Fußball-Nationalmannschaft: Joachim Löw geht ins Risiko
Aufbruch und Neustart: Am Mittwoch spielt das DFB-Team gegen Serbien. Ausgerichtet ist aber alles auf das erste Spiel in der EM-Qualifikation am Sonntag.
Joachim Löw musste am Sonntag ein wenig improvisieren. Wegen Schmerzen an der Zahnwurzel sah er sich kurzfristig dazu genötigt, eine Notarztpraxis aufzusuchen. Und wegen eines Kontrolltermins am nächsten Morgen musste der Bundestrainer seine Reise zum Treffpunkt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft um ein paar Stunden verschieben. Inzwischen aber ist wieder alles in Ordnung. „Die Schmerzen sind über Nacht weg“, berichtete Löw am Dienstag.
Dass die Probleme seines Teams ebenfalls über Nacht verschwinden, ist eher nicht zu erwarten. Für die Nationalmannschaft beginnt an diesem Mittwoch (20.45 Uhr, RTL) mit dem Testspiel gegen Serbien laut Löws Aussage eine neue Zeitrechnung. Um es etwas überspitzt zu formulieren: Die WM 2014 ist jetzt – ohne Mats Hummels, Jerome Boateng und Thomas Müller – endgültig zu Ende. Schon beim Zusammentreffen in Wolfsburg hat Oliver Bierhoff, der Manager der Nationalmannschaft, festgestellt: „Es war ein Aufbruch. Es ist wirklich ein Neustart.“
Der Bundestrainer erwartet von seiner Mannschaft nichts anderes als einen Kickstart. Viel Zeit zur Eingewöhnung bleibt nicht, bis für den gestürzten Weltmeister am Sonntag die Qualifikation für die EM 2020 beginnt – und das gleich mit dem schwerstmöglichen Spiel: In Amsterdam trifft die Nationalelf auf die Niederlande, gegen die Löws Team im Herbst in der Nations League nur einen Punkt aus zwei Spielen geholt hat. Von den Begegnungen in dieser Woche ist das Spiel in Holland natürlich das, „was eine größere Wertigkeit hat“, wie der Bundestrainer sagte. „Alles ist ein bisschen ausgerichtet auf das Spiel gegen die Niederlande.“
Löw kalkuliert Rückschläge ein
Die Serben sollen idealerweise den perfekten Sparringspartner für das Spiel am Sonntag mimen. „Das ist eine technisch hoch stehende Mannschaft, die von ihrer Spielanlage den Holländern ähnelt“, sagte Löw. Der Test muss gewissermaßen die Trainingseinheiten ersetzen, die der Bundestrainer in dieser Woche nicht hat. Am Montag ist die Mannschaft zusammengekommen, viele Spieler arbeiteten nur regenerativ, erst am Dienstag stand das erste und einzige gemeinsame Training an. „Ich hätte gerne ein paar Einheiten mehr gehabt“, sagte Löw. Nicht nur, weil mit Niklas Stark, Lukas Klostermann und Maximilian Eggestein drei Neue im Aufgebot stehen, sondern auch weil der Bundestrainer von seinem Team künftig ein anderes Gesicht sehen will.
Die neue Mannschaft muss sich nicht nur schnell finden, sie soll auch viel schneller spielen als zuletzt. „Mehr Tempo, mehr Dynamik, mehr Zielstrebigkeit, das sind wichtige Themen“, sagte Löw. In der Rückschau auf die vergangenen Monate inklusive Weltmeisterschaft hat er drei gravierende Defizite identifiziert: Nach Ballverlusten hat die Mannschaft nicht gut verteidigt; bei gegnerischen Standards sah sie nicht gut aus, und das Umschaltspiel nach Ballgewinnen hat ihn nicht überzeugt: „Wir hatten viel Ballbesitz, aber wenig Tempo zum Tor.“
Beim Thema 'Tempo' wird es der Bundestrainer nicht leicht haben. Ein Teil der Bundesliga-Mannschaften steht fast nur hinten drin, der andere Teil sucht Lücken und spielt sich in der eigenen Hälfte minutenlang den Ball zu.
schreibt NutzerIn belo2013
Löw sieht "ein gewisses Risiko"
Die Deutung, dass der Bundestrainer das Spiel seiner Mannschaft auf links dreht, wäre trotzdem unzulässig. „Unsere Spielweise wird nicht völlig über den Haufen geworfen“, sagte Löw. Er sei kein Trainer, der dem Gegner bewusst den Ball überlassen wolle. „Wir brauchen Ballbesitz, wir wollen weiter agieren, aber mit mehr Tempo in den Aktionen.“ Auch deshalb hat sich Löw zu personellen Entscheidungen durchgerungen, die er nun sogar als alternativlos bezeichnete. Natürlich sei mit dem Verzicht auf erfahrene Spieler wie Hummels, Boateng und Müller ein Risiko verbunden, Rückschläge müsse man einkalkulieren. Trotzdem will sich Löw nicht nur irgendwie durch die Qualifikation wurschteln, sondern sie souverän hinter sich bringen. „Wir haben eine ganz, ganz junge Mannschaft“, sagte der Bundestrainer. „Aber mein Vertrauen in die Spieler ist groß.“