Deutsche Nationalmannschaft: Joachim Löw rechtfertigt sich und beruft drei Neulinge
Bundestrainer Löw hat seinen Kader für die nächsten Länderspiele bekanntgegeben. Außerdem erläuterte er die Ausbootung der Bayern-Stars ausführlich.
Joachim Löw hat seit dem WM-Aus vor neun Monaten vieles über sich hören oder lesen müssen, was ihm nicht gefallen haben dürfte. Dass er in den Tag hinein lebe zum Beispiel, dass es ihm an der nötigen Besessenheit fehle und manchmal auch an der Liebe zum Detail. Man muss solche Urteile wohl ein Stück weit revidieren. Als der Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Anfang voriger Woche zum FC Bayern München gereist ist, um mit den Nationalspielern Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng ein finales Perspektivgespräch zu führen, da war er natürlich perfekt vorbereitet. „Ich habe mich schon erkundigt, wie die Trainingszeiten aussehen“, hat Löw am Freitag berichtet.
Die Reise nach München, das Gespräch mit Hummels, Müller und Boateng und die daraus resultierenden Konsequenzen für die drei Weltmeister haben dem Bundestrainer viel Kritik eingebracht. Unwürdig und stillos habe er die Verabschiedung der drei Nationalspieler abgewickelt, wurde ihm vorgeworfen, auch die Betroffenen selbst meldeten sich über ihre Social-Media-Kanäle zu Wort und äußerten ihre Enttäuschung. Am Freitag nun hat der Bundestrainer in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt am Main erstmals öffentlich zu der Kritik an seiner Person Stellung genommen.
Die Pressekonferenz, bei der Löw den Kader für die beiden anstehenden Länderspiele in der kommenden Woche vorstellte, war so etwas wie der offizielle Abschied von der Vergangenheit. Der Bundestrainer erklärte den personellen Umbruch für „unerlässlich und unumgänglich“, nachdem er unmittelbar nach dem WM-Desaster im Sommer noch genau den gegensätzlichen Kurs verfolgt und vom unschätzbaren Wert der Erfahrung geschwärmt hatte. „Wir haben uns entschieden, gewisse Entscheidungen zu treffen“, sagte Löw nun. „Dass es Veränderungen geben muss, war klar.“
Zumindest nach den Ergebnissen und Erkenntnissen aus dem Herbst, in dem die Nationalmannschaft in jeder Hinsicht so weiterspielte wie gehabt. Löw erzählte am Freitag, dass er nach der WM auf den Trotz seiner erfahrenen Spieler gesetzt hatte. Aber diese Hoffnung stellte sich als trügerisch heraus. „Für mich persönlich war es jetzt der richtige Zeitpunkt: Jetzt braucht’s Veränderung.“
Bloß kein Eiertanz
Das bekamen zuerst Hummels, Boateng und Müller zu spüren. Der Kritik an seinem Vorgehen trat Löw entschieden entgegen: Ihm sei es wichtig gewesen, mit den Spielern ein „persönliches, offenes, auch ehrliches Gespräch“ zu führen. Dass die Unterredungen nicht besonders lange gedauert hatten, ist Löw ebenfalls vorgehalten worden. „Die Zeit ist kein Indikator für die Qualität eines Gesprächs“, entgegnete er. Und dass er anschließend in der Zeitung detailliert über die Inhalte informiert wurde, fand der Bundestrainer schon „ein bisschen befremdend“.
Löw teilte den drei Münchnern mit, dass er weder für die EM-Qualifikation noch für die Europameisterschaft 2020 mit ihnen plane. „Ich habe sie nicht aus der Nationalmannschaft verbannt. Sie haben auch nichts verbrochen“, sagte er. Sie werden eben nur nicht mehr eingeladen. Ihnen trotzdem noch ein Hintertürchen offen zu lassen, das hätte Löw als Eiertanz empfunden, „es wäre den Spielern gegenüber auch nicht fair gewesen“. Denn Hummels, Boateng und Müller genössen weiterhin „allergrößte Wertschätzung und allergrößte Dankbarkeit“. Es gebe auch „keine Dinge, die zwischen uns stehen und unser Verhältnis belasten“.
Zumindest Hummels und Müller wären grundsätzlich weiter bereit, für die Nationalmannschaft zu spielen. Dass Löw von diesem Angebot Gebrauch machen wird, ist erst einmal unwahrscheinlich. Der Bundestrainer scheint derzeit fest zum Neubeginn entschlossen. Für die Länderspiele gegen Serbien (Mittwoch) und Holland (Sonntag) hat Löw neben Herthas Innenverteidiger Niklas Stark (hier im Interview zu seiner Nominierung) auch den Leipziger Rechtsverteidiger Lukas Klostermann, 22, und Mittelfeldspieler Maximilian Eggestein, 22, von Werder Bremen erstmals nominiert. Zudem kehrt Klostermanns Teamkollege Marcel Halstenberg nach seiner Verletzung ins Nationalteam zurück. Er ersetzt den Kölner Jonas Hector, den Löw sehr schätzt und fast immer hat spielen lassen.
Wie in einer früheren, sehr erfolgreichen Periode seiner Amtszeit steht für Löw jetzt wieder jugendlicher Elan vor Erfahrung. Seine Mannschaft brauche wieder „viel mehr Dynamik, Zielstrebigkeit, Schnelligkeit“. Von den 23 Spielern, die Löw nominiert hat, ist nur Torhüter Manuel Neuer älter als 30. Mit ihm und Toni Kroos sind zudem nur noch zwei Spieler aus dem WM-Finale 2014 dabei. Und trotzdem, so der Bundestrainer, habe man eine konkurrenzfähige Mannschaft. „Die Spieler müssen auch in die Verantwortung hereinwachsen“, sagte Joachim Löw. Jetzt bekommen sie auch die Gelegenheit dazu.
Das 23-köpfige Aufgebot im Überblick
Torhüter: Manuel Neuer, Marc-André Ter Stegen, Kevin Trapp
Verteidiger: Matthias Ginter, Marcel Halstenberg, Lukas Klostermann, Thilo Kehrer, Antonio Rüdiger, Nico Schulz, Niklas Süle, Niklas Stark, Jonathan Tah
Mittelfeld/Angriff: Julian Brandt, Maximilian Eggestein, Serge Gnabry, Leon Goretzka, Ilkay Gündogan, Kai Havertz, Joshua Kimmich, Toni Kroos, Marco Reus, Leroy Sané, Timo Werner