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Drei Heldenköpfe an grauer Wand. Die Brüder Jerome, George und Kevin-Prince Boateng (von links) sind dauerhaft in den Wedding zurückgekehrt.
© Doris Spiekermann-Klaas

Nike und Berlin: Win the Ghetto

Nike macht Milliarden-Umsätze. Doch sein cooles Image holt sich der Weltkonzern von den ganz Kleinen, direkt von den Berliner Straßen. Eine Spurensuche im Wedding.

Den Putz haben sie schön grau gelassen. Gut heben sie sich ab, die drei Heldenköpfe, schwarze Umrisse, weiße Füllung. Links Jerome, mit mildem Lächeln und Kinnbärtchen, in der Mitte der bullige George, Narbe über dem rechten Auge, und rechts Kevin-Prince, entschlossener Blick unter dem Haarkamm, Spielwürfel und Krone sind seitlich am Hals tätowiert. „3 United“, steht unter dem Hausgiebel, drei Brüder vereint in der gemeinsamen Vergangenheit. Oder was man dafür hält.

Und der Haken? Winzig ist er, der Haken, man kann ihn leicht übersehen. Swoosh, gut geschützter Name, eines der bekanntesten Logos überhaupt, 35 Dollar hat der Entwurf die Firmengründer einst gekostet. Mittlerweile ist Swoosh, der Nike-Haken, 17,1 Milliarden Dollar wert.

Gewachsen auf Beton, wie es quer über den Köpfen der drei Boatengs steht, unübersehbare Botschaft hoch über dem schmuddeligen U-Bahnhof Pankstraße im Berliner Stadtteil Wedding, Brandwandwerbung Marke 2013. Gewachsen auf Beton. Hübscher Ghetto-Slogan, steinharte PR-Prosa.

Das immer arme, immer coole Berlin – nicht erst seit gestern wichtiger Standort für den Sportartikelhersteller aus Oregon, der weltgrößte Sportartikelhersteller seit dem Jahr, in dem die Berliner Mauer fiel. Zehn Jahre später haben sie dann Niketown in Berlin eröffnet, den ersten Flagship-Store für den europäischen Markt. Berlin und Nike go way back, um in der Unternehmenssprache zu bleiben. In diesem Jahr hat zwar der große Firmenladen am Tauentzien wieder geschlossen. Dafür hat Nike den Wedding für sich entdeckt.

Zwei neue Fußballschuh-Kollektionen schon haben sie 2013 an der Panke vorgestellt, im April die „FSC247“-Reihe eben mit den Boatengs und mit riesigem Medienauflauf, Foto-Session, lauten Hip-Hop-Beats, einfache Storyline: die drei Brüder kehren in ihren alten Käfig zurück. Mitte September dann den „Hypervenom“ mit einem dreitägigen Kleinfeldturnier in den Uferhallen, nur 200 Meter pankeabwärts, Totenköpfe und düstere Optik, ein Drei-gegen-drei auf ein Tor, ähnlich wie im Streetball, martialischer Slogan für diesen „Knockout“: Nur die Tödlichsten werden dominieren.

Hier im Wedding lässt sie sich noch besser erzählen als irgendwo anders in der Stadt, die Geschichte des armen Ghetto-Kids, das sich aus den Eisenstäben des Käfigs in die großen Fußballstadien hochkämpft. Wir sind Boateng. Hier lässt sich die härteste Marketing-Währung am billigsten erwerben, die toughe Ehrlichkeit, die street credibility.

Nike und Adidas kämpfen um die Weltherrschaft auf dem Fußballmarkt, und wenn Mario Götze zur Vorstellung beim Adidas-Klub FC Bayern München den Haken auf dem Shirt trägt, ist die Hölle los. Die Durchdringung aber findet ganz woanders statt. In den sozialen Netzwerken, wo die Fußballer längst mit den Sponsoren-Produkten verschmolzen sind, Cristiano Ronaldos Facebook-Seite zeigt nur einen Fußabdruck im Mondsand, daneben das Erscheinungsdatum des nächsten Schuh-Modells. Er hat 63 Millionen Menschen Likes. Dort wird verkauft. Und im sogenannten Ghetto.

Graffiti oder Käfigevents: Jedes Mittel ist recht, um die Jugendlichen zu kriegen.

Der Käfig an der Panke an einem miesen Herbsttag. Nebenan schuften die Mechaniker in einer Autowerkstatt. Auf der Parkbank saufen sich ein paar abgerissene Gestalten ohne größere Eile um den Verstand. Der Käfig ist leer, die Holztore haben keine Netze, die Pfosten hat irgendwer mal grün angepinselt.

Nur Nike ist noch da, „Gewachsen auf Beton“, da steht es, mitten auf dem Asphalt, in giftgrünen Versalien, dort, wo sie es vor dem Promo-Event im Frühjahr hingesprüht haben. Direkt daneben, in anderer Farbe, mit kindlich unbeholfener Sprühdosenschrift: „Für die Boateng’s“, diesmal echte Straßenbotschaft, den Apostroph hätte so kein Nike-Texter gesetzt. Auch unterschrieben haben sie, im gleichen Blau, die „Kolonie Boys“, so nennt sich eine der Jugendgangs des Viertels.

Das Ghetto legitimiert die PR-Botschaft: Best-Case-Szenario für das große Unternehmen, das trotz gigantischer Umsätze vor allem eins vermeiden muss: irgendwie abgehoben zu wirken.

Graffiti-Botschaften im Käfig – alter Hut für Peter Glassen. Der Medienwissenschaftler und Kunsthistoriker hat 2010 über genau dieses Thema promoviert. „Markenmythos“ hat er seine 200 Seiten starke Dissertation genannt, für die er 15 Jahre in Werbekampagnen von Nike, Puma und Adidas gewälzt hat. Klare Tendenz: immer tiefer in die Kultur der Straße hinein drängt es die großen Konzerne. „Cultural Camouflage“, das sei der Trend der Stunde, heißt: „eine Kulturtechnik aus der Subkultur aufgreifen, aber so umzuwandeln, dass sie ein Werbeinstrument wird“. Graffiti auf dem Käfigboden, Schablonen-Swooshs an Hauswänden oder eben die Wandmalerei an der Pankstraße. Egal, was danach damit passiert: „Die Konzerne setzen mittlerweile sogar darauf, dass ihre Werbung von Streetart verfremdet wird. Selbst Kritik an der Werbung ist die beste Werbung“, sagt der Mediendozent. „Jedes Mittel ist recht, um den Jugendlichen zu kriegen.“ Ein „unsauberes Anbiedern“, findet Glassen: „Streetart begegnet mir an der rotzigen Ecke, natürlich, aber leider ist es nicht der Künstler, der mir begegnet, sondern das Geld.“

Noch bedenklicher als das Verhalten der Konzerne, das sich natürlich aus dem immerwährenden Streben nach höheren Profiten speist, findet der Medien-Dozent die Reaktion der Zielgruppe: „Von der Generation der 12-Jährigen wird das völlig unreflektiert wahrgenommen, es entsteht sogar Dankbarkeit für diese vermeintlichen Straßen-Events.“

Es ist dies mitunter die Generation, die es gar nicht mehr anders kennt, die Twitter und Facebook noch beim Einschlafen offen hat, für die Nike, seit sie denken können, gleichbedeutend ist mit: Coolness. Stärke. Aufstieg. Als die Boatengs sich die Ehre gaben, säumten Hunderte begeisterte Kids den Käfig, kletterten auf Streben, um den besten Blick zu haben auf die goldbehängten Superstars in ihren Nike-Shorts.

Ein halbes Jahr später, unverändert dunkler Herbsthimmel, ist in und um den Käfig von den Kolonieboys leider nichts zu sehen. Vielleicht die fiese Oktoberkälte. Vielleicht das Opferfest. Eine Botschaft aber haben sie hinterlassen, in schwarzem Edding die Torlatte entlang: „Ich fick seine Mutter wer nochmal hir spielt auser wir.“ Gezeichnet: „Kolonieboys, Selim, Alex, Cem, Ugur.“ Klare Ansage in Krakelschrift. Die Boatengs und ihre gigantische Entourage, auch Eindringlinge aus einer anderen Welt, werden die Jungs aber wohl eher nicht gemeint haben.

Die Jungs würden die Schuhe auch in quietschrosa kaufen, sagt die Verkäuferin.

Den harten Beton der Berliner Fußballkäfige hat Nike nicht erst in diesem Jahr an der Panke entdeckt. Schon 1999 startete das Unternehmen eine Guerilla-Marketing-Kampagne auf den Bolzplätzen der Hauptstadt. Ein Jahr später stieg ein groß angelegtes „Bezirks-Battle“ mit markigen Sprüchen („Treten auf eigene Gefahr“, „Gott vergibt, ich nicht“), für das sich anfangs sogar das Landesschulamt begeistern ließ und seine Unterstützung erst nach lauten Protesten von Pädagogen und Sozialarbeitern stoppte.

Über dem Swoosh kann längst Berlin stehen statt Nike, und das liegt nicht daran, dass die Firma Hertha BSC ausrüstet. Man ist längst auf Augenhöhe mit der Straße, mit dem Wedding, der ja mittlerweile eine Marke für sich ist, nach all den Erzählungen und Geschichten, nicht zuletzt auch dank jener der Boatengs. Die unantastbaren Stars seien längst nicht mehr so wichtig, sagt Glassen: „Die Marke steigt scheinbar vom Thron herunter. Es wird jetzt die Story des kleinen Jungen erzählt.“ Passend dazu gibt es die Nike-Modelle stets in drei Ausführungen, vom Original-Schuh der Stars für teils weit über 200 Euro bis hin zur Kunstleder-Version für den kleineren Geldbeutel, also ab 50 Euro.

Gerne hätten wir an dieser Stelle abgedruckt, was Nike zu alldem sagt, die Fragen waren formuliert und verschickt. Die angekündigten Email-Antworten kamen am Ende trotz mehrmaliger Nachfrage leider nicht.

Stattdessen gehen wir eben noch mal direkt an die Quelle. Auf in den nächstgelegenen Sportshop, heißt: einmal die Badstraße hoch und rein ins riesengroße Blinkecenter namens Gesundbrunnen. Vor dem knallbunten Schuhregal im Obergeschoss dann leichte Enttäuschung. Das teuerste Paar, Modell Tiempo Mystic IV, kostet schlappe 74,95 Euro. Keine 170-Euro-Töppen da? „Nein, nein“, sagt die Verkäuferin, „da sind wir hier die falsche Adresse. Da müssen Sie eher zum Ku’damm.“ Verkaufen sich hier nicht, sagt sie. Aber Nike, sagt sie, Nike verkaufe sich hier, besser als Adidas, am besten der Mercurial Victory, echtes Leder. Die Farbe? Komplett egal. „Wir hatten den schon in allen Ausführungen, in Pink, in Lila, in einem Apricot-Ton, jetzt in Lila mit Grüngelb oder in Hellblau“, sagt die Verkäuferin. „Die Jungs würden sie auch in Quietschrosa kaufen.“ Sie klingt jetzt wie eine Mutter, deren Söhne gerade zum hundertsten Mal mit aufgeschlagenen Knien nach Hause gekommen sind. „Die sind schneller als wir“, sagt sie, „die wissen besser, welcher Fußballer welchen Schuh anhat. Die fragen nach neuen Farben, da haben wir die noch nicht mal da.“ Letzter knapper Seufzer: „Ist hier in der Ecke ganz extrem.“

Noch ein allerletztes Mal den Berg hinunter, zur großen Brandwand. Ein Blick durchs Schaufenster im Erdgeschoss des schäbigen Eckhauses, Matratzen-Outlet, „Top-Modelle 50 % reduziert“. Die Federkern-Matratze „Lagos“ gibt es schon für 169 Euro. Aber wer braucht schon eine gute Matratze, wenn er den Mercurial Vapor IX haben kann?

Die Jungs würden die Schuhe auch in quietschrosa kaufen, sagt die Verkäuferin.

Dieser Artikel erscheint im Wedding Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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