Entlassung bei Borussia Dortmund: Lucien Favre konnte das BVB-Gefühl nie bedienen
Lucien Favre ist nicht mehr Trainer des BVB. Er konnte Mannschaften besser machen, aber in Deutschland bleibt er jetzt wohl der Unvollendete. Eine Analyse.
Der FC Bayern München ist im deutschen Fußball das Maß aller Dinge, sogar für Klubs, die in scharfer Konkurrenz zu ihm stehen und sich selbst als eine Art Gegenmodell sehen. Für Borussia Dortmund zum Beispiel.
Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass die Bayern ihren Trainer Niko Kovac nach einer 1:5-Niederlage bei Eintracht Frankfurt entlassen haben. Am Samstag nun war es der BVB, der sein Heimspiel gegen den VfB Stuttgart mit 1:5 verloren hat. Und als hätten die Bayern vor einem Jahr mit der Entlassung Kovacs stilbildend gewirkt, so haben sich auch die Dortmunder am Sonntag entschlossen, die Zusammenarbeit mit ihrem Trainer Lucien Favre nach zweieinhalb Jahren zu beenden.
Die Entscheidung kam ebenso überraschend wie erwartet. Überraschend, weil der Spielplan mit noch drei Spielen bis Weihnachten (in Bremen, gegen Union und in Braunschweig) eigentlich gegen einen solchen Schritt sprach. Erwartbar, weil die Zweifel an Favre schon lange bestanden haben und die geradezu erbarmungswürdige Niederlage gegen den VfB verbunden mit dem Sturz aus den Champions-League-Plätzen nun des Schlechten offenbar zu viel war. „Wir waren sehr, sehr schlecht“, hatte selbst Favre nach dem 1:5 zugegeben. „Das war eine Katastrophe.“
Dass ihm gegen die auswärtsstarken Stuttgarter fast ein Dutzend Spieler fehlte, darunter der anscheinend unersetzliche Erling Haaland, das spielte in der Gesamtbetrachtung dann auch keine Rolle mehr. Bis zum Ende der Saison soll nun Favres bisheriger Co-Trainer Edin Terzic, 38, die Mannschaft betreuen.
Dass Terzic, der wie Dortmunds Vorstandschef Hans-Joachim Watzke aus dem Sauerland stammt, den Posten dauerhaft übernimmt, ist nicht zu erwarten. Aber er bedient zumindest für den Moment das vorherrschende BVB-Gefühl. Terzic hat schon unter BVB-Godfather Jürgen Klopp für den Klub gearbeitet, unter anderem als Scout.
Favres Vertrag war zweieinhalb Jahre in Dortmund tätig und wurde zweimal Vizemeister mit dem BVB
Favre hat dieses Gefühl nie bedient, es mit seiner eher zurückhaltenden Art auch nie bedienen können. Der 63 Jahre alte Schweizer ist ein ganz anderer Mensch als Jürgen Klopp, ein anderer Trainertyp auch als der Apologet des Vollgasfußballs. Favre stand immer für einen deutlich ziselierteren Stil, der im eher bodenständigen Ruhrgebiet schnell als verkopft empfunden wurde.
Vor allem bei Vorstandschef Watzke war die Sehnsucht nach den guten alten Klopp-Zeiten immer deutlich zu spüren. In der Mitteilung des Vereins zu Favres Entlassung lobte er Favre zwar „für seine hervorragende Arbeit in den vergangenen zweieinhalb Jahren“ und bescheinigte ihm, als Fachmann und als Mensch über jeden Zweifel erhaben zu sein.
Latente Vorbehalte gegen den Trainer und dessen Arbeit hat Watzke jedoch nie verheimlichen können. Dass die Dortmunder Favres im Sommer auslaufenden Vertrag verlängern würden, schien daher ohnehin eher unwahrscheinlich.
Dabei ist der Schweizer ein anerkannter Experte, der auf jeder seiner bisherigen Stationen bewiesen hat, dass er Mannschaften entwickeln und Spieler besser machen kann. Mit dem FC Zürich ist er zweimal Schweizer Meister geworden. Hertha BSC hat er nach Jahren im grauen Mittelfeld zumindest für einige Wochen von der Meisterschaft träumen lassen. Borussia Mönchengladbach rettete sich dank Favre vor dem sicheren Abstieg und schaffte es mit ihm später sogar bis in die Champions League. Und den OGC Nizza führte er ebenfalls fast aus dem Nichts in den Europapokal.
Selbst in Dortmund sprechen die Zahlen nicht zwingend gegen ihn. In der Geschichte des BVB kommt kein Trainer auf einen besseren Punkteschnitt als Favre (2,09 pro Spiel), auch Thomas Tuchel und Jürgen Klopp nicht. Aber anders als Klopp und Tuchel kann der Schweizer eben auch keine Titel mit dem BVB vorweisen. Und rund um den Verein hat sich längst der Glaube verfestigt, dass ihm das auch nicht mehr gelungen wäre.
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In der Saison 2018/19, Favres erster in Dortmund, hatte der BVB die vermutlich beste Chance, erstmals seit 2012 wieder Meister zu werden: Die Bayern schwächelten, Dortmund hatte zeitweise neun Punkte Vorsprung. Dass es trotzdem nicht reichte, haben viele vor allem Favre angelastet, der sich angesichts der aussichtsreichen Ausgangsposition nicht etwa angriffslustig zeigte, sondern weiterhin unangemessen demütig. Favre wollte partout nicht über die Meisterschaft sprechen – bis es irgendwann zu spät war und sich die Münchner doch wieder die Schale sicherten.
Ja, Favre, der oft so unschuldig scheu aus der Wäsche guckt, kann ein schrecklicher Zweifler und Zauderer sein. Einer, der eher die Gefahren sieht als die sich bietenden Chancen. Die mangelnde Entschlossenheit, die ihm immer vorgehalten wurde, ließ sich eben auch in den Auftritten seiner Mannschaft erkennen.
Lucien Favre wollte nie ein Jürgen-Klopp-Double sein
15 Mal hat der BVB in der Bundesliga unter Favre verloren: vier Mal gegen die Bayern, zwei Mal gegen Hoffenheim und ein Mal gegen Leverkusen. Bei den anderen acht Niederlagen gegen deutlich schwächer einzuschätzende Teams wie zuletzt vor zwei Wochen gegen den zuvor seit 18 Spielen sieglosen 1. FC Köln hatten die Dortmunder immer mindestens 69 Prozent Ballbesitz. Gegen Stuttgart am Samstag waren es sogar 72.
Und so wird Lucien Favre in Deutschland wohl als Unvollendeter in die Geschichte eingehen. Als jemand, der ein guter Trainer ist, aber angeblich kein herausragender. Der Mannschaften besser machen kann, aber die Endstufe nicht erreicht. Dabei haben die Jahre in Dortmund vor allem eines gezeigt: Lucien Favre taugt einfach nicht zum Jürgen-Klopp-Double.
Das hätte man im Übrigen auch vorher wissen können.