Kolumne Meine Champions: Luis Suarez – Gegengewicht zur Eleganz
Barcelonas Stürmer tritt im Rückspiel der Champions League an alter Wirkungsstätte an. Das Liverpooler Publikum wird ihn kaum wohlwollend empfangen.
Natürlich hat er gejubelt, was denn sonst? Für solche Augenblicke lebt Luis Suarez, für den Moment nach einem Tor, wenn das Stadion bebt und das Endorphin durch seinen Körper strömt. Also ist er in die Kurve zu den Fans gespurtet, die letzten paar Meter auf den Knien gerutscht, die Arme weit ausgebreitet. Sein frühes 1:0 für den FC Barcelona war der Anfang vom Ende für den FC Liverpool im ersten Halbfinale der Champions League.
Den Liverpooler Fans hat das überhaupt nicht gefallen. Der Uruguayer Luis Suarez war mal einer von ihnen, dreieinhalb Jahre lang bis zum Sommer 2014, und wie selbstverständlich forderten sie auch vor einer Woche in Camp Nou die ungeschriebene Regel ein, nach der man sich bei Toren gegen einen früheren Verein nicht zu freuen hat. Jamie Carragher, früher gemeinsam mit Suarez für Liverpool im Einsatz und heute als Fernsehreporter aktiv, hat ihm schon mal angekündigt, es werde einen sehr frostigen Empfang geben, wenn Barça am Dienstag zur Verteidigung des 3:0-Hinspielsieges an der Anfield Road gastiert.
Na und? Anfeindungen sind nichts Neues für Suarez, in seiner Liverpooler Zeit war er der meistgehasste Mann im englischen Fußball. Einer, der kratzte und biss und trat, der vom englischen Verband wegen rassistischer Beleidigung verurteilt wurde. Und doch hätte er mit den Reds damals beinahe geschafft, wovon sie heute wieder träumen. Nie war der FC Liverpool dem Gewinn der 19. englischen Meisterschaft, der ersten seit 1990, so nah wie im Frühling 2014. 31-mal traf Suarez in 33 Premier-League-Spielen jener Saison. Bis zum drittletzten Spieltag thronte Liverpool an der Tabellenspitze, aber dann gab es erst ein 0:2 daheim gegen Chelsea, eine Woche später wurde eine 3:0-Führung bei Crystal Palace verspielt. Der Titel ging an Manchester City.
Es folgte ein seltsamer Sommer für Luis Suarez. Erst schoss er bei der WM in Brasilien beide Tore zu Uruguays 2:1-Sie gegen England, was seine Popularitätswerte auf der Insel nicht dramatisch erhöhte. Ein paar Tage später hatte er auf der ganzen Welt seinen Ruf als Mike Tyson des Fußballs weg. Nach einem Biss in die Schulter des Italieners Giorgio Chiellini. Dass der FC Barcelona kurz darauf 80 Millionen Euro an den FC Liverpool überwies und den für vier Monate gesperrten Suarez mit einem bis 2019 laufenden Vertrag ausstattete, fand nicht überall Beifall.
176 Tore für den FC Barcelona
Das war ein riskantes Geschäft, von dem damals niemand absehen könnte, wie sehr es sich für beide Seiten lohnen sollte. Luis Suarez hat dem FC Barcelona etwas gegeben, was er vorher nicht hatte. Ein wuchtiges Gegengewicht zur Eleganz des Argentiniers Lionel Messi. José Mourinho, als ehemaliger Trainer von Real Madrid nicht im Verdacht, allzu viele Komplimente in Richtung Barcelona zu senden, hat das mal so erklärt: „Messi ist phänomenal, aber neben ihm brauchst du einen, der, ich mag das Wort eigentlich nicht, die schmutzige Arbeit macht.“ Luis Suarez macht sie überaus erfolgreich. In seinen bald fünf Jahren beim FC Barcelona kommt er auf 176 Tore und steht damit in der klubinternen Ewigkeitstabelle schon auf Platz fünf.
Am Dienstag nun wird er zum ersten Mal seit dem 11. Mai 2014 wieder den Rasen an der Anfield Road betreten. „Heute will jeder nach Liverpool kommen“, hat Suarez der „Daily Mail“ erzählt. „Als ich dort gespielt habe, war das noch nicht so.“ Und: „Damals haben sie noch nicht so viel Geld ausgegeben. Hätten wir die Premier League gewonnen, wäre das ein noch größerer Erfolg gewesen.“ Die Pfiffe beim Einlaufen sind ihm gewiss. Interessiert ihn alles nichts. Auf dem Fußballplatz kennt Luis Suarez keine Freunde und erst recht keine von früher.
Sven Goldmann schreibt immer dienstags in den Spielwochen der Champions League über Kicker, Klubs und Klassiker in Europas Fußball.