Nationalmannschaft: Joachim Löw setzt auf die neue deutsche Welle
Der Bundestrainer will die Offensive des Nationalteams mit einer Dreierkette im Sturm beleben. Wie weit diese Variante trägt, muss sich erst noch zeigen.
Vielleicht war es ja dieses erste deutsche Tor gegen Russland am Donnerstagabend, das den Weg aus der deutschen Kalamität in der Offensive weist. Nachdem Thilo Kehrer den Ball aus dem deutschen Mittelfeld nach vorn getrieben und sich dem russischen Tor genähert hatte, konnten sich Serge Gnabry und Leroy Sané beinahe synchron von ihren jeweiligen Gegenspieler lösen. Kehrer bediente Gnabry, der in den Strafraum eindrang und im Augenwinkel mitbekam, dass eben auch Sané mit nach vorn geprescht war. Gnabry legte quer zu ihm rüber, Sané traf zur frühen Führung.
Es war nicht nur ein schönes Tor, es war ein Tor, dass in seiner Entstehung bestach nur noch vom deutschen 3:0 an diesem Leipziger Abend übertroffen wurde. In Windeseile war der Ball aus der deutschen Abwehr (Niklas Süle) über das deutsche Mittelfeld (Kai Havertz) in der zentralen Spitze bei Gnabry gelandet, der sofort abzog und traf.
Beide Treffer waren formvollendet, beide wurde lehrbuchhaft herausgespielt, jede Aktion sah logisch und leicht zugleich aus, das Publikum traute seinen Augen nicht. War das wirklich die deutsche Mannschaft, die bei der WM an der eigenen Trägheit und Arroganz gescheitert war und die in diesem Jahr nur durchschnittlich 0,82 Tore pro Spiel erzielt hatte? Immer wieder war über das deutsche Sturmproblem diskutiert worden. Selbst am Tag vor dem Russland-Spiel hatte der Bundestrainer noch gestöhnt. „Den typischen Mittelstürmer, der von klein auf vorne drin spielt und eine Weltklasse-Qualität mitbringt, haben wir in Deutschland jetzt nicht“, sagte Joachim Löw. „Daher müssen wir andere Möglichkeiten finden.“
Werner, Gnabry und Sané heißen die Hoffnungsträger
Vielleicht hat er sie gefunden. Die deutsche Nationalelf spielt jetzt nicht nur mit einer Dreierkette in der Abwehr, sondern auch mit einer im Angriff. Bestehend aus dem Leipziger Timo Werner, dem Bayern-Profi Serge Gnabry und Leroy Sané von Manchester City. Zu diesem Lösungsansatz war Löw vor einem Monat im Spiel in Paris gegen Weltmeister Frankreich von der Öffentlichkeit ein bisschen gedrängt worden. Noch einen Monat zuvor, beim 0:0 im Nations-League-Hinspiel gegen Frankreich, hatte Marco Reus im Sturmzentrum gespielt. Flankiert wurde er von Werner und Thomas Müller. Gegen Peru (2:1) wurde Müller durch den Leverkusener Julian Brandt ersetzt. Beim 0:3 gegen die Niederlande im Oktober versuchte es Löw mit dem Schalker Mark Uth in vorderster Front. Das alles saß nicht so richtig.
Nun aber scheint Löw einen Königsweg gefunden zu haben. Werner, Gnabry und Sané vereinen wichtige Attribute, sie sind schnell, wendig und verfügen über ein gewisses Spielvermögen. „Die Drei haben es überwiegend sehr gut gemacht“, sagte Löw nach dem Spiel gegen die Russen. Vor allem Gnabry im Sturmzentrum hat es dem Bundestrainer angetan. Schon gegen Frankreich habe es der 23-Jährige gut gemacht: „Er ist sehr beweglich, kann den Ball halten, sein Tor zum 3:0 gegen Russland war große Klasse.“
Fakt ist, dass das Trio das deutsche Offensivspiel belebt. Wie weit diese Variante trägt, muss sich erst noch zeigen. „Es wäre wünschenswert, wenn wir einen Topstürmer haben, der im Zentrum alles vereint“, sagte der Bundestrainer. In andere Nationalteams gäbe es einige Spieler, die „dieses Anforderungsprofil auf allerhöchstem Niveau erfüllen“, sagte Löw und zählte als Beispiele Edinson Cavani (Paris), Luis Suarez (Barcelona) und Robert Lewandowski (München) auf. Diese Stürmer würden nicht nur vorn drin stehen und warten, bis sie ihre Chance bekommen, sondern könnten auch gut mitspielen.
Kehrt Marco Reus zurück?
Löws Dauerthema in den wenigen Übungseinheiten zuletzt war die Optimierung des eigenen Offensivspiels gewesen. Wie kann man die Spieldynamik auch im letzten Drittel aufrechterhalten? „In der ersten Halbzeit haben wir ein sehr gutes Tempo gespielt“,sagte Löw. Man habe versucht, die erste und zweite Reihe der Russen zu überspielen und eine Dynamik aufzubauen. „Zwei der drei Tore waren sehr gut herausgespielt“, sagte Löw. „Auf der anderen Seite wollte ich von der Offensive den Killerinstinkt sehen. Das ist der Schlüssel.“
Am Montag im Rückspiel der Nations League gegen Holland könnte Marco Reus wieder zur Verfügung stehen. Seine Entscheidung wollte Löw von seinen Eindrücken im Training und einem Gespräch mit dem Dortmunder Kapitän abhängig machen. Auch der 29-Jährige ist alles andere als ein typischer Mittelstürmer, als hängende Spitze aber trotzdem ungemein abschlussstark, wie er zuletzt beim 3:2-Sieg über den FC Bayern zeigte. Und auch im Nationalteam würde er zwei junge und flinke Partner an die Seite bekommen.