Ein Klub kommt von seinem Weg ab: Mainz 05 ist der neue FC Augsburg
Mit der Verpflichtung von Achim Beierlorzer hat Mainz 05 einen Teil seiner Identität aufgegeben – und ist jetzt nur noch ein gewöhnlicher Bundesliga-Klub.
Die Trainerposition ist im Profifußball eine neuralgische. In Mainz hängt an ihr jedoch noch mehr als nur der sportliche Erfolg. In Mainz steht sie für die Identität eines ganzen Klubs. Wer beim 1. FSV Mainz 05 Trainer wird, tritt in die Fußstapfen der Lichtgestalten Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.
Sie haben in diesem Jahrtausend den „Mainzer Weg“ geprägt, auf den man im Klub so stolz ist. Die Idee also, dass man dem Gebilde einen größeren Sinnzusammenhang geben kann, wenn man zukünftige Cheftrainer selbst im Verein ausbildet. Die Idee, dass der Verein für etwas Größeres steht und sich nicht der Beliebigkeit hingibt – für eine eigene Identität eben.
Die Trainer bei Mainz 05 seit Jürgen Klopp
- Februar 2001 – Juni 2008: Jürgen Klopp
- Juli 2008 – August 2009: Jörn Andersen
- August 2009 – Juni 2014: Thomas Tuchel
- Juli 2014 – Februar 2015: Kasper Hjulmand
- Februar 2015 – Mai 2017: Martin Schmidt
- Juli 2017 – November 2019: Sandro Schwarz
- seit November 2019: Achim Beierlorzer
Damit hat der Klub in den vergangenen Jahren gute Erfahrungen gemacht. Nur sechs Cheftrainer gab es, seitdem der damalige Manager Christian Heidel am Rosenmontag 2001 aus der Abwehrkante Jürgen Klopp den Cheftrainer Jürgen Klopp machte. 14 Bundesligajahre haben die Mainzer seither erlebt. Mit Martin Schmidt und Sandro Schwarz fand der Klub im eigenen Verein zwei Trainer, die zwar nicht mehr den ganz großen Glamour versprühten, aber den besagten Mainzer Weg solide fortsetzten. Bis vor zwei Wochen.
Da befand sich der Klub nach zwei schaurigen Pleiten gegen Leipzig (0:8) und den 1. FC Union (2:3) am Tiefpunkt. Schwarz wurde entlassen, und mit Achim Beierlorzer holten die Verantwortlichen erstmals seit dem gescheiterten Experiment mit Kasper Hjulmand, der im Sommer 2014 Thomas Tuchel beerben sollte, aber keine ganze Saison überstand, einen Trainer von außen nach Mainz. Beierlorzer selbst war erst neun Tage vorher beim 1. FC Köln entlassen worden und unterschrieb einen Vertrag bis 2022.
Diese Abkehr vom bisherigen Mainzer Weg kann man als den wohl letzten Schritt eines Fußballklubs verstehen, dem landesweit einmal als kleiner, sympathischer Karnevalsverein die Herzen zuflogen, hin zu dem noch gewöhnlicheren Bundesligaklub, der Mainz 05 in den vergangenen Jahren ohnehin schon geworden ist.
Mainz war einmal so etwas wie das neue Freiburg. Doch inzwischen ist Freiburg wieder Freiburg, und Mainz eher das neue Augsburg. Von dem, was den Verein einmal abhob, ist kaum noch etwas übriggeblieben.
Die charismatischen Köpfe des Klubs wie Heidel, Klopp, Tuchel oder auch der frühere Präsident Harald Strutz haben Mainz längst verlassen, nicht einmal der leidenschaftliche wie schrullige Stadionsprecher Klaus Hafner ist noch da. Das familiäre Image hat bei den vergangenen Machtkämpfen um den Vereinsvorsitz mächtig Schaden genommen. Aus dem lauschigen Stadion am Bruchweg ist das Profiteam in eine schnieke wie generische Arena in die Mainzer Prärie gezogen.
Bundesliga ist bei Mainz 05 zum Alltag geworden
Sportlich hat sich der Klub zwischen Tabellenmittelfeld und Abstiegskampf eingependelt, was auch unter den Fans keine große Euphorie mehr hervorruft – die Bundesliga ist für sie längst zum Alltag geworden. Und den aggressiven, pressingorientierten Fußball, mit dem Klopp und Tuchel einst einen neuen Stil prägten, spielt inzwischen ohnehin fast die ganze Liga. Doch zumindest die Namen der Trainer standen bislang noch für den Mainzer Weg.
Das wissen auch die Verantwortlichen bei Mainz 05. Deshalb betonten sie gleich nach Beierlorzers Verpflichtung, wie gut der als Trainer zum Verein passen würde. „Bei sachlicher und inhaltlicher Betrachtung ist Achim Beierlorzer ein typischer Trainer für Mainz 05“, sagte etwa Sportvorstand Rouven Schröder, der bereits in Fürth mit Beierlorzer zusammenarbeitete. „Er ist fachlich sehr gut und kann in- und ausländische junge Spieler entwickeln.“
Beierlorzer selbst betonte: „Ich glaube, dass Mainz 05 in seinem Spiel ohnehin dafür steht, aktiv und mutig zu spielen. Genau daran möchte ich anknüpfen.“ Der Verein passe zu seiner Art und zu seiner Vita, es solle also „keinen kompletten Umbruch“ geben.
Um Mainz 05 herum gibt es Diskussionen
Um den Verein herum sorgt die Entscheidung für Diskussionen. Die einen sind enttäuscht darüber, dass nun auch in Mainz die marktüblichen Reflexe greifen. Sie hatten sich erhofft, dass man dem Vollblut-Mainzer Sandro Schwarz vielleicht noch ein, zwei Chancen mehr gegeben hätte. In den letzten beiden Spielzeiten war es ihm gelungen, sich mit Siegen aus der sportlichen Bedrängnis zu befreien. Die anderen sind froh darüber, dass sich der Verein emanzipiert hat und den Abwärtstrend der letzten Jahre vor lauter blinder Liebe nicht länger verkennt.
Einen Trainer mit Mainzer Wurzeln hätten sich die meisten trotzdem gewünscht. Doch der steht momentan nicht bereit. Den eigenen Nachwuchstrainern wurde der Job offenbar noch nicht zugetraut: Das 31-jährige Trainertalent Bartosch Gaul betreut die U 23 erst seit einer Spielzeit, U-19-Coach Benjamin Hoffmann kam erst in diesem Sommer aus Dortmund nach Mainz. Unter den Fans wurde immer wieder Zeljko Buvac ins Spiel gebracht, doch der langjährige Assistent von Jürgen Klopp hat als Cheftrainer keine nennenswerte Erfahrung.
Sportvorstand Schröder legte sich deshalb bereits früh auf einen externen Nachfolger für Schwarz fest. Er dürfte wissen, dass die Geduld mit Beierlorzer sehr viel kürzer sein wird als bisher. Für ihn gibt es keinen Vertrauensbonus. Vermutlich hat Schröder auch deshalb mit Niko Bungert einen langjährigen Publikumsliebling als Assistenten ins Trainerteam bestellt. „Er steht für Mainz 05“, sagt der Sportvorstand. „Wer seinen Namen hört, denkt an Mainz 05.“ Und das ist beim FSV immer noch so wichtig wie kaum anderswo.
Leonard Brandbeck