Wolfsburgs Trainer Oliver Glasner: „Jemanden zu kopieren, wäre falsch“
Der österreichische Trainer des VfL Wolfsburg über die Klimaproteste, Menschenführung, sein Verständnis von Heimat und das Duell mit dem 1. FC Union.
Oliver Glasner, 45, wechselte in diesem Sommer zum VfL Wolfsburg. Zuletzt trainierte der Österreicher Linz und belegte nach dem Aufstieg 2017 Platz vier und Platz zwei. Am Sonntag (15.30 Uhr/Sky) trifft er auf den 1. FC Union. Zuvor haben wir mit ihm gesprochen.
Herr Glasner, was lief am Sonntagabend bei Ihnen im Fernsehen, das Spiel Ihres Europa-League-Gegners St. Etienne oder die Berichterstattung zur Wahl in Österreich?
Ich habe St. Etienne im Fernsehen geschaut. Das Spiel und die ersten Hochrechnungen waren gleichzeitig um 17 Uhr und deshalb habe ich die Wahl natürlich parallel im Internet verfolgt.
Was hat Sie dabei mehr bewegt, das Fußballspiel oder die Wahlergebnisse?
Ich möchte die Wahl jetzt nicht im Detail kommentieren. Es war meine erste Briefwahl und ich habe meine Wahlkarte ausgefüllt, das war mir wichtig. Kurzfristig war für mich St. Etienne aber relevanter.
Die Grünen haben bei der Wahl deutlich zugelegt und das passt in die momentane Stimmung mit den „Fridays for Future“-Demonstrationen. Macht man sich als Mensch im Profifußball, wo Flüge zu Auswärtsspielen, Busfahrten und Dienstautos wie selbstverständlich dazugehören, über ein Thema wie den Klimawandel besondere Gedanken?
Ich habe das noch nie heruntergebrochen auf den Fußball. Ich denke, dass es in unser aller Verantwortung liegt, dass wir unsere Welt lebenswert gestalten. Nur zu protestieren und zu sagen, so geht es nicht, ist mir aber zu einfach und manchmal auch zu populistisch. Wir könnten im Fußball natürlich sagen, wir verzichten auf Bus und Flugzeug. Dann müssen wir die Champions und Europa League aber wahrscheinlich abschaffen. Wenn man sich ernsthaft mit der Problematik auseinandersetzt und Lösungen aufzeigt, bin ich der Erste, der mit dabei ist.
Es gibt relativ wenige Fußballer, die öffentlich eine Meinung zu solchen politischen oder gesellschaftlichen Themen äußern. Hat das etwas damit zu tun, dass viele Spieler durch die Professionalisierung der Nachwuchsarbeit kaum noch Gelegenheiten haben, mal aus dem Mikrokosmos Profifußball herauszuschauen?
Die Spieler sind sehr früh in einem System und werden von diesem natürlich stark geprägt. Aber dazu muss ich auch mal klarstellen: Ich bin jetzt 45 und mit 20 Jahren hätte ich zu vielen Themen auch keine Meinung gehabt. Wenn Sie mich damals auf Kinder und Familie angesprochen hätten, hätte ich Ihnen gesagt, das interessiert mich jetzt nicht. Heute habe ich drei Kinder und es ist natürlich ein wichtiges Thema. Ich finde es schon ein bisschen problematisch, dass sich viele junge Leute mit Politik nicht besonders auseinandersetzen. Hier sehe ich ein Problem in der Ausbildung, in der Schule. Ich würde aber nicht sagen, dass das für Fußballer besonders gilt.
Sie haben während Ihrer Spielerkarriere Wirtschaftswissenschaften studiert. Würden Sie das Ihren Spielern empfehlen?
Das muss jeder für sich selber entscheiden. Ein Trainer von mir hat einmal gesagt, wenn du deinen Geist und Körper trainierst, hält dich das jung und fit. Dem kann ich nur zustimmen und bei mir war es so, dass ich gerne etwas neben dem Fußball machen wollte. Mir war es auch wichtig, nicht vom Fußball abhängig zu sein – und das nicht nur finanziell. Als Fußballer bist du in deinem Kosmos drin und plötzlich, mit 30 oder mit 35, ist es zu Ende. Der Großteil deines Lebens liegt dann noch vor dir und besteht halt nicht mehr nur aus Fußball. Dann geht es auch darum, eine neue Aufgabe zu finden, Interessen zu finden.
Unions Trainer Urs Fischer geht als Ausgleich zur hohen Belastung im Fußball gern angeln. Was machen Sie, um abschalten?
Ich versuche, regelmäßig Golf zu spielen – und wenn es nur neun Loch am Abend sind. Beim Golfen bist du mit dir selbst beschäftigt, machst mal das Handy aus, musst dich konzentrieren und es ist auch nie jemand anderes schuld als du selbst.
Wolfsburg ist Ihre erste Auslandsstation, wie kommen Sie mit der Trennung von der Familie klar?
Dass ich 700 Kilometer von meiner Familie entfernt lebe, ist sicherlich nicht das Idealszenario, aber wir lösen das bisher sehr gut. Meine Frau und die Kinder kommen immer mal wieder hoch, ich fahre in der Länderspielpause für ein paar Tage nach Hause. Und heutzutage hast du mit den Videotelefonaten ohnehin nie das Gefühl, dass du ganz weg bist.
Fehlt Ihnen sonst irgendetwas aus Österreich?
Ich verbinde Länder immer mit den Menschen, die ich dort kenne. Österreich ist für mich nicht Österreich, weil es da Berge gibt oder eine bestimmte Küche. Was eher fehlt ist der persönliche Kontakt zu der Familie, den Freunden. Das war aber auch dort schon nicht immer einfach. Es ist einer der Nachteile, wenn man im Fußballgeschäft ist, dass die Hauptarbeitszeit am Wochenende ist. Da bist du bei Geburtstagen oder Hochzeiten halt oft nicht dabei. Das ist der Preis, den du zahlen musst – und den ich auch zu zahlen bereit bin.
Wie haben Sie als Kind in Österreich die deutsche Bundesliga erlebt?
Ich bin in der Nähe der bayerischen Grenze aufgewachsen und wir hatten auch drei deutsche Programme. Samstag war da Sportschau angesagt und – wenn ich etwas länger aufbleiben durfte – auch das Sportstudio. Natürlich war die Bundesliga für mich damals schon ein Thema.
In der vergangenen Saison haben Sie mit Linz die CL-Qualifikation erreicht. Dennoch sind Sie trotz eines laufenden Vertrages nach Wolfsburg gewechselt. Welche Rolle hat die Anziehungskraft der Bundesliga dabei gespielt?
Als das Interesse gekommen ist, habe ich natürlich überlegt. Ich war vier Jahre in Linz, wir haben gemeinsam eine super Erfolgsgeschichte geschrieben. Da fragst du dich: Wo kann es noch hingehen, welche Herausforderungen gibt es hier noch? Und welche Herausforderungen gibt es beim VfL Wolfsburg? Die deutsche Bundesliga ist schon eine andere Kategorie als die Liga in Österreich.
Der VfL ist sehr eng mit dem Volkswagen-Konzern verbunden. Wie nehmen Sie diese Verbindung in Ihrer Arbeit wahr?
Es ist nicht so, dass ich täglich im Werk bin oder umgekehrt. Als es zur Vertragsunterschrift kam, habe ich auch VW-Aufsichtsräte kennengelernt. In der täglichen Arbeit steht aber natürlich der Kontakt mit den sportlichen Verantwortlichen beim VfL, mit Jörg Schmadtke und Marcel Schäfer, im Vordergrund. Da ist der Austausch viel häufiger als mit dem Konzern VW. Mir ist vor allem wichtig, dass wir alle das gemeinsame Ziel haben, den VfL sportlich erfolgreich zu machen.
Lässt sich das an einer Tabellenposition festmachen?
Nein, jetzt noch nicht. Wenn wir 14. werden, können wir von sportlich erfolgreich sicher nicht sprechen, auch wenn wir vielleicht einen ganz ordentlichen Fußball gespielt haben. Es ist aber auch nicht so, dass wir bei Platz sieben oder acht von einem Katastrophenjahr sprechen. Es gibt in der Bundesliga viele Mannschaften, die den Anspruch haben, um die europäischen Plätze mitzuspielen. Dass wir als VfL eine davon sind, wissen wir – und das trauen wir uns auch zu sagen.
Sie sind an den ersten sechs Spieltagen ungeschlagen geblieben. Wie zufrieden sind Sie mit dem Saisonstart?
Wenn wir mit zwölf Punkten aus den ersten sechs Spielen nicht zufrieden wären, würde bei uns etwas falsch laufen. Klar, kannst du immer rechnen, hätten wir da ein Tor mehr gemacht, einen Punkt mehr geholt. Aber das macht zu diesem Zeitpunkt doch jede Mannschaft. Für uns war das ein sehr guter Auftakt, wohlwissend, dass wir uns fußballerisch noch verbessern wollen.
Sie haben beim VfL auf ein 3-4-3 umgestellt. Gehört das fest zu Ihrer Spielidee oder machen Sie die taktische Aufstellung vom Kader abhängig?
Ich bin jetzt das sechste Jahr Cheftrainer und ich habe schon fast alle Systeme gespielt. Es geht vor allem darum, den Spielern eine Idee zu vermitteln, wie wir mit und gegen den Ball agieren wollen. Die Formationen sind dann eher Zahlenspiele.
Am Sonntag empfängt Ihr Team den 1. FC Union. Der Aufsteiger hat zuletzt drei Mal in Folge verloren. Wie haben Sie den Klub bisher erlebt?
In der Vorbereitung haben wir schon gegen Union gespielt und da hat man gesehen, dass das eine sehr kampfstarke Mannschaft ist. Letzte Woche habe ich mir das Spiel im Fernsehen angesehen und die haben Frankfurt das Leben richtig schwer gemacht. Union kommt über die Physis, die Lautbereitschaft, die Zweikampfstärke und hat mit Ujah und Andersson zwei extrem robuste Spieler vorne drin. Ich finde, dass sie mit ihrer Art zu spielen und sich als Verein zu präsentieren, eine absolute Bereicherung für die Liga sind.
"Soziale Kompetenz ist mindestens so wichtig wie Fachkompetenz"
Sie lassen sich seit ein paar Jahren vom Soziologen Werner Zöchling beraten. Wie muss man sich das vorstellen?
Es sind schon deutlich mehr als ein paar Jahre. Wir kennen uns seit Ende der Neunziger, als ich noch Spieler war, und mittlerweile ist zwischen uns eine Freundschaft entstanden. Er beobachtet mich und gibt mir gutes Feedback. Es ist sehr hilfreich, wenn man jemanden hat, dem man vertraut und mit dem man sich austauschen kann. Wir sprechen immer wieder darüber, wie man Zugang zu Personen bekommt. Es geht da um Menschenführung und Persönlichkeit. Am Anfang meiner Karriere hat er mir gesagt, dass ich da draußen an der Seitenlinie nicht so rumturnen soll, aber mittlerweile geht das einigermaßen.
Wird im Profifußball im mentalen Bereich noch zu selten die Hilfe von Experten gesucht?
Nein. Ich denke, das ist im Fußball mittlerweile zu 100 Prozent angekommen. Jeder Trainer sagt, dass die soziale Kompetenz mindestens so wichtig ist wie die Fachkompetenz. Auch in vielen Unternehmen ist es gang und gäbe, dass sich Führungskräfte externe Unterstützung holen, weil man selbst oft im Tunnel ist. Da tut es gut, wenn jemand von außen zuschaut und einem eine andere Perspektive eröffnet.
Haben Sie in puncto Mannschaftsführung ein Vorbild?
Nein. Jemanden zu kopieren, wäre falsch. Ich kann nicht alles so machen wie Klopp, weil es bei ihm funktioniert, oder kaugummikauend ganz relaxed an der Seitenlinie stehen wie Ancelotti. Das nehmen mir die Spieler nicht ab. Für mich ist es wichtig, authentisch zu sein.
Sie beschäftigen sich sehr intensiv mit vielen Facetten des Fußballs. Wie wichtig sind für Sie die zahlreichen Daten, die mittlerweile erhoben werden?
Klar helfen die in gewisser Weise. Du kannst dich aber auch in den Daten verlieren. Ein Spieler kann 95 Prozent Passquote haben, passt aber nur nach hinten oder quer. Da nehme ich lieber 80 Prozent, dafür spielt er auch ein paar Pässe nach vorne. Du musst das herausfiltern, was für dich, was für deinen Fußball am wichtigsten ist. Letztlich geht es darum, aus den subjektiven Eindrücken, den Positionsdaten und den Videoanalysen die richtigen Schlüsse zu ziehen und daraus etwas mitzunehmen für das nächste Spiel.
Die Uefa hat vor Kurzem Regeländerungen bei Kopfverletzungen angeregt, etwa vorübergehende Auswechslungen. Sie mussten 2011 infolge einer Gehirnerschütterung notoperiert werden. Was halten Sie von der Forderung?
Ich finde es grundsätzlich sehr positiv, wenn alles unternommen wird, um die Gesundheit der Spieler zu schützen. Wir brauchen dafür aber eine konkrete Lösung, wie das dann in der Praxis funktionieren soll. Momentan gibt es für mich da noch mehr Fragen als Antworten.
Sie haben Ihre Karriere kurz nach der OP beenden müssen. Hat das Ihre Sichtweise auf den Fußball verändert?
Natürlich, auch wenn es mein tägliches Leben momentan nicht beeinflusst. Ich nehme mir schon vor, gewisse Dinge in Relation zu setzen. Ich ärgere mich auch, wenn unsere Leistung nicht so gut ist, aber wenn jemand aus deinem Umfeld schwer erkrankt oder ein Unfall passiert, hat das natürlich eine ganz andere Relevanz.