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Breit gemacht. Gegen England zeigte Marc-André ter Stegen eine starke Leistung, hier rettet er gemeinsam mit Antonio Rüdiger gegen Dele Alli.
© Bernd Thissen/dpa

WM-Qualifikation in Aserbaidschan: Marc-André ter Stegen: Flaneur ohne Hausmacht

Marc-André ter Stegen dürfte auf Sicht die Nummer zwei im Tor der Nationalmannschaft bleiben – auf anderen Positionen wird der Umbruch schneller gehen.

Möglicherweise setzte Marc-André ter Stegen seine weitere Karriere in der Nationalmannschaft aufs Spiel, mindestens, aber er kriegte gerade noch die Kurve. Der Torhüter strebte entschlossen dem Ausgang entgegen, runter vom Platz, rein in die Kabine. Im letzten Moment aber schien ihm einzufallen, dass die Sache noch nicht ganz erledigt war. Ter Stegen drehte um und schloss sich, mit dezentem Sicherheitsabstand, der Prozession an, die Lukas Podolski bei dessen Ehrenrunde durch das Dortmunder Stadion folgte.

Marc-André ter Stegen ist ein Einzelgänger, das bringt schon seine Position als Torhüter mit sich. Aber selbst gemessen daran ist er noch ein bisschen einzelgängerischer als andere Vertreter seines Fachs. Neulich zum Beispiel, als der FC Barcelona beim 6:1-Sieg gegen Paris in letzter Sekunde den entscheidenden Treffer zum Weiterkommen erzielte. Seine gesamte Mannschaft versammelte sich zur Jubeltraube, selbst die Ersatzspieler stürzten herbei, nur ter Stegen flitzte allein übers Feld.

Auch bei der Fußball-Nationalmannschaft ist der 24-Jährige meistens für sich anzutreffen. Während Bernd Leno, sein erbitterter Konkurrent schon aus Jugendtagen, nach den Spielen in der Regel in einem Pulk mit seinen Kollegen aus Leverkusen durch die Mixed-Zone spaziert, gibt ter Stegen den einsamen Flaneur. Er hat im Nationalteam keine Vertrauten um sich, weder aus seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach noch von seinem aktuellen Arbeitgeber aus Barcelona. Doch trotz fehlender Hausmacht scheint sich ter Stegen mehr und als erster Vertreter von Manuel Neuer zu etablieren. „Wir haben eigentlich noch nie ein Ranking aufgestellt“, sagte zwar Bundestrainer Joachim Löw. Dass er ter Stegen am Mittwoch im Testspiel gegen England für den verletzten Stammtorhüter Neuer ins Tor stellte, war aber zumindest ein Hinweis auf eine mögliche Hierarchie der Herausforderer: ter Stegen vor Leno und Kevin Trapp.

Das heutige WM-Qualifikationsspiel gegen Aserbaidschan in Baku (18 Uhr, live bei RTL) mag die sportlich wertvollere Begegnung sein; der Test gegen England war hingegen für einen Torhüter die deutlich dankbarere. „Er hat in zwei, drei Aktionen mit sehr guten Paraden wirklich auch Großchancen vereitelt“, sagte Löw über ter Stegen, der seine Mannschaft unter anderem im direkten Duell mit Dele Alli vor einem Rückstand bewahrt hatte.

Ter Stegen hat im Nationaltrikot schon mal einen Elfmeter von Lionel Messi pariert, er hat jetzt bei neun Einsätzen insgesamt vier Mal zu null gespielt. Im Gesamtpaket aber war sein Auftritt gegen England sein vermutlich bester in der Nationalmannschaft. „Ich versuche immer meinen Job zu machen“, sagte ter Stegen. „Heute hat es ganz gut geklappt.“

Bei seinem Debüt vor knapp fünf Jahren kassierte er fünf Tore gegen die Schweiz

Das war nicht immer so. Bei seinem Debüt vor knapp fünf Jahren kassierte er fünf Tore gegen die Schweiz, in seinen ersten drei Einsätzen waren es insgesamt zwölf Gegentreffer. Die Öffentlichkeit hat vor allem seine slapstikartigen Fehler in Erinnerung behalten, während seine herausragende Veranlagung dabei ein wenig in Vergessenheit geraten ist. Dass ter Stegen in seiner dritten Saison beim FC Barcelona nun uneingeschränkter Stammtorhüter ist, hat sich positiv auf seine Form ausgewirkt. „Bei ihm ist zu spüren, dass das Selbstbewusstsein wächst“, sagt Bundestorwarttrainer Andreas Köpke.

Von allen Anwärtern kommt ter Stegens Interpretation des Torwartspiels der von Manuel Neuer am nächsten. Beide spielen mit, manchmal an der Grenze zum unkalkulierbaren Risiko. „Für unsere Spielweise brauchen wir einen fußballerisch starken Torhüter“, sagt Köpke. Auch das spricht eindeutig für ter Stegen, der mit dem Fuß zu den besten seines Fachs gehört, der nicht in Panik gerät, wenn er von seinen Kollegen angespielt ist – sonst stünde er ganz sicher nicht beim FC Barcelona unter Vertrag. Und trotzdem: Auf absehbare Zeit wird es für ihn um nichts anderes gehen als die Position hinter Manuel Neuer.

In anderen Mannschaftsteilen könnte das anders sein. Auch wenn Lukas Podolski schon länger keine tragende Säule des Nationalteams mehr war, hat sein Abschied in dieser Woche noch einmal ins Gedächtnis gerufen, dass sich die Mannschaft im Umbruch befindet, der schon nach dem WM-Titel 2014 begonnen hat. Am Mittwoch gegen England schien sich Bundestrainer Löw den Spaß erlaubt zu haben, Podolski noch einmal explizit auf sein fortgeschrittenes Alter hinzuweisen, indem er ihm fünf U-21-Spieler an die Seite gestellt zu hatte. „Es war ein tolles Gefühl, an so einem Abend dabei gewesen zu sein“, sagte der Dortmunder Julian Weigl, einer dieser Jungs, denen eine große Zukunft vorhergesagt wird.

„Man hat gesehen, welche Qualität wir haben, auch dahinter“, sagte Toni Kroos. Trotzdem wird die Nationalmannschaft heute in Baku wieder ein bisschen mehr nach Nationalmannschaft aussehen und nicht nach einer verstärkten U 21. Mesut Özil, Julian Draxler, Mario Gomez und Sami Khedira sollten nach ihren leichteren Blessuren wieder einsatzfähig sein, zudem dürfte Thomas Müller in die Startelf zurückkehren.

Aber auch für die fernere Zukunft besteht erst einmal kein akuter Mangel an Qualität. „Wir haben viele Jungs dahinter, die einen guten Weg gehen können“, sagte Lukas Podolski. „Wir haben auf jeden Fall Potenzial. Das haben andere Nationen nicht.“ Und das gilt nicht nur für die Torhüterposition.

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