Hertha BSC vor dem Spiel gegen den FC Augsburg: „Männer, das ist kein Problem“
Herthas Co-Trainer Rainer Widmayer spricht im Interview über den Abstiegskampf, die Zusammenarbeit mit Pal Dardai und ein besonderes Geschenk von Jens Lehmann..
Herr Widmayer, wie viele Sprachen beherrschen Sie?
Sie meinen neben Schwäbisch? (lacht) Deutsch und Englisch.
Was ist mit Körpersprache?
Die auch, klar. Körpersprache ist wichtig. Ich muss mich als Trainer auch präsentieren, erst recht wenn ich im Training merke, da ist zu viel Lethargie drin.
Pal Dardai hat erzählt, Sie hätten vor dem Spiel gegen Freiburg zu ihm gesagt: „Da stimmt was nicht.“ Woran haben Sie das festgemacht?
Das kann ich gar nicht konkret sagen. Aber ich habe ein sehr gutes Gespür dafür. Ich merke beim Warmmachen sehr schnell, ob die Spieler wirklich parat sind. Wenn das nicht so ist, ist es schwierig, dagegen anzugehen. Du kannst eigentlich nur hoffen, dass die Spieler im Spiel irgendwie über sich hinauswachsen, dass sie, wie man so schön sagt, über den Kampf doch noch ins Spiel finden.
Mehr kann man als Trainer nicht machen?
Wenig. Du kannst die Spieler vielleicht noch mal ansprechen „Männer, das ist kein Problem“ und sie an bestimmte Dinge erinnern. Im Moment ist bei uns alles noch ein bisschen verklemmt und verkrampft. Aber das ist auch normal. Ich war diese Woche bei meiner Frau in Stuttgart. Wenn du da die Zeitung liest, merkst du: Beim VfB ist es genauso. Und auf vier, fünf andere Klubs trifft das wahrscheinlich auch noch zu.
Hat Herthas Situation viel mit Zweifeln und Ängsten zu tun?
Mit Zweifeln und Ängsten nicht. Das ist einfach dem Ernst der Situation geschuldet. Die muss auch allen bewusst sein. Trotzdem müssen wir dahin kommen, dass jeder Einzelne von seiner Qualität so viel wie möglich abrufen kann. Ich will, dass die Spieler in die Spur zurückkommen. Die können doch alle was.
Wie erklären Sie sich denn dann, dass Ihre Mannschaft in Wolfsburg so unglaublich viele Rückpasse gespielt hat, und viele ohne jede Not?
Das ist einfach die Mentalität, die die Mannschaft im Moment noch hat. Deshalb brauchen wir Lösungen, wie wir den Ball nach vorne bekommen. Das haben wir in dieser Woche trainiert: das Spiel in die Spitze, wann sich ein Stürmer fallen lässt, wie er mit dem Ball aufdreht, wie wir Räume schaffen, damit wir miteinander Fußball spielen können. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, ist gut. Aber wenn wir uns nicht verbessern, wird es schwer.
Es war viel die Rede davon, dass die Mannschaft nicht fit und dynamisch genug ist.
Dazu werden Sie von mir nichts hören. Ich bin keiner, der andere anschwärzt. Außerdem weiß ich nicht, was vorher war. Ich weiß nur: Der Trainer zuvor war gut. Sonst wäre Jos Luhukay nicht zweieinhalb Jahre hier gewesen. Er ist aufgestiegen, er hat im ersten Halbjahr 28 Punkte geholt. Wenn etwas nicht funktioniert, liegt es nicht immer nur an einer Person.
Vielleicht sind die Spieler nicht zu wenig, sondern falsch gelaufen.
Vielleicht. Vielleicht ist es besser, sich manche Wege zu sparen, damit ich im entscheidenden Moment mehr Kraft habe – und, zack, bin ich da. Also muss ich den Spielern zeigen, was sie zu tun haben. Und ich muss sie davon überzeugen. Das ist das Wichtigste. Denn eins ist klar. Wir haben nicht ewig Zeit. Die Glaubwürdigkeit muss auch unterstützt werden von Erfolg.
Woran mangelt es mehr, am Mentalen oder am fußballerischen Vermögen?
Es fehlt von allem ein bisschen. Die Grundlage ist da, aber wir müssen in der Spitze besser werden. Daran arbeiten wir. Wir versuchen, den Spielern im Training Sicherheit zu vermitteln. Die Mannschaft lechzt nach solchen Sachen. Sie probiert alles mit hundertprozentigem Einsatz. Sie ist willig, sie ist ehrgeizig, und sie ist lernwillig. Deshalb bin ich auch überzeugt: Am Ende kommt unsere Qualität durch. Damit müssen wir nicht Vorletzter in der Bundesliga sein. Ganz sicher nicht.
Ist die Mannschaft besser als die, die Sie 2011, am Ende Ihres ersten Engagements bei Hertha, zurückgelassen haben?
Von den Namen her bestimmt. Aber damals hatten wir einen überragenden Teamgeist. Da müssen wir wieder hin. In anderthalb Jahren, wenn ich das denn schaffe, will ich eine Mannschaft geformt haben, bei der es wieder genauso ist: dass jeder für den anderen durchs Feuer geht.
Sie kennen noch viele Spieler von damals …
… sechs, glaube ich …
… hat Ihnen das die Eingewöhnung erleichtert?
Ich muss mit allen Spielern in Kontakt kommen, nicht nur mit denen, die ich schon kenne. Und ich muss alle gleich behandeln. Ich bin jetzt zwei Wochen hier, habe viele Gespräche geführt, Pal hat auch viele Gespräche geführt, wir tauschen uns aus – das ist für den Anfang okay.
Pal Dardai wirkt in seiner neuen Rolle sehr euphorisch. Müssen Sie ihn mit Ihrer Erfahrung manchmal ein wenig einbremsen?
Wieso sollte ich die Euphorie bremsen, gerade jetzt?
Weil man gegen Freiburg den Eindruck hatte, dass die Mannschaft übereuphorisiert war – und dass die Aufstellung, mit Ronny im defensiven Mittelfeld, das noch befördert hat.
Wir wollten einfach mehr spielerische Qualität in unserer Mannschaft haben. Ronny kann intuitiv und mit einer Leichtigkeit Pässe spielen, die andere mit harter Arbeit nicht hinbekommen. Aber anders als im Schach spielen im Fußball auch äußere Faktoren eine Rolle. Ich will nicht den Balljungen für unsere Niederlage verantwortlich machen, um Gottes willen. Aber diese Situation, in der wir für einen Moment unaufmerksam sind, kann alles verändern und deine ganze Strategie über den Haufen werfen.
Hatte die Mannschaft den Sieg in Mainz nicht verkraftet?
Vielleicht hat jeder gemeint: Jetzt läuft es. Aber so funktioniert es nicht in der Bundesliga. Wenn du glaubst, mit fünf Prozent weniger geht es auch, hast du schon verloren. Das ist wie bei kleinen Kindern. Du kannst ihnen zehnmal sagen: Du darfst die heiße Herdplatte nicht anfassen. Sie müssen sich erst richtig die Finger verbrennen. Ich hoffe, dass die Mannschaft diese Lektion gelernt hat. Gegen Wolfsburg haben wir zwar auch verloren, aber da sind wir ganz anders aufgetreten als gegen Freiburg. Die Stimmung in der Kabine ist auch anders.
Woran merken Sie das?
An den Gesichtern. Vor einer Woche habe ich mich gefragt: Was ist denn hier los? Da habe ich gedacht, jetzt muss ich – in Anführungsstrichen – den Affen machen.
Was sehen Sie jetzt in den Gesichtern?
Hoffnung. Und glauben Sie mir: Die Spieler würden so gerne mal ein richtig gutes Heimspiel abliefern.
Pal Dardai hat gesagt, gegen Augsburg müsse Hertha gewinnen. Finden Sie das nicht gewagt?
Das ist doch normal. Ich habe ja auch mal in der Jugend trainiert. Selbst wenn wir gegen den großen VfB gespielt haben, gab es immer Jungs, die gesagt haben: Schauen wir mal, ob wir nicht doch was reißen. Warum spielt man denn Fußball? Um Spaß zu haben, und Spaß habe ich, wenn ich gewinnen will.
Aber Dardai hat nicht gesagt: Wir wollen gewinnen. Sondern: Wir müssen gewinnen. Hertha ist Vorletzter, Augsburg Fünfter.
Augsburg ist gut, das wissen wir. Vielleicht können wir trotzdem gewinnen.
Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen Pal Dardai und Ihnen? Sie haben mehr Erfahrung, dafür ist Dardai ist der Chef.
Es geht nicht um jung oder erfahren. Es geht um die besseren Argumente. Das ist wie in einer Ehe. Da gibt es auch mal Differenzen. Meine Frau hat ihre Vorstellungen, ich habe meine – und wenn die nicht übereinstimmen, muss man miteinander reden und versuchen, den anderen mit seinen Argumenten zu überzeugen.
Wer hält die Ansprache vor dem Spiel?
Das macht der Chef, ganz klar.
Und die Taktikbesprechung am Mittag im Hotel?
Auch der Chef. Aber wir haben vorher abgesprochen, was er sagt. Ich mach da nichts mehr.
Als Sie sich für Hertha entschieden haben, wussten Sie gar nicht, wie Dardai als Trainer tickt.
Doch. Als Michael Preetz mit gefragt hat, habe ich gesagt: Das ist alles recht und gut. Aber ich brauche die Telefonnummer von Pal Dardai. Ich muss mit ihm reden, ich muss wissen, wie er über Fußball denkt. Wir haben eine Viertelstunde gesprochen – danach war klar, dass ich das mache.
Als Spieler waren Sie Verteidiger, Dardai ein Kämpfer im defensiven Mittelfeld …
Das heißt aber nicht, dass wir defensiven Fußball sehen wollen. Ich habe immer Wert auf die Offensive gelegt. Und ich habe das Glück gehabt, dass ich Jens Lehmann trainieren durfte.
Das müssen Sie erklären.
Jens war vom FC Arsenal zum VfB Stuttgart gekommen und hat wohl in meinem Training Dinge wiedererkannt, die Arsène Wenger ähnlich gemacht hatte. Eines Tages hat er mir einen Ordner von Wenger mitgebracht und mir gesagt, den könne ich mir mal anschauen, und wenn ich etwas brauchte, dürfte ich mir den auch kopieren.
Was kann ein ehemaliger Verteidiger einem Stürmer denn überhaupt beibringen?
Ich weiß ja, was Verteidiger nicht mögen, welche Laufwege eines Stürmers ihm weh tun. Ich habe immer mit den Stürmern gearbeitet. Beim VfB in der U 23 habe ich Mario Gomez trainiert. Und Julian Schieber habe ich zu den Profis geholt. Schieber ist gut, der ist richtig gut. Mit seiner Dynamik, seinem linken Fuß – und vor allem wenn er mit dem Gesicht zum gegnerischen Tor spielt. Da müssen wir ihn wieder hinbringen.
Wer wird sich im Abstiegskampf durchsetzen: die Mannschaften mit der besseren Defensive oder die mit der besseren Offensive?
Darum geht es nicht. In Stuttgart wird Huub Stevens gerade dafür angegriffen, dass er mit acht Defensiven spielt. Erfolgreich ist er trotzdem nicht. Die Balance ist wichtig. Wir sagen: Ihr dürft und ihr sollt nach vorne spielen, aber bei Ballverlust müsst ihr wieder hinter den Ball und für die Mannschaft mitarbeiten. So wie es Salomon Kalou in Wolfsburg getan hat. Da zieh ich mal den Hut.
Dabei ist die Defensive nicht unbedingt sein Ding.
Moment! Kalou hat bei Chelsea unter Mourinho gespielt, da muss jeder für die Defensive arbeiten. Aber entscheidend ist, dass wir uns mit Kalou auseinandergesetzt haben. Der Cheftrainer ist mit ihm laufen gegangen, und ich habe ihm Videosequenzen gezeigt, wie er früher gespielt hat. Der freut sich über so was.