zum Hauptinhalt
Vielleicht trennt die Fußballspieler und die Bewohner in Moabit bald eine Wand aus Glas.
© Kai-Uwe Heinrich

Lärm auf Sportplätzen: Immer wieder Ärger mit den Nachbarn

Lärm ist Umweltbelastung Nummer eins in Berlin und Klagen von Anwohnern gegen Vereine häufen sich – eine neue Regelung könnte den Sport schützen.

Eine Mauer aus Glas. 20 Meter hoch. Für eine sechsstellige Summe. Die könnte hier bald stehen in Berlin-Mitte hinter dem Poststadion unweit des Hauptbahnhofs, wo gerade fröhlich Fußball gespielt wird. Darüber haben Anwohner vor allem der neu entstandenen Häuser und Bezirk schon verhandelt. Wenn der Lärm vom Fußball eine Grenze überschreitet, könnte der Bezirk diese Mauer errichten.

So verbindend der Sport auch ist, Lärm führt immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Nachbarn, manchmal auch vor Gericht. In Berlin kommt das regelmäßig vor, gerade auch weil die Stadt wächst. Es wird dadurch nicht nur enger, sondern auch lauter.

Lärm ist heute die Umweltbelastung Nummer eins in der Stadt, das zeigt die Zahl der Beschwerden beim Berliner Umweltamt. Neben dem Verkehr ist sehr oft der Sport ein Ärgernis für Anwohner. "In keinem anderen Bundesland gibt es diesbezüglich so viele Konflikte", sagt David Kozlowski, der beim Landessportbund (LSB) für Sportinfrastruktur und Umwelt zuständig ist. Der 33-Jährige hat in den zurückliegenden Monaten zahlreiche Sportämter und -anlagen persönlich besucht. Allein 2014 gab es mehr als 50 Streitfälle, 2015 und 2016 sah es nicht viel anders aus. Zwar hätten Vereine und Bezirksämter oft nach Kompromissen gesucht, doch es sei ein "flächendeckendes Problem für die Stadt, hunderte von Vereinen sind betroffen", sagt Kozlowski. Viele Streitfälle konnten eben nicht außergerichtlich entschieden werden.

"Im Zweifel zieht der Sport den Kürzeren"

Es ist oft so, dass der Sport gerade dann laut wird, wenn andere entspannen wollen. In den Abendstunden. An Sonn- und Feiertagen. Besonders betroffen ist der Fußball, der in allen Bundesländern nicht nur die meisten Mitglieder hat, sondern fast ausschließlich im Freien gespielt wird und von Emotionen lebt. Und so gibt es auch in Berlin zahlreiche Fälle, in denen Anwohner, meist einzelne, ob alteingesessen oder gerade zugezogen, rechtlich gegen Vereine vorgehen.

Oft ging hier das Interesse eines Einzelnen über das einer Gemeinschaft. Das ist für den Sport, und die, die ihn ausüben wollen, ein unhaltbarer Umstand. "Im Zweifel zieht der Sport den Kürzeren", sagt Kozlowski. Auch deswegen begrüßt er, dass das Bundeskabinett gerade die "Zweite Verordnung zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung" (Salvo) auf den Weg gebracht hat. Am 23. Januar kommt es zu einer Anhörung im Deutschen Bundestag. Mit Gesetzesreife wird bald gerechnet.

Im Wesentlichen soll mit einer Neuregelung der Ruhezeiten der wohnortnahe Sport gefördert werden und der Sportbetrieb auf Anlagen, die vor 1991 gebaut worden sind, rechtlich besser gesichert werden. So sollen die Immissionsrichtwerte für die abendlichen Ruhezeiten zwischen 20 und 22 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen zwischen 13 und 15 Uhr an die wochentagsüber geltenden Werte angepasst, also um fünf Dezibel erhöht werden. Eine solche Ausweitung von bisher 50 auf 55 Dezibel entspricht in der tatsächlichen Wahrnehmung einer Erhöhung um 50 Prozent des bisher zulässigen Lärmpegels. Im federführenden Bundesumweltministerium spricht man von einer "moderaten Mehrbelastung der Nachbarschaft".

Der Fußballverband kennt die Probleme seit Jahrzehnten

Die Neuregelung ist für den Betrieb von Sportstätten in Wohngebieten "ein großer Fortschritt", sagt Bernd Schultz. Der Präsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) kennt die Probleme seit Jahrzehnten. Sie haben zu "massiven Einschränkungen des Trainings- und Spielbetriebs" geführt, manche Vereine hätten keine neuen Mitglieder mehr aufnehmen können, es habe kaum noch freie Trainingszeiten für Kinder- und Jugendmannschaften gegeben. Besonders schwer habe es der Spielleiter des BFV, der bei den Ansetzungen darauf zu achten habe, auf welcher Anlage das Spiel sonntags bis 13 Uhr beendet sein müsse, und auf welcher ein Spiel nicht vor 15 Uhr beginnen könne. Bei vielen Vereinen ist der Spielbetrieb sonntags radikal zusammengeschrumpft, bei einem in Spandau von einst zehn auf vier Begegnungen.

"Es kann nicht sein, dass der Innenstadtbereich nur noch zum Einkaufen da ist und der Sport an den Stadtrand verdrängt wird", sagt LSB-Mann Kozlowski. Gerade der LSB Berlin sowie der Nordrhein-Westfalens hätten sich für eine Neureglung stark gemacht. Stadtstaaten und Ballungszentren seien eben massiver betroffen. Zumal in seinen Augen die Attraktivität einer Stadt auch von der Anzahl von Sportanlagen in Wohnnähe abhängt. "Berlin ist dezentral, jeder Stadtbezirk verwaltet einige Sportanlagen und Bolzplätze, das sollte eigentlich ein Vorteil sein." In der neuen Salvo heißt das: "Ziel ist es, zu einer nutzungsgemischten Stadt der kurzen Wege" beizutragen.

Sollte die Bevölkerungsprognose des Senats eintreffen, würde Berlin in absehbarer Zeit 30 neue Sportplätze und 100 neue Hallen benötigen. Doch es fehlt schlicht an Platz. Schon jetzt gibt es ein Defizit an Sportanlagen im innerstädtischen Bereich. Insbesondere in dichtbebauten und -besiedelten Bezirken wie Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Und so gibt es erste kreative Lösungen für Ausweichflächen jeweils auf Dächern größerer Bauten, wie dem eines Baumarkts an der Yorckstraße und der Metro Friedrichshain.

Es geht auch um Bewahrung

In Zeiten innerstädtischer Verdichtung geht es aber auch um Bewahrung. Insofern begrüßt BFV-Präsident Schultz den Alt-Anlagen-Bonus. Künftig soll für Plätze, die vor 1991 gebaut wurden, weiter das alte Recht gelten, sodass sie nicht ihren Betrieb einschränken oder eine Anlage ganz aufgeben müssen. "Die Politik hat eingesehen, dass sie etwas tun muss zur Statusbewahrung", sagt Schultz. Nach der neuen Verordnung sind Modernisierungsmaßnahmen nicht mehr als Nutzungsänderung zu bewerten. Besonders Hamburger Vereine hatten unliebsame Erfahrung gemacht, nachdem sie ihre Anlagen von Hart- auf Kunstrasenplätze umwandelten. "Eine Modernisierung darf keine Einschränkung in der Nutzung zur Folge haben", sagt auch Kozlowski.

Ein bizarres Beispiel ist aus dem Jahr 1987 bekannt, als manchem der Breitensport als Umweltplage galt. In Reinickendorf setzten Kläger durch, dass die Bahnen und Bälle der Minigolfanlage Schäfersee mit dämpfenden Material zu umkleiden sind. Wenig später musste die Anlage schließen.

Im Berliner Sport werden große Hoffnungen an die Neuregelung verknüpft. Etwa die, dass sie nicht nur künftig wirkt, sondern auch rückwirkend, dass Nutzungseinschränkungen gelockert, oder ganz aufgehoben werden. "Die Rechtslage ändert sich, also können Vereine neu nachmessen lassen", sagt Kozlowski. Wie abstrus mitunter die Rechtslage ist, verdeutlich ein stadtbekanntes Beispiel an der Kreuzberger Körtestraße, wo ein Bolzplatz direkt neben einem Fußballplatz liegt. Während auf dem Fußballplatz des Vereins Berliner Amateure um 20 Uhr die Lichter ausgehen müssen, darf auf dem Bolzplatz weitergespielt werden. Kozlowski spricht von einem Verteilungskonflikt zwischen organisiertem Sport und Freizeitsport. "Im Vergleich zum Freizeitsport sind Kinder und Jugendliche in Vereinen Sportler zweiter Klasse."

Vereine besser gegen Klagen schützen

Nun hofft der deutsche Sport, diese Diskrepanz beenden zu können. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordern, dass die Privilegierung von Kinderlärm auch in die Salvo aufgenommen wird, was bisher nicht geschehen ist. "Es kann nicht sein, dass man Kinder im Sport strenger kontrolliert als Flugzeuge. Kinder im Sport dürfen nicht mehr als Störfaktor gesehen werden", sagte unlängst DOSB-Präsident Alfons Hörmann.

Hier soll noch nachgebessert werden. Kinderrufe und Kinderlachen gelten im rechtlichen Sinne nicht mehr als Lärm. Was für Spiel- und Bolzplätze gelte, solle bitte auch für den Vereinssport gelten, sagt Kozlowski. Das Argument der Gegner: Lärm rund um Punktspiele verursachten selten die Kinder, sondern vielmehr der Schiedsrichter mit seiner Trillerpfeife sowie überehrgeizige Eltern mit ihrem Gebrüll. "Auch wenn nicht immer Kinder die Lärmquelle sind, sind sie am Ende die Leidtragenden – das ist ein Unding", sagt Kozlowski.

Der LSB Berlin verspricht sich von einer reformierten Lärmschutzverordnung, dass Vereine besser gegen Klagen geschützt werden. Konflikte aber werden bleiben. Auch deshalb rät David Kozlowski, dass Vereine weiterhin aktiv auf Anwohner zugehen sollen.

Zur Startseite