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Einfach malerisch. Beachvolleyball ist ein guter Seismograph für die Stimmung bei den Spielen.
© dpa

Beachvolleyball an der Copacabana: In Rio ist der Sand schon da, wo er hingehört

Beim Beachvolleyball an der Copacabana zeigt sich die Stadt von ihrer schönsten Seite. Denn wer den Strand gewinnt, der gewinnt Rio.

Der Strand gibt jetzt mal Ruhe. Das ist schon bemerkenswert, weil der Strand eigentlich nie Ruhe gibt, dafür ist er ja bekannt, dass er niemals schläft, jedenfalls nicht in Rio de Janeiro, wo er zu Hause ist und von der ganze Welt besucht und geliebt und verehrt wird. Jetzt aber ist der Strand traurig, er weint ein bisschen und solidarisiert sich auf diese Weise mit Pedro Solberg. Aus und vorbei. Die schöne Geschichte vom Garoto de Ipanema, der am Nachbarstrand Gold gewinnt und das ganze Volk glücklich macht, sie kann nicht mehr geschrieben werden.

Im Beachvolleyball-Stadion an der Copacabana sind in den vergangenen Tagen stimmungsvolle Feste gefeiert worden, von der ganzen Welt, aber vor allem von den Brasilianern. Nirgendwo sonst in den weit verstreuten olympischen Arenen ist es so laut wie in diesem Monstrum aus Stahlrohr am berühmtesten Strand der Welt. Hier wird seit dem ersten Wettkampftag ununterbrochen in drei Schichten täglich vom frühen Vormittag bis zum späten Abend gespielt, unter blauem Himmel oder grellem Flutlicht. Und immer ist es laut und voll. Jetzt aber hält Brasilien für einen Augenblick den Atem an. Aus und vorbei. Pedro Solberg will es nicht wahr haben, er vergräbt den Kopf unter einem Handtuch. Neben ihm sitzt Evandro Gonçalves Oliveira, er streicht dem Kollegen tröstend über das Haar und für einen Augenblick ist es ruhig am Strand.

Evandro kommt wie Solberg aus Rio de Janeiro, aber eben nicht wie Solberg aus Ipanema, zwei Kilometer und einen Strand weiter vom Beachvolleyball-Stadion an der Copacabana. Keine brasilianische Zeitung hat in den vergangenen Tagen auf das Attribut „Garoto de Ipanema“ verzichtet. Schließlich kennt die ganze Welt die „Garota de Ipanema“, wenn auch eher als „Girl from Ipanema“, besungen vom unvergessenen Tom Jobim. Solberg wollte Ipanemas Ruhm mehren wie Jobim mit seiner Bossa-Nova-Komposition. Es hat aber nur für das Achtelfinale gereicht, dann ist für ihn und Evandro Schluss nach einer Niederlage gegen die Russen Dimitri Barsuk und Nikita Liamin. Der Strand weint, ein paar ewige Minuten lang, aber dann geht es auch schon weiter. Laut und ausgelassen, als wäre nichts gewesen. Brasilien feiert als Gast auf der eigenen Party.

Beachvolleyball ist ein guter Seismograph für die Stimmung bei Olympischen Spielen. Wenn am Strand nichts los ist, taugt die ganze Veranstaltung nichts. Vor vier Jahren in London karrten die Organisatoren 5000 Tonnen Sand aus der Grafschaft Surrey auf die Horse Guards Parade, die zum emotionalen Zentrum emotionaler Spiele wurde. London erlebte zwei großartige Wochen, und in Erinnerung sind neben Usain Bolt vor allem die dramatischen Momente auf dem importierten Sand aus Surrey geblieben.

Beachvolleyball ist hier, an der Copacabana, erfunden worden

In Rio ist der Sand schon da, wo er hingehört. In Copacabana, dem vier Kilometer langen Viertelmond zwischen dem Morro do Leme im Nordosten und dem Forte de Copacabana im Südwesten. Beachvolleyball ist in den Zwanzigern des Zwanzigsten Jahrhunderts an der Copacabana erfunden worden und dort bis heute allgegenwärtig. Den ganzen Tag über wird hier gespielt. Auch von Touristen, vor allem aber von den Cariocas, den Einwohnern von Rio, die den Strand seit jeher in ihren Alltag integrieren und gern auch nach dem Arbeitstag direkt vom Büro hinunter ans Wasser spazieren. Gespielt wird in allen Variationen, am aufregendsten ist Futevolei, eine Art Fußballtennis, das hier in Atem beraubender Perfektion und Akrobatik vorgeführt wird.

Wer den Strand gewinnt, der gewinnt Rio, und genau das schafft Olympia an der Copacabana. Auch wenn das Stadion eine ästhetische Zumutung ist, zusammengeschraubt aus Stahlrohren und nur halbherzig mit Stoffbahnen verhängt, aber damit passt es ganz gut zur Copacabana. Zur Ästhetik haben die Cariocas ein seltsames Verhältnis. An der Avenida Atlantica dominiert nichtssagende Hochhausarchitektur, wie sie der Berliner aus dem Märkischen Viertel kennt oder aus der Gropiusstadt. Rio lebt nicht von der Schönheit seiner Gebäude, Rio lebt von seiner einmaligen Natur, von Wasser, Strand, Wald und Bergen. Nirgendwo wird dieses Ensemble so großartig zur Geltung gebracht wie an der Copacabana. Niemand wendet hier den Blick Richtung Stadt, alles schaut hinweg über den gut 300 Meter breiten Strand hinaus aufs Meer, auf die gewaltigen Wellen, die zugleich felsigen und grünen Inseln, den endlosen Horizont.

Es ist dieser einmalige Blick, der auch der Beachvolleyball-Arena ihr einzigartiges Flair verleiht. Rio ist heftig kritisiert worden für das viele Geld, das für Prestigebauten im Wohlstandsviertel Barra ausgegeben wurde, für Sportstätten, die eine Woche nach den Spielen niemand mehr braucht. Barra steht für das Raumschiff Olympia, das alle vier Jahre irgendwo landet, eine in sich geschlossene Party feiert und nach zwei Wochen wieder abhebt. Das Beachvolleyball-Stadion ist die Antithese dazu. An der Copacabana lebt Olympia, wie Rio lebt – laut und fröhlich und authentisch, wenn auch zwischen Stahlrohren, aber das mindert das Erlebnis nur bedingt. Wer einmal hoch oben auf der Tribüne gesessen und abwechselnd in die Tiefe zu den Spielern und in die Weite aufs Meer geschaut hat, der wähnt sich in einer multisensualen Arena. Da ist neben dem sensationellen Ausblick die atlantische Luft, sie duftet und schmeckt nach Meer, der Wind kühlt die Haut, das Rauschen der Wellen wird alle paar Sekunden übertönt vom Gebrüll der Zuschauer. Ach, Rio...

Pedro Solberg verharrt noch einen Augenblick im Sand, dann winkt er hinaus zum Publikum und verlässt die Arena. Olympia ist für ihn vorbei, aber die Party geht weiter, für Brasilien und irgendwann auch für Solberg. Vielleicht schon in einer Woche bei einem Spiel mit den alten Freunden in Ipanema oder an der Copacabana, wenn das Stahlrohrmonster wieder abgeschraubt ist und die Party weitergeht, denn ruhig ist es am Strand eigentlich nie.

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