Hertha BSC: Letzter Versuch für Sinan Kurt
Pal Dardai, der Trainer von Hertha BSC, hat Sinan Kurt nicht für den Europapokal gemeldet. Jetzt hofft er auf eine Trotzreaktion des Offensivspielers.
Das rechte Hosenbein war Sinan Kurt fast bis in den Schritt gerutscht. Aber anstatt es wieder in die Ausgangsposition zu befördern, trug Kurt es fast wie eine Trophäe. Das Hosenbein war ihm nach oben gerutscht, als er über den nassen Rasen geschliddert war, um einen Querpass abzufangen. Kurt brachte seinen Fuß an den Ball und lenkte ihn ins gegnerische Tor. „Gut, Sinan!“, rief Pal Dardai . Es waren wirklich ungewohnte Töne, die Kurt am Mittwochvormittag vernahm.
„Heute war er der beste Spieler auf dem Platz“, sagte Dardai, der Trainer von Hertha BSC, nach dem Training. Kurt war gleich mehrmals aufgefallen, und zwar ausschließlich positiv. Einmal ließ er sich im Duell mit Vedad Ibisevic den Ball abjagen, Kurt setzte nach, blockte den Schuss des Bosniers, und von seinem Bein nahm der Ball eine Flugkurve über Thomas Kraft hinweg ins gegnerische Tor. Applaus, Applaus. Wie auch in der letzten Aktion des Trainings, als es um Sieg oder Niederlage ging und Kurt den finalen Schuss mit einer Grätsche ins Aus lenkte.
Dass der 21-Jährige so eifrig zur Sache ging, war ebenso erwartbar wie überraschend. Erwartbar, weil Kurt etwas gutzumachen hatte. Andererseits hätte es nach seiner Vorgeschichte auch niemanden gewundert, wenn er lustlos und mit schlackernden Armen über den Platz geschlichen wäre. Tags zuvor war bekannt geworden, dass Kurt nicht dem 25er-Kader angehört, den Hertha für die Gruppenphase in der Europa League gemeldet hat. Europäisch spielen wird er in diesem Jahr also nicht mehr. Aber das ist ohnehin eine nachrangige Frage. Die eigentliche Frage lautet: Wird Sinan Kurt überhaupt noch mal für den Berliner Fußball-Bundesligisten spielen? In anderthalb Jahren bei Hertha ist er zweimal zum Einsatz gekommen, hat sechs Minuten gespielt und insgesamt zwei Ballkontakte gehabt.
„Wahrscheinlich hat er das gelesen, keine Ahnung“, sagte Dardai über Kurts Nichtnominierung für den Europapokal. Offiziell mitgeteilt hat er es ihm nicht, und erklären müsse er es schon mal gar nicht. Die Entscheidung spricht für sich. Herthas Trainer versucht seit Monaten, Kurt zu mehr Professionalität zu bewegen, mal mehr, mal weniger subtil. Nachdem er im Sommer leicht übergewichtig aus dem Urlaub zurückgekehrt war, ist er von Dardai sehr deutlich angezählt worden („Er muss seinen Arsch bewegen").
Ein bisschen Pech hatte der Linksfuß im Winter, als er auf dem Sprung in die erste Elf schien und sich im Trainingslager am ersten Tag am Sprunggelenk verletzte. Generell aber hat Kurt in seiner Profikarriere nicht besonders viel richtig gemacht. Die Ursünde war wohl der frühe Wechsel aus der A-Jugend von Borussia Mönchengladbach zu den Profis des FC Bayern München. Kurt ist nicht nur in Mönchengladbach geboren, der Verein hat ihm auch in einer Notsituation geholfen, als er ihn im Jugendinternat wohnen ließ, obwohl die Plätze eigentlich für auswärtige Spieler reserviert sind.
Kurt wollte alles - und steht jetzt vor dem Nichts
Trotz allem hat er im Sommer 2014 gemeinsam mit seinem Berater den Wechsel zu den Bayern betrieben, anstatt sich in die Obhut des anerkannten Talententwicklers Lucien Favre zu begeben. Kurt wollte alles, am liebsten sofort – und steht jetzt endgültig vor dem Nichts.
Vom Boulevard wird Kurt immer noch als „Mega-Talent“ geführt, was für einen 21-Jährigen fast schon ehrenrührig ist. Kurt ist im selben Jahr geboren wie Leroy Sané, Julian Brandt und Timo Werner, die längst Nationalspieler sind. Vom Mega-Talent ist es in seinem Alter nur noch ein kleiner Schritt zum ewigen und dann zum gescheiterten Talent.
Vorige Woche, im Test gegen Union, wurde Kurt erst in der zweiten Halbzeit eingewechselt, obwohl der halbe Kader auf Länderspielreise war. In der U 23 erging es ihm zuletzt ähnlich. „Erst einmal muss er es hinkriegen, bei Ante Covic einen Stammplatz zu bekommen. Die nächste Station ist dann bei mir“, sagt Dardai. „Er muss jetzt richtig lange gut trainieren, damit der böse Trainer das sieht.“
Kurts Berater betreut auch Größen aus der Musikbranche. Ein Leben als Popstar, das könnte sich vermutlich auch Sinan Kurt gut vorstellen. Vielleicht aber versucht er es jetzt noch einmal, ein allerletztes Mal, ernsthaft als Fußballer. „Er muss mir zeigen: Mir ist der Fußball heilig, mir ist das Training heilig, ich will Fußballer werden“, sagt Trainer Pal Dardai. „In letzter Zeit habe ich das vermisst. Aber seitdem er in der Kritik steht, bewegt er seinen …“