Torhüter-Torschütze Mark Appel im Interview: "Es war nicht vorgesehen, dass ich ein Tor schieße"
Hockey-Nationaltorhüter Mark Appel musste bei der World League auf dem Feld aushelfen - und erzielte im Spiel um Platz drei das einzige Tor der Deutschen.
Herr Appel, alles fit?
Es geht so. Die letzte Nacht war durch den Jetlag nicht ganz so einfach. Um fünf Uhr morgens war ich schon wieder wach. Das hatte ich mir etwas anders erhofft.
Was hat denn mehr geschlaucht: der Rückflug mit der Hockey-Nationalmannschaft vom World-League-Finalturnier aus Indien oder das Spiel um Platz drei am Sonntag, in dem Sie als Torhüter 60 Minuten im Sturm spielen mussten?
Der Rückflug war super entspannt, aber das Spiel spüre ich heute noch. Eine solche Belastung kannte ich bisher nicht. In den nächsten Tagen werde ich wahrscheinlich häufiger bei der Behandlung sein, damit es für mich am Wochenende in der Hallen-Bundesliga weitergehen kann.
Die Belastung war vermutlich eine andere, als Sie es als Torhüter gewohnt sind?
Das Gute ist: Ich bin relativ sportverrückt und trainiere dementsprechend viel. Dadurch bin ich bei Ausdauertests immer vorne dabei. Das war nie mein Problem. Ich konnte auch schon immer ganz gut laufen. Aber das Spiel war schon eine extreme Belastung, da hätte ich noch so fit sein können. Am Ende war nicht mehr viel mit klar Denken. Das war nur noch: Kopf aus und so viel rennen wie möglich.
Laufen ist nicht gleich laufen. Auf dem Feld wechseln lange Läufe und kurze Sprints ab.
Ja, das ist das, was ich momentan am meisten spüre. Wie viele Antritte habe ich normalerweise als Torhüter im Spiel? Einen oder maximal zwei. Im Sturm mit den Tempowechseln sieht das ein bisschen anders aus.
Im Halbfinale gegen Weltmeister Australien haben Sie immerhin schon mal ein bisschen üben dürfen.
Da durfte ich mich schon mal ausprobieren, das stimmt. Aber das waren drei oder vier Minuten Spielzeit. Da war nicht viel mit Ballberührung oder ähnlichem. Aber ich war wenigstens schon mal auf dem Platz. Das war ganz praktisch. Obwohl ich nie gedacht hätte, dass ich Sonntag würde durchspielen müssen.
Gegen Australien waren immerhin noch zwölf Feldspieler fit, gegen Indien waren es dann nur noch zehn.
Ferdinand Weinke und Dieter Linnekogel waren schon gegen Australien ein bisschen schlapp. Nach dem Spiel hat es sie auch noch erwischt, mit hohem Fieber und Magen-Darm-Problemen. Das war schon eine irreale Situation. Am Sonntagmorgen war gar nicht klar, ob wir überhaupt spielen. Unser Trainer Stefan Kermas hat uns die Entscheidung überlassen. Die ganze Mannschaft hat gesagt: Das war gegen Australien so ein Wahnsinnsgefühl, das wollen wir noch mal haben.
Was sagt das über die Mannschaft?
Das Teamgefühl in den zweieinhalb Wochen war generell unglaublich gut. Aber mit dem Halbfinale hat das eine Eigendynamik angenommen, die man nicht mehr stoppen konnte. Für uns alle war es ein ganz wichtiger Schritt, als Mannschaft eine solche Grenzerfahrung zu machen. Auch wenn wir das Spiel um Platz drei 1:2 verloren haben, überwiegt der Stolz. Dieses Erlebnis schweißt uns noch mehr zusammen. Auch in der ungewohnten Rolle habe ich mich unglaublich wohlgefühlt – weil die Jungs einfach alles versucht haben, um für mich das Bestmögliche rauszuholen. Das war schon sehr, sehr besonders. Ich freue mich schon jetzt darauf, dass das nächste Jahr mit dieser Truppe wieder anfängt.
Welche Vorgabe hatten Sie für das Spiel gegen Indien?
Die Hauptidee war, dass ich einen Spieler der Inder binde. Das wäre schon ein großer Erfolg für uns. Ich hatte sogar die Chance ein oder zwei Mal im Aufbau zu stören, so dass es zu Ballverlusten kam. Das war für mich schon ein kleines I-Tüpfelchen. Und ich sollte für unsere Topjungs das Fenster öffnen. Der Bundestrainer hat mir vor dem Spiel noch einmal gesagt: „Das Wichtigste ist, dass du läufst. Und sei nicht traurig, wenn du keinen Ballkontakt hast.“ Für mich war das okay. So bin ich auch ins Spiel gegangen.
Dass Sie Tore schießen, war also keine explizite Vorgabe?
Das war nicht vorgesehen. Ich habe auch eigentlich gedacht, dass es außerhalb meiner Möglichkeiten liegt.
Wie konnte es dann passieren, dass Sie zum 1:1 getroffen haben?
Die klare Ansage an mich war, dass ich den langen Pfosten besetze, um dem Keeper ein bisschen Kopfkino zu geben. Ich weiß ja selbst: Wenn da einer steht, der ein bisschen Alarm macht und rumschreit, dass er den Ball haben will, dann hat man das als Torhüter einfach im Hinterkopf. Als ich meine Position am langen Pfosten mal wieder eingenommen hatte, kam Mats Grambusch mit einem ziemlich guten Dribbling über die rechte Seite. Ich habe ein paar Jungs von uns am Kreisrand gesehen und auch schon leicht abgeschaltet: Okay, einer von denen wird jetzt angespielt. Mal gucken, ob ich vielleicht was Richtung Rebound machen kann. Mats hat den Ball in den Kreis gespielt und das auch noch so hart, dass er durch zwei Inder durchging. Plötzlich stand ich ziemlich alleine am langen Pfosten. Ich hatte das Glück, dass ich den Ball relativ gut verarbeiten konnte, und der Keeper genauso reagiert hat, wie ich es wahrscheinlich auch gemacht hätte. Da hat man dann vielleicht einen kleinen Vorteil.
Nämlich?
Er ist auf mich zugerutscht, um unten so viel Fläche wie möglich zu machen. Dadurch war es ein relativ leichter Schlenzball, der auch knapp über ihn ging.
Sie haben in dieser Situation wirklich noch eine bewusste Entscheidung getroffen?
Na ja, ich bin ganz ehrlich: Man träumt natürlich auch, wenn man hört, dass man im Sturm spielt. Man macht sich Gedanken: Was passiert, wenn du wirklich mal einen Ball kriegst? Ich habe mir halt gedacht, am größten ist die Wahrscheinlichkeit, genau so ein Tor zu schießen. Von daher habe ich das tatsächlich vorher gedanklich durchgespielt. Aber in der Situation selbst war, auch aufgrund der Belastung zuvor, nicht mehr ganz so viel mit Nachdenken.
Hatten Sie noch andere Situationen?
Ich hatte vorher schon zwei, drei Ballkontakte. Das war aber mehr: Ball annehmen, kurz ablegen, und dann bin ich wieder abgehauen. Große Torchancen gab es nicht mehr. Ich habe hauptsächlich am langen Pfosten geparkt.
Haben Sie früher mal im Feld gespielt?
Bis ich sechs oder sieben war, habe ich ganz normal Hockey gespielt. Irgendwann habe ich dann die Entscheidung getroffen, dass ich ein bisschen mehr Lust aufs Tor habe – oder vielleicht: ein bisschen weniger auf Laufen. Ich würde mich persönlich auch nicht als guten Hockeyspieler einschätzen, ganz im Gegenteil.
Das heißt, Sie haben auch keine Lust, noch mal die Position zu wechseln?
Meine Jungs haben mir zwar alle geschrieben, dass ich am Wochenende im Feld spielen soll. Ich glaube aber, die Defizite, die da vorliegen, sind in der Kürze der Zeit nicht mehr aufzuholen.