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Riesenhobby. Jonas Diesing (links) in Aktion.
© Imago

Hockey in Zehlendorf: Liebe und Schmerzen

In Steglitz-Zehlendorf wächst du mit dem Hockey auf, sagt Jonas Diesing. Der Spieler und Trainer vom Berliner HC kann sich keinen besseren Sport vorstellen.

Fußball spielen, das kann irgendwie jeder. Hockey aber nicht, findet Jonas Diesing. 24 Jahre ist der gebürtige Zehlendorfer alt, bei ihm dreht sich seit über 20 Jahren alles um sein „Riesenhobby“. Drei bis vier Mal die Woche Training mit der Männermannschaft beim Bundesligisten Berliner Hockey-Club, dazu die Spiele am Wochenende und auch noch ein zeitintensiver Trainerjob beim Nachwuchs, der „Spaß macht, aber auch Kraft kostet“. Und das in einer Sportart, in der das ganz große Geld in Deutschland kaum zu verdienen ist. Das macht Hockey aber vielleicht auch kostbarer, diese Leidenschaft. Jonas Diesing, Student des Industriedesigns, sagt mit ausgeruhtem Zehlendorfer Idiom: „Was den Sport so attraktiv macht, ist eine extreme Vielseitigkeit, ausgeführt im Mannschaftssport, wo neben Augen- und Handkoordination für die notwendige Technik auch Athletik, physische Stärke und Taktik im Spiel kombiniert werden müssen.“
Wer beim Hockey dabeibleibt, der muss es schon lieben, und das sind in Berlin nicht wenige. In rund 30 Klubs werden in der Stadt die Schläger gekreuzt, die von ihrer Form immer ein wenig wie ein umgedrehter Spazierstock anmuten und schwerer zu handhaben sind als etwa ein Eishockeyschläger. Denn Schüsse mit der runden Seite, der Schlägerrückseite, sind nicht erlaubt. Und alle Spieler müssen mit der oberen Hand links spielen, haben also das Ende des Schlägers auf der rechten Seite.

Nirgendwo gibt es so viele Hockey-Klubs wie im Süden Berlins

Der beste Berliner Klub ist seit Jahren der Berliner Hockey-Club, kurz BHC, mit rund 700 aktiven Spielern. Burkhart Pohl, einst Spieler in den sechziger Jahren und heute Chefschreiber der Klubzeitung sagt: „Soweit ich mich erinnern kann, gab es in Berlin noch nie einen anderen Klub, der in der gesamten Breite besser aufgestellt war.“ Und Pohl, der BHC-Chronist, zählt die Erfolge quer durch die Jahrgänge auf, landet dann bei insgesamt „75 nationalen Meistertiteln“.
Die Anlage des erfolgreichen Klubs, der viele Nationalspieler hervorgebracht hat und bei den Frauen (neun) und Männern (sieben) nationale Meistertitel im Feldhockey gewinnen konnte, strahlt trotz nationalen Ruhms eine erstaunliche sportliche Ruhe aus. Da ist die rustikale, aber gut bewirtschaftete und vor zehn Jahren komplett sanierte Vereinsgaststätte an der umwaldeten Wilskistraße, da sind ein paar Tennisplätze, zwei Kunstrasenplätze und das zentrale Spielfeld, das Ernst-Reuter-Stadion, von zwei Tribünen flankiert. Die Arena des besten Hockey- Klubs aus der Hockey-Hochburg Berlin und dem Hockey-Mekka Zehlendorf fasst 1500 Besucher.

Familiäre Atmosphäre. Die BHC-Spieler vor einem Bundesliga-Auftritt.
Familiäre Atmosphäre. Die BHC-Spieler vor einem Bundesliga-Auftritt.
© C. Vetter

Rund 30 Berliner Vereine haben Hockey im Programm, aber nirgendwo ist die Dichte so extrem wie in Zehlendorf. Das Gelände von TSV Zehlendorf 88 (kurz „Z88“) grenzt sogar an das des BHC. Und zu den Zehlendorfer Wespen, TuS Lichterfelde, Blau-Weiss oder Steglitzer TK ist es von hier auch nicht weit. Wenn sie beim BHC trainieren, dann in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hertha 03 Zehlendorf, dem Fußballklub, der im Nachwuchs bekannt leistungsorientiert arbeitet. Dort ist verbissen kickenden Jugendlichen anzusehen, dass sie mit dem Fußball nach oben kommen wollen. Im Hockey ist das wohl ein wenig anders, dort sind es auch oft Kinder mit gut situiertem Background, die später nicht darauf aus sind, ihr Geld mit dem Sport verdienen zu wollen. Auch wenn dem Hockey der Ruf vorauseilt, ein Sport der Bessergestellten zu sein, haben es die Klubs in der Berliner Sportszene eher schwer. Aber das hat ja auch wieder etwas. Jonas Diesing sagt: „Was den BHC eben ausmacht, ist der Zusammenhalt, das Vereinsgefühl wird gelebt und wir schaffen es, mit eher kleinen finanziellen Mitteln alles zu stemmen.“ Ins Hockey wächst man in Zehlendorf irgendwie herein, findet Diesing. Er hat schon mit drei Jahren begonnen, viele seiner Schulkameraden hätten ihn dann später im Verein begleitet. „Es gibt in Zehlendorf und in Berlin ziemlich viele Vereine, die gleichmäßig voranschreiten, was ihre Entwicklung angeht.“ So etwas gebe es in Deutschland maximal noch in Hamburg.

Medial findet Hockey kaum statt - es sei denn, es ist Olympia

Hockey flackert wohl allein mit den Erfolgen der Nationalteams bei Olympischen Spielen kurz mal auf. In Zehlendorf ist die Keller-Familie – begonnen hat das schon 1936 mit dem Gewinn der Silbermedaille durch Erwin Keller – ein Begriff. Natascha Keller, Welt- und Europameisterin sowie Olympiasiegerin, ist nicht nur Trainerin, sondern auch ein Vorbild im Klub. Aber die Strahlkraft nach außen ist wohl eher gering, allein der Hamburger Moritz Fürste hat es in jüngsten Jahren über den Sport hinaus zu etwas Popularität geschafft.

In Berlin verdienen selbst die beiden Berliner Bronzemedaillen-Gewinner von Rio de Janeiro 2016, Martin Häner und Martin Zwicker, vor Kurzem Sportdirektor im Klub geworden, kein Geld für ihre Bundesligaeinsätze. „Deshalb ist es schwierig, gute Spieler zum BHC zu holen“, sagt Pohl. „Wir können denen lediglich ein hervorragendes Gelände und einen tollen Klub bieten.“ Kein Geld, kein Auto – das ist in den Standorten Hamburg, Mannheim oder Köln schon anders. National laufen sie beim BHC daher der absoluten Spitze inzwischen auch etwas hinterher. Die Männer wurden zuletzt auf dem Feld 2012 Deutscher Meister, die Frauen 2013 – momentan scheinen beide Teams vom nächsten Titel ein Stück weit entfernt zu sein.

Im Februar ist Hallenhockey-WM in Berlin

Aber es ist eben schwer, in Berlin richtig große Sponsoren zu finden. Dabei ist Hockey durchaus vielseitig, und schließlich gibt es auch zwei Varianten. Im Winter wird in der Halle gespielt. Mit nur fünf statt zehn Feldspielern auf kleinerem Feld. Jonas Diesing findet die Halle besser. „Das Spiel ist deutlich interessanter, schneller und als Spieler hast du öfter den Ball. Das macht den Hallensport extrem attraktiv.“ Das Berliner Publikum kann sich davon bald überzeugen, vom 7. bis zum 11. Februar findet die Hallenhockey-Weltmeisterschaft in der Max-Schmeling-Halle statt. An sich machen etliche der besten deutschen Feldhockeyspieler eher einen Bogen um so ein Event, denn schließlich ist diese Variante sehr verletzungsintensiv. Diesmal aber werden viele der besten deutschen Hockeyspieler antreten. Schließlich ist es eine Heim-WM.

Jonas Diesing wird zuschauen. Obwohl er ein guter Hallenspieler ist, hat es der ehemalige Jugendnationalspieler noch nicht bis ins Nationalteam geschafft. Und wenn, dann könnte er zur Zeit sowieso nicht spielen. Erst am Mittwoch wurde er nach seinem zweiten Mittelfußbruch operiert. Das Riesenhobby ist mitunter eben auch mit Schmerzen verbunden. Aber was macht man nicht alles für seine große Liebe? Wenn es gut läuft mit der Heilung, dann stürmt Jonas Diesing, im sechsten Jahr Bundesligaspieler, wieder in der Rückrunde auf dem Feld für den BHC.

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