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Kevin Boa: Ein Foul an Deutschland

Nach der rüden Attacke von Boateng wird die Verletzung von DFB-Kapitän Ballack heute erneut untersucht

Das englische Pokalfinale hat in seiner 139-jährigen Geschichte schon viel erlebt. Aber Michael Ballack vom FC Chelsea war wohl der erste Gewinner, der die Trophäe in der königlichen Loge in Badeschlappen entgegennahm. Der Kapitän der deutschen Fußball-Nationalmannschaft war nach dem Schlusspfiff humpelnd aufs Spielfeld zurückgekommen, sichtlich gewillt, sich von Kevin-Prince Boatengs üblem Foul die Freude nicht ganz verderben zu lassen. Der Berliner in Diensten des FC Portsmouth hatte Ballack im Anschluss an einen Streit mit einer doppelt perfiden Grätsche erst am Fuß erwischt und danach ganz umgehauen; der Ball war anderswo.

Mit einem Tapeverband über dem lädierten rechten Knöchel tastete sich Ballack nach dem 1:0-Sieg vorsichtig über Wembleys holprigen Rasen. Der 33-Jährige hielt wegen seiner Verletzung Abstand zu seinen wild auf und ab springenden Mannschaftskameraden. Schließlich könnte jede weitere Lädierung seine Teilnahme an der bevorstehenden Weltmeisterschaft in Südafrika gefährden.

Später kam Ballack im grauen Schutzschuh aus der Kabine, im Gesicht trug er das gequälte Lächeln eines Profis, der vergeblich gegen enorme Sorgen ankämpft. „Im ersten Moment dachte ich, dass da etwas gebrochen ist“, berichtete er. „Ich bin umgeknickt und habe gleich gemerkt, dass es etwas Schlimmes ist.“

Als Joachim Löw im Trainingslager der Nationalmannschaft in Sizilien vom Zwischenfall aus London erfuhr, nahm er diesen „mit großer Besorgnis“ auf. Denn insbesondere der Bundestrainer weiß, was ein Ausfall Ballacks bedeuten würde. „Er ist seit Jahren unser Kapitän, er ist der Spieler mit der größten Erfahrung und größten Reputation, er ist für mich als Trainer sehr wichtig“, sagte Löw am Sonntag. „Seine Präsenz auf dem Platz ist extrem wichtig für unsere Mannschaft, in der viele junge Spieler stehen.“

Immerhin, nach dem ersten Telefonat der beiden am Samstagabend gegen 23 Uhr machte Ballack einen „erleichterten Eindruck“ auf Löw. Als er nach dem ersten Röntgen die Gewissheit hatte, dass wenigstens nichts gebrochen ist, „war er spürbar erleichtert“. Sicher trifft das auch auf Löw zu, der hinterher erleichtert von dem Telefonat berichtete. Ballack habe ihm erzählt, dass er zwar Schmerzen habe, aber die Bewegungsfreiheit des angeschwollenen rechten Fußes nicht völlig eingeschränkt sei. „Das spricht dafür, dass die Bänder nicht in Mitleidenschaft gezogen sind“, berichtete Löw. „Aber wir müssen abwarten, bis wir eine ganz genaue Diagnose haben.“

Am Montagmorgen wird Ballack in London noch einmal durchleuchtet werden. Mittels einer Kernspintomographie sollen Aufnahmen von dem Gelenk erstellt werden, die zeigen, ob dort etwas beschädigt wurde. „Nach der Kernspin werden wir beide noch einmal telefonieren und dann entscheiden, was nötig und was möglich ist“, sagte Löw gestern. Der geplante Flug nach Sizilien ist erst einmal auf den späten Nachmittag verschoben worden. Es könnte aber sein, dass Ballack erst nach München zu Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, dem Team-Arzt des FC Bayern und der Nationalelf, reist. „Klar ist bisher nur, dass wir kein Risiko eingehen werden“, sagte Löw.

Auch Ballack weigerte sich, den vorläufigen Befund als Entwarnung zu deuten. Er erinnerte daran, dass er mit seinem anderen Sprunggelenk ja bereits „leidvolle Erfahrungen“ gemacht habe: Nach einem Tritt von Newcastle-United-Verteidiger Titus Bramble im April 2007 hatten die Chelsea-Ärzte zunächst einen Knochensplitter übersehen. Acht Monate dauerte es damals bis zur Rückkehr. Ob er diesmal ein „gutes Gefühl“ habe, vermochte Ballack nicht zu sagen. „Der Fuß ist stark geschwollen, da ist viel Blut und Dreck drin“, sagte er, „man muss abwarten.“

Vergeblich warteten die Reporter in Wembley auf eine Stellungnahme von Boateng. Der 23-jährige Berliner schlich sich, flankiert von einem Portsmouth-Mitarbeiter, wie ein beim Ladendiebstahl ertappter Teenager davon. Die Schmach seines kläglich verschossenen Elfmeters beim Stand von 0:0 lastete schwer auf dem Deutsch-Ghanaer, „er war total am Boden zerstört“, berichtete Kollege Jamie O’Hara. Zeichen von Reue ließen sich dagegen nicht feststellen. „Nein“, antwortete Ballack auf die Frage nach einer Entschuldigung des Gegenübers und schüttelte angewidert den Kopf. „Ich glaube nicht, dass die Attacke dem Ball galt.“

Kevin-Prince Boateng dürfte sich in Deutschland keine Freunde gemacht haben, dabei ist er mit der deutschen Nationalmannschaft vielseitig verbunden. Er ist Halbbruder des Nationalspielers Jerome Boateng vom Hamburger SV. Beide haben denselben Vater, aber unterschiedliche Mütter. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte sich der frühere Hertha-Profi sogar Hoffnungen gemacht, an der Seite Ballacks für Deutschland zu spielen. Doch nach einem Leistungseinbruch und zahlreichen Disziplinlosigkeiten war er kein Thema mehr. „Im vergangenen Sommer musste er ja vom Trainingslager der deutschen U-21-Auswahl nach Hause geschickt werden“, erinnerte Löw. Inzwischen hat sich Kevin-Prince Boateng für das Land seines Vaters entschieden und beabsichtigt für Ghana zu spielen – pikanterweise ein WM-Gruppengegner der Deutschen. Löw jedenfalls sagt: „Er hatte überhaupt keine Chance auf den Ball. Egal, wo so etwas passiert, das ist klar mit Rot zu ahnden.“ Boateng hatte nur die Gelbe Karte gesehen.

Jerome Boateng, der derzeit mit auf Sizilien ist, darf sich größte Hoffnungen machen, mit zur WM zu fahren. Gestern allerdings war er nicht zu sprechen. Löw wusste aber davon zu berichten, dass dieser das Foul seines Bruders gar nicht gesehen habe: „Er kann dazu nichts sagen.“

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