Theaterstück über die Brüder Boateng: In Neukölln macht's Peng!
Kevin-Prince und Jerome sind die berühmt-berüchtigsten Brüder im Fußball. Über ihre Anfänge in Weddinger Käfigen kommt nun ein Theaterstück auf die Bühne.
Zeigste mal den Okocha? Kein Problem, sagt der Prinz vom Wedding und greift sich einen Ball, ist zwar ein bisschen eng zwischen den Lautsprecherboxen und Scheinwerfern, „aber das schaffe ich schon noch.“ Der Okocha ist ein Kunststück, bei dem der Künstler den Ball mit der Hacke über den eigenen Kopf zieht. Kevin-Prince Boateng hat ihn schon als Siebenjähriger beherrscht, damals sogar mit Gummistiefeln an den Füßen, was ihm auf den Bolzplätzen im Berliner Norden später den Ehrennamen eines „Prinzen vom Wedding“ einbringt. Voilà! Der improvisierte Okocha in einem Hinterhaus an der Neuköllner Hasenheide gelingt ihm so gut, dass auch sein Bruder Jerome spontanen Beifall johlt.
Der echte Kevin-Prince Boateng stürmt in Spanien für UD Las Palmas, der echte Jerome verteidigt für Bayern München. Ihr Berliner Revier war der Wedding, und auf dem Hinterhof an der Hasenheide sind die beiden nie gewesen. Das Ensemble des Heimathafen Neukölln probt hier für das Theaterstück mit dem schönen Namen „Peng! Peng! Boateng!“, das am 18. Dezember seine Uraufführung erlebt. 90 Minuten wie auf dem Fußballplatz, allerdings ohne Halbzeitpause. Es geht um die Geschichte der berühmtesten aller Berliner Fußballbrüder, wie sie der Journalist Michael Horeni aufgeschrieben hat.
Tamer Arslan spielt Kevin-Prince, Nyamandi Mushayavanhu dessen jüngeren Bruder Jerome, „kannst Mandi zu mir sagen“. Es gibt da noch einen dritten Bruder. George ist der älteste Boateng, er war immer das Vorbild von Kevin und Jerome, heute verdient er sein Geld als Rapper und wurde gerade wegen versuchter Körperverletzung verurteilt. „Aber die spannende Geschichte ist die von Kevin und Jerome“, sagt die Regisseurin Nicole Oder. In „Peng! Peng! Boateng!" erzählt sie mit viel Raum für Improvisation die klassische Geschichte „Kleiner Bruder, großer Bruder“. Es ist auch eine des Scheiterns. Eine Jugend lang ist Kevin als Jahrhunderttalent gefeiert worden, aber am Ende fliegt er unehrenhaft aus der deutschen Nationalmannschaft und die große Karriere macht Jerome.
Über dem brüderlichen Konflikt legt sich als Metaebene die gespaltene Gesellschaft einer sich dramatisch verändernden Stadt. Hier das Berlin des großen Geldes, dort das Ghetto-Berlin. Wilmersdorf gegen Wedding. Kevin-Prince und Jerome haben beide denselben Vater aus Ghana, aber sie haben unterschiedliche Mütter aus Berlin. Kevin wird im Wedding groß, für den der Duden das Synonym „Problembezirk“ vorsieht und über den er mal gesagt hat: „Bei uns wirst du entweder Drogendealer oder Fußballprofi.“ Er ist zehn, als er Jerome zum ersten Mal sieht. Der kleine Bruder wächst behütet in Wilmersdorf auf und kennt vom Wedding nur einen mit Beton ausgegossenen Fußballkäfig an der Panke.
Nicole Oder kommt aus Nürnberg und sagt, sie habe mit Fußball nicht viel am Hut, „ich bin so ein Gelegenheitsfan bei Welt-oder Europameisterschaften“. In Horenis Fußballbuch aber hat sie sich sofort verliebt und nach der ersten Lektüre spontan gebangt: „Hoffentlich ist da noch kein anderer Regisseur dran!“
Fußball wird im Stück kein einziges Mal gespielt
Der Heimathafen Neukölln ist ein Theaterkollektiv, von dem die Jury des Theaterpreises des Bundes sagt, ihm gelänge „mit geringsten szenischen Mitteln immer wieder kleine Perlen des empathisch rollenwechselnden Spiels“. Das passt zu Bertolt Brechts berühmten Satz: „Man muss ins Theater gehen wie zu einem Sportsfest!“ Old Trafford, das Stadion von Manchester United, wird auch „Theater der Träume“ genannt, und wer den Fußballplatz im Allgemeinen als große Bühne bezeichnet, der liegt so falsch wohl nicht. Nicole Oder wünscht sich im Umkehrschluss ein Theater, „das den Fußball auffängt, seine besonderen Momente, die vergehen und nie wiederkommen“.
Die Probebühne des Heimathafens nennt sich „Pier 9“ und versteckt sich im zweiten Hinterhof hinter einer Capoeira-Akademie und einem Zentrum für spirituelles Leben. An der weiß gestrichenen Backsteinwand hängt ein gerahmtes Foto, es zeigt Jerome Boateng Schulter an Schulter mit Angela Merkel. Der Zuschauerraum besteht aus einem Halbrund mit zu Sitzen umfunktionierten Lautsprecherboxen, aus denen George Boateng rappt:
„Wir sind Käfigtiger, Käfigtiger!
Du Kunstrasenpussy,
wir sind Käfigtiger!
Ich bin ein Sieger, du ein Verlierer!
Du kriegst eins aufs Maul
und keiner pfeift Foul!“
Das ist hübsch formuliert und trifft ganz gut den Geist auf dem Weddinger Bolzplatz. Die Konfrontation zwischen Kevin und Jerome verlangt den beiden Schauspielern alles ab, und das liegt nicht nur am heißen Scheinwerferlicht. Zur Vorführung kommt die prägende Phase in der Jugend, als Jerome Tag für Tag mit der U-Bahn aus Wilmersdorf in den Wedding kommt und alles aufsaugt, was Kevin im Betonkäfig von sich gibt. Einer links, der andere rechts, immer wieder laufen sie gegeneinander wie Ritter bei einem Turnier im Mittelalter, und immer wieder prallt Jerome von den breiten Schultern seines Bruders ab.
„Steh' auf“, brüllt Kevin. „Wenn du fällst, darfst du nicht weinen, oder sollen die anderen dich für eine Pussy halten?“ Noch ein Anlauf und noch einer, immer wieder krümmt Jerome sich auf dem Beton, aber die Zwangspausen am Boden werden kürzer und irgendwann geht auch Kevin zu Boden. Irritiert fixiert er den kleinen Bruder. „Haste heimlich zu Hause geübt?“ – „Nee, alles angeboren.“ Beide lachen. Auf zur nächsten Runde.
Die Hauptdarsteller sind in Kreuzberg groß geworden und haben auch mal Fußball gespielt. „In unserer Gegend ging es ganz gut ab, mit Gangs und Schießereien und so“, sagt Tamer Arslan und dass er sich ganz gut hineinversetzten könne in das Leben, das der junge Kevin geführt hat. Es ist ein raues und doch anderes Berlin in den Neunzigern. Ein Berlin, in dem viele Jugendliche ihre Freizeit noch nicht hinter Spielkonsolen verbringen, sondern auf dem Fußballplatz, im Falle der Brüder Boateng im berühmten Käfig an Panke. Legionen von Reportern belagern den Käfig seitdem, aber wenn sie mal jemanden antreffen, dann sind es Schnapsleichen auf den umliegenden Bänken. Auch Nicole Oder ist mal dagewesen, mit ihren Hauptdarstellern und einem Ball, aber keiner wollte mit ihnen kicken. Kein Genius loci, nirgendwo. Es scheint, als habe sich mit den Boatengs auch der Straßenbetonkäfigfußball aus dem Wedding verabschiedet.
Michael Horeni hat seine einfühlsame Studie über „Die Brüder Boateng“ nach der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika veröffentlicht, als Jerome für Deutschland spielte und Kevin für Ghana. Das ist auch der emotionale Höhepunkt der Bühnenadaption, sie beginnt in der Kindheit der Brüder und erstreckt sich bis zu Jeromes Triumph mit Deutschland bei der WM 2014 in Brasilien. Die Regie hat viel Wahres übernommen und ein paar erfundene Momente hinzugefügt. Zum Beispiel die Szene, in der Kevin und Jerome darüber debattieren, ob sie bei Jugend-Länderspielen die deutsche Hymne mitsingen sollen. Jerome ist dagegen, denn erstens ist ihm der Song nicht soulig genug und zweitens kann er sich den Text so schlecht merken.
Ein anderes Mal sitzen die beiden vor einem gemeinsamen Länderspiel mit der U21 in der Kabine und Kevin sagt zu Jerome, er solle ihm doch bitte die Füße massieren. Der große Bruder will noch mal seine Macht ausspielen, aber der kleine spielt nicht mehr mit. Jerome weigert sich und am Ende gehen die beiden einen Thunfischsalat essen, Kevin zahlt.
Fußball wird in „Peng! Peng! Boateng!“ übrigens kein einziges Mal gespielt. Der Ball liegt nur als dekoratives Element herum und kommt nur beim Herumalbern in den Pausen der Probe zum Einsatz. Da zeigt Tamer/Kevin zur Belustigung der Kollegen auch den Okocha. „Lass’ mal“, sagt Mandi/Jerome. „Das wäre wohl keine so großartige Idee, wenn wir es versuchen würden, so großartige Spieler zu imitieren.“
Die Uraufführung von „Peng! Peng! Boateng!“ steigt am 18. Dezember im Pier 9, der Probebühne des Heimathafen Neukölln, Hasenheide 9. Alles Weitere unter www.heimathafen-neukoelln.de.