Ancelotti-Debüt beim FC Bayern: In Lippstadt heißt Rummenigge nur Kalla
Wo Karl-Heinz Rummenigge kicken lernte, gibt Carlo Ancelotti am Sonnabend sein Debüt als Trainer des FC Bayern München. Ein Blick auf die Heimat des früheren Stürmerstars.
Der Auflauf ist gewaltig. Mehr als 300 Journalisten haben sich für das Freundschaftsspiel beim kleinen Amateurverein angemeldet, nicht viel weniger als in der Champions League. Die großen Zeitungen und Sender sind alle da, selbst das mexikanische Fernsehen. 8000 Zuschauer füllen das Stadion Am Waldschlösschen, wo sie neben den hohen Eichen noch Zusatztribünen errichtet haben. Die Partie ist seit Monaten ausverkauft. Jeder will den neuen Bayern-Trainer sehen. Schließlich ist das nicht irgendjemand: Jürgen Klinsmann feiert am 13. Juli 2008 in Lippstadt seinen Einstand als Münchener Coach.
Acht Jahre später ist die 70.000-Einwohner-Stadt in Westfalen erneut Schauplatz eines spektakulären Trainer-Debüts: Carlo Ancelotti wird am Sonnabend erstmals für den FC Bayern an der Seitenlinie stehen, wenn Stars wie Robben, Ribery und Xabi Alonso um 17 Uhr beim Fünftligisten SV Lippstadt 08 auflaufen. 8500 Zuschauer werden sie diesmal empfangen, ein Vielfaches an Karten hätte Präsident Thilo Altmann verkaufen können. Damit alles geordnet abläuft, hat der Verein extra einen Spielertunnel gekauft. Sport1 überträgt live.
Dass der Bundesliga-Krösus so oft in die beschauliche Stadt bei Paderborn kommt, haben sie dort nicht dem Fußballgott zu verdanken, sondern Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge. Es ist ein Geschenk, das er seiner Heimat anlässlich seines 60. Geburtstags im letzten Jahr gemacht hat.
Seine Liebe zum runden Leder entdeckt der spätere Weltstar Ende der 50er auf dem Hof eines Bauunternehmers in der Lippstädter Altstadt. Dort kickt der ältere Bruder Wolfgang immer mit Freunden. Der kleine Karl-Heinz, vier Jahre jünger, sitzt quengelnd dabei. Weil er so jammert, machen ihm die Großen ein Angebot: Wenn er den Hof fegt, darf er mitspielen. Bald soll er jedes Mal 20 Pfennig blechen.
1963 schicken die Eltern die beiden zu Borussia Lippstadt. Auch Vater Heinrich hat dort einst die Fußballschuhe geschnürt. Die Trainer reichen Kalla (nur für den Rest des Landes heißt er später Kalle) direkt von der E-Jugend zur C-Jugend durch. In einem Spiel, das 31:0 endet, locht er 16 Mal ein. In der ganzen Saison schießt er 96 Tore. Mit 15 Jahren wechselt er in die A-Jugend und später sogar zu den Senioren. Nun spielt er wieder mit Wolfgang zusammen, gemeinsam eilen sie von Sieg zu Sieg, Kalla als Rechtsaußen, Wolfgang als Mittelstürmer.
Kölns Trainer Čajkovski winkt ab
Die Brüder sind für höhere Weihen bestimmt. In der frühen Jugend hat Mutter Hildegard schon eine Schalker Anfrage für Kalla zurückgewiesen. Nun organisiert der Borussen-Vorsitzende Uli Strakerjahn ein Testspiel gegen den klangvollen 1. FC Köln. „Spieler gut, aber schnell müde!“, befindet Trainer Tschik Čajkovski, als Wolfgang nach zehn Minuten einen Ball an die Latte haut. Am jüngeren Bruder zeigt er kein Interesse.
Strakerjahn stellt einen Kontakt zu Max Merkel her. Der ist sofort begeistert – und zwar von Kalla. Er arrangiert einen Termin bei Bayern-Manager Robert Schwan. In Lippstadt erzählen sie sich bis heute von Verhandlungen bei Bratkartoffeln und Sülze im Vereinslokal Landgräber. Tatsächlich unterzeichnet Kalla im Januar 1974 am Rande eines Bayern-Spiels in Düsseldorf einen Profivertrag. Er bricht eine Lehre bei der Volksbank ab, fängt mit 8000 Mark im Monat bei den Münchenern an. Mit den Borussen einigen sie sich auf eine Ablöse von 17.500 Mark zuzüglich eines Freundschaftsspiels.
Mit 42 Jahren spielt Rummenigge erstmals für Bayern in der Heimat
Weltmeister wie Müller und Beckenbauer treten dazu im Dezember 1974 in Lippstadt an. Neun Jahre später kommen die Bayern erneut – zum Abschiedsspiel von Wolfgang Rummenigge. Der hat es am Ende lediglich bis in die zweite Liga geschafft, auch wenn alte Weggefährten ihn für den besten Fußballer der Familie Rummenigge halten. Beide Male muss Karl-Heinz übrigens verletzt passen. Seinen ersten Auftritt im Bayern-Dress in Lippstadt hat er erst im November 1997 – mit 42 Jahren. Bei diesem Freundschaftskick wechselt Giovanni Trapattoni ihn in der zweiten Halbzeit ein. Der damalige Vizepräsident erzielt das zwischenzeitliche 3:1.
Die Lokalzeitung „Der Patriot“ hat nachgezählt: Einschließlich der Partie am Sonnabend war der FC Bayern sechsmal in den letzten vier Jahrzehnten in Rummenigges Heimat, auch 2006 noch einmal unter Felix Magath. Klinsmann siegt in Lippstadt 7:1. Ein 18-jähriger Neuling namens Thomas Müller trifft dreimal. Kaum Beachtung findet ein junger Verteidiger, der erstmals bei den Profis eingewechselt wird: Holger Badstuber. Klares Ergebnis, interessante Personalien: Mit dem Ausflug nach Westfalen starten die Bayern sauber in die Saison. Dem Trainer nützt das nichts. Klinsmanns Karriere in München währt bekanntlich nicht lange.
Michael Rummenigge und ein großes Versprechen
Der SV Lippstadt 08 hingegen, ein Zusammenschluss der Lokalrivalen Borussia und Teutonia, strebt wie sein Altstar nach Größerem. Er hat sich professionell organisiert, die Jugendarbeit ausgebaut, Sponsoren aus der wirtschaftsstarken Region um sich geschart. Zwischenzeitlich hat es schon für die Regionalliga gereicht.
Seit zwei Jahren spielt der Oberligist auf einer modernisierten Anlage am „Bruchbaum“, der alten Wirkungsstätte der Rummenigges, wo nun auch die Ancelotti-Truppe erwartet wird. Der Erlös geht zur einen Hälfte an den SV 08 und zur anderen an die Lippstädter Flüchtlingshilfe. Bei der Einweihung der neuen Tribüne versprach Michael Rummenigge, der jüngste Spross, binnen vier Jahren ein Testspiel zwischen den Bayern und Borussia Dortmund nach Lippstadt zu holen. Der nächste Knüller kommt also bestimmt.
Ingo Salmen
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