteilen. Der Fußball in Deutschland hat eine sehr gute Entwicklung genommen.

Aber Gomez’ Kritik passt ein bisschen in die Zeit: Der Fußball scheint plötzlich nicht mehr unantastbar zu sein.

Das habe ich öfter schon beklagt: Das Spiel ist nur noch Vehikel. Um ihn herum werden Geschichten gebaut, Intrigen gesponnen, Stars in den Himmel gehoben. Wenn Fußball nur noch ein Produkt ist, läuft in der Tat etwas falsch.

Wie kann man dem entgegenwirken?

Dafür habe ich auch kein Patent. Jeder, der in dieser Scheinwelt Fußball tätig ist, kann es nur in seinem Mikrokosmos versuchen: indem er authentisch bleibt, ehrlich, bodenständig. Indem man den Fußball nicht auf eine weltpolitische Ebene hebt und ihn nicht zu sehr ins Showbizz abdriften lässt.

Sogar Oliver Bierhoff hat zuletzt die Sorge geäußert, dass die Blase platzen könnte.

Die Blase kann platzen, wenn irgendwann das Interesse nachlässt. Aber die Bundesliga ist nach wie vor ein herausragender Wettbewerb. Klar sagen die Kritiker: Der Meister steht fest. Stimmt, das war die letzten Jahre leider so. Aber der Rest der Liga ist unfassbar dicht beieinander. Die Arbeit in den Vereinen ist sehr gut. Das Niveau der Trainer ist sehr hoch. Der Mut, junge Spieler zu bringen, ist größer, als er in der Vergangenheit war. Entsprechend kommen auch immer wieder neue spannende Spieler nach oben. Momentan sehe ich kein Ende. Man hat ein bisschen Angst gehabt, dass das Fernsehgeld irgendwann ausgereizt sein könnte. Wir reden in Deutschland immerhin über eine Milliarde Euro pro Saison, aber in England werden drei Milliarden gezahlt, und da werden noch nicht mal alle Spiele live gezeigt. Der deutsche Fußball ist gesund gewachsen. Die Vereine haben nicht nur in Beine investiert, sondern auch in die Infrastruktur. Sie sind so gesund, dass ich nicht das Gefühl habe, dass da eine Blase entstanden ist, die kurz vor dem Platzen steht.

Aber bei vielen scheint sich ein Gefühl der Übersättigung einzustellen.

Das verstehe ich sogar. Wir sollten in diesem Zusammenhang über die Nations League sprechen, über den Confed-Cup, über irgendwelche By-the-way-Turniere. Ich weiß nicht, ob die zwingend notwendig sind. Sie werden trotzdem im Fernsehen gezeigt, und aus Langeweile guckt man dann auch mal rein, um hinterher zu sagen: Das hätt’ ich mir auch sparen können. Das überlagert diese Highlight-Momente, auf die man sich ganz speziell freut wie jetzt Bayern gegen Real.

Lässt sich die Logik des ewigen Wachstums überhaupt stoppen?

Das müssten wir Vereine gemeinsam mit der Liga angehen. Für mich wäre ein Punkt: keine Aufblähung der EM, keine Aufblähung der WM, keine Nations League, kein Confed-Cup. Wofür brauchen wir diese Turniere? Gebt den Jungs doch auch mal Urlaub. Es ist doch schade, wenn sich der Spieler, über den die ganze Welt spricht, beim EM-Finale wie ein Sack durch das Spiel quält und nicht mehr in der Lage ist, seine Leistung zu bringen. Wir wollen doch in den entscheidenden Spielen die besten Spieler sehen.

Das betrifft die Nationalmannschaften. Aber auch auf die Bundesligavereine wird sanfter Druck ausgeübt, in der Sommerpause bitte mal nach China oder in die USA zu reisen, weil es dort noch große unerschlossene Märkte gibt.

Aber das übersättigt den Zuschauer nicht. Natürlich kann man sich die Frage stellen, ob man von Schanghai einmal quer um die Welt nach Los Angeles jetten und auch der letzte Cent noch aufgesaugt werden muss. Ich finde: Muss er nicht. Aber ich sehe es nicht als problematisch an, wenn wir versuchen, die Bundesliga weltweit bekannter zu machen.

Inwiefern gefährdet die mangelnde Spannung die Attraktivität der Bundesliga?

In der Summe ist die Bundesliga ein spannender Wettbewerb, in dem zu Saisonbeginn viele Fragen offen sind. Du hast immer wieder Mannschaften wie Freiburg, wie Mainz, wie Gladbach, die sich für den Europapokal qualifiziert haben, obwohl das vor der Saison eigentlich undenkbar schien. Auch in dieser Saison ist das mit Leipzig und Hoffenheim wieder so, vielleicht auch mit Hertha oder Köln. Diese Vereine haben die Chance, sich mit einer Europapokalteilname neu zu positionieren, so wie es auch uns gelungen ist. Wir werden jetzt ja auch schon als Großer wahrgenommen. Aber klar, auch die Meisterschaft sollte wieder spannend werden. Das werden wir nur schaffen, wenn wir alle versuchen, Bayern München in jedem Spiel zu schlagen.

Aber die Bayern sind dem Rest der Liga qualitativ und finanziell längst entrückt.

Finanziell spielen sie in einer eigenen Liga, das stimmt. Trotzdem gibt es Vereine, die große Potenziale besitzen. Dortmund sowieso, Leverkusen, Schalke, Wolfsburg, jetzt auch Leipzig.

Was ist mit Borussia Mönchengladbach?

Ich zähle uns bewusst nicht dazu, weil wir 15 Jahre lang im Niemandsland unterwegs waren. Wir können nur investieren, wenn wir Spieler verkauft haben. Wir können schwer besser werden, weil wir erst mal Riesenqualität verlieren und wieder neu anfangen müssen. Andere Vereine können die Champions League mehr garantieren als wir. Da gehen die guten Jungs dann auch eher hin. Diesen Vereinen sollte es möglich sein, Bayern wieder gefährlich zu werden. Aber das geht nur, wenn die Mannschaften ihr Topniveau erreichen. Wenn sie schwächeln wie in diesem Jahr Schalke, Leverkusen, zum Teil auch Dortmund, ist das ausgeschlossen.

Früher gab es auch mal den Fall, dass die Bayern schwächelten …

Man hatte in dieser Saison zumindest das Gefühl, dass ihre Spiele nicht ganz so gut waren. Trotzdem haben sie die Qualität, auch schwächere Spiele zu drehen und zu gewinnen.

"Ich bin realistisch und lasse trotzdem Träume zu"

War Ihnen die Frage, ob Sie als Sportdirektor der Bayern die Meisterschale Ende März oder erst Mitte April in Empfang nehmen dürfen, zu langweilig? Haben Sie deshalb in Gladbach verlängert und sich gegen die Bayern entschieden?

Wenn man sich für etwas entscheidet, heißt das, dass man auch Alternativen hatte. Aber ich habe mich nicht gegen etwas entschieden. Ich habe mich für etwas entschieden. Für Borussia Mönchengladbach. Weil ich schon extrem lange hier bin und festgestellt habe, dass ich am richtigen Ort bin – und noch nicht am Ende.

Wie viel Romantik hat da mitgespielt?

Wer meine Vita kennt, weiß, dass ich kein Vagabund bin, der ständig seinen Arbeitgeber wechselt. Natürlich spielt Verbundenheit eine Rolle. Ich arbeite jetzt seit achtzehneinhalb Jahren für den Klub. Ich bin als Spieler mit 30 Millionen Mark Schulden und am Boden zerstört in die Zweite Liga abgestiegen. Und ich habe als Sportdirektor mit dem Klub jetzt zweimal die Champions League erreicht. Ich habe ihn in allen Facetten kennenlernen dürfen und dementsprechend auch schätzen gelernt. In diesem Kontext muss man meine Entscheidung sehen. Romantik würde ich das nicht nennen. Romantisch könnte ja auch sein, zu seinem Jugendverein zurückzugehen. Bauch, Herz, Gefühl haben eine Rolle gespielt – und natürlich Fakten. Damit meine ich explizit keine monetären Fakten, sondern: Was hat man? Was kann man? Was kann man noch erreichen?

Gladbach gegen Bayern. Gegenwart gegen Vergangenheit – zumindest für Max Eberl (l.). Hier hat er es als Spieler mit seinem Jugendverein zu tun.
Gladbach gegen Bayern. Gegenwart gegen Vergangenheit – zumindest für Max Eberl (l.). Hier hat er es als Spieler mit seinem Jugendverein zu tun.
© Matthias Schrader/dpa

Hat man Ihnen zugesichert, dass die Chance, mit Borussia Mönchengladbach etwas zu erreichen, mittelfristig größer wird?

Ich weiß, was in Mönchengladbach möglich ist, und was von der Wahrscheinlichkeit gen null geht. Ich habe mich bewusst für Grenzen entschieden. Es geht gar nicht um Titel. Es geht darum, dass wir auf unserem Weg weiter vorankommen. Der Klub ist dabei, sich zukunftsträchtig zu entwickeln. Ich spüre dadurch aber auch eine Riesenverantwortung.

Weil es schwierig ist, sich auf dem Niveau zu behaupten, das der Verein erreicht hat?

Es ist für mich zumindest deutlich leistungsintensiver – weil die Erwartungen inzwischen ganz andere sind als noch vor ein paar Jahren, als wir erstmals wieder europäisch spielten. Ich bin kein Bremser, schraube nichts bewusst runter. Ich bin realistisch und lasse trotzdem Träume zu. Das ist eine Konstellation, die ich für diesen Verein für sehr wichtig halte. Unser Weg ist: junge Spieler zu entdecken, sie zu entwickeln, mit ihnen erfolgreich zu sein und sie leider – im besten Fall – auch verkaufen zu müssen. Wenn wir aber glauben, dass ein neuer Spieler das gleiche Niveau hat wie der, den wir gerade teuer verkauft haben, ist das unrealistisch. Solche Erwartungen können leicht zum Stolperstein werden.

Kurz nach Ihrer Vertragsverlängerung wurde bekannt, dass mit Mo Dahoud der nächste Leistungsträger den Klub verlässt. Dahoud ist gerade 21 und hat zwei Jahre als Bundesligaspieler hinter sich. Es wird also auch künftig nicht einfach werden.

Durch unsere Champions-League-Teilnahmen steht nicht nur der Verein stärker im Fokus, das gilt auch für einzelne Spieler. Es gab in den vergangenen Monaten kaum einen Tag, an dem nicht über einen Wechsel von Mo Dahoud spekuliert wurde. Mal war es nach Liverpool, dann zu Juventus Turin oder Manchester City. Von der Mannschaft, die vor sechs Jahren die Relegation gespielt hat, sind neben Christofer Heimeroth nur noch unsere Eigengewächse Patrick Herrmann, Tony Jantschke und Julian Korb da. Der Rest ist getauscht. Daran sieht man, wie sich der Fußballmarkt generell entwickelt hat. Die Verweildauer der Spieler wird geringer werden, außer vielleicht bei den Topklubs. Die Verweildauer der Trainer, obwohl teilweise eh schon gering, droht noch geringer zu werden. Auch wenn jeder Kontinuität auf dem Trainerposten will.

Ist die überhaupt noch zielführend?

Kontinuität ist für deine Planung wichtig. Aber sind lange Verweildauern für den Trainer und/oder den Verein wirklich gewinnbringend? Das muss man immer individuell abschätzen. Der Verein und der Trainer müssen vom gemeinsamen Weg überzeugt sein und ihn leben. Im Allgemeinen befindet sich der Trainermarkt gerade in einem extremen Wandel, da tauchen Namen auf, von denen viele vor wenigen Monaten noch nie etwas gehört haben. Ich will damit nicht sagen, dass nur noch junge Trainer eine Rolle spielen dürfen. Wir haben mit Dieter Hecking im Winter einen erfahreneren Trainer geholt. Er hat große Qualitäten und Stärken. Vielleicht sind es andere als bei jemanden, der mit Anfang 30 seine erste Stelle antritt. Aber am Ende entscheidet immer noch: Wie gehst du mit der Mannschaft um? Jupp Heynckes hat mit den Bayern das Triple geholt, da war er 68.

Max Eberl, 43, war der erste Spieler, der es aus der F-Jugend des FC Bayern München bis zu den Profis geschafft hat. In der Bundesliga kam er jedoch nur einmal für den Rekordmeister zum Einsatz. Nach Stationen beim VfL Bochum und Greuther Fürth wechselte er im Januar 1999 zu Borussia Mönchengladbach. Dort wurde er 2005 Nachwuchskoordinator und 2008 Sportdirektor. Vor zwei Wochen hat Eberl seinen Vertrag bei den Gladbachern bis 2022 verlängert – obwohl die Bayern ihn gern als Sportdirektor verpflichtet hätten.

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