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Frank Wormuth (links, mit dem früheren Bayern-Spieler Mark van Bommel) arbeitet seit knapp zwei Jahren als Trainer für den niederländischen Ehrendivisionär Heracles Almelo.
© imago/VI Images

Frank Wormuth über das Saisonende in Holland: „Ich möchte nicht in der Haut der Entscheider stecken“

Frank Wormuth, Trainer von Heracles Almelo, über das Saisonende der Ehrendivision, eine vier Monate dauernde Vorbereitung und die Finanzen deutscher Klubs.

Weil in den Niederlanden bis zum 1. September alle Veranstaltungen verboten sind, hat der Fußballverband KNVB am Freitag beschlossen, die laufende Saison wegen der Coronavirus-Pandemie nach 26 Spieltagen zu beenden. Es gibt in diesem Jahr keinen Meister, keine Absteiger, aber auch keine Aufsteiger – und gerade das sorgt für Ärger. Der SC Cambuur führt die Zweite Liga mit elf Punkten Vorsprung auf den ersten Nicht-Aufstiegsplatz an – und bleibt trotzdem zweitklassig. Der Erstligist FC Utrecht hat gerichtliche Schritte angekündigt, weil er als Tabellensechster den Europapokal verpasst. Drei Punkte liegen die Utrechter hinter Willem II, sie haben allerdings ein Spiel weniger bestritten.

Über den Saisonabbruch und die Folgen haben wir mit Frank Wormuth, 59, gesprochen. Er ist seit Sommer 2018 Trainer beim holländischen Ehrendivisionär Heracles Almelo. Im Januar hat der Klub den Vertrag per Option um ein Jahr verlängert. Durch den Abbruch der Spielzeit beendet Heracles die Saison auf dem achten Tabellenplatz. Vor seinem Engagement in den Niederlanden war der gebürtige Berliner Wormuth zehn Jahre lang beim Deutschen Fußball-Bund angestellt, unter anderem als Leiter der Fußballlehrerausbildung.

Herr Wormuth, in Holland ist die Saison in der Ehrendivision offiziell beendet worden. Wie ist es, plötzlich Urlaub zu haben?

Urlaub würde ich das nicht unbedingt nennen. Wir Trainer arbeiten ja weiter. Wenn auch nicht in dem Umfang, wie es normalerweise der Fall wäre.

Wie sieht diese Arbeit aktuell aus?

Wir stellen den neuen Kader zusammen, kontaktieren Spieler über Zoom, Skype, Facetime und sprechen mit dem einen oder anderen Agenten. Bis vor kurzem haben wir auch noch individuell trainiert und versucht, die Spieler via Internet bei Laune zu halten. Aber dann haben wir die Mannschaft für drei Wochen in Urlaub geschickt.

Das heißt, Sie sind aktuell gar nicht in Holland?

Ich bin schon seit fünf Wochen in Deutschland. Aber in den nächsten Tagen fahre ich zurück nach Almelo. Wir treffen uns am 1. Mai mit dem Trainerteam, und am 4. Mai kommt auch die Mannschaft entsprechend der Hygienevorschriften wieder zusammen.

Wieso hatten die Spieler schon jetzt Urlaub?

Das haben wir so entschieden, als es noch aussah, als würde die Saison Mitte Juni weiter gehen. Jetzt hat sich die Pause bis September verlängert, und wir sind gerade dabei, einen Plan zu entwickeln – für eine lange Vorbereitung.

Sind Sie wenigstens froh, dass jetzt Klarheit herrscht?

Ich bin nicht froh, dass wir abbrechen. Das sage ich ganz ehrlich. Ich war ein Befürworter davon, die Saison zu Ende zu spielen. Aber es geht nicht um froh oder nicht froh. Es geht darum, die Situation, die uns von der Regierung auferlegt worden ist, einfach zu akzeptieren. Die Politiker sind in einer ganz schwierigen Situation: Machen wir auf? Machen wir nicht auf? Wie weit machen wir auf? Ob die Entscheidungen sich am Ende als richtig oder falsch erweisen, hängt von der Disziplin der Menschen ab. Deshalb haben wir Profisportler die Entscheidungen zu akzeptieren. Da gibt es überhaupt keine Diskussion. Es ist entschieden worden, dass wir im September mit der neuen Saison beginnen. Es ist entschieden worden, dass keine Mannschaft absteigt und dass auch keine aufsteigt.

Erwarten Sie, dass diese Entscheidungen noch Ärger auslösen?

Dass der SC Cambuur als Tabellenführer der Zweiten Liga vehement gegen diese Lösung wettert, kann ich sehr gut nachvollziehen. Es ist auch sein gutes Recht, gegen die Entscheidung Einspruch einzulegen. Aber wie will man die jetzige Situation zur allgemeinen Zufriedenheit lösen? Nehmen Sie den Tabellenletzten RKC Waalwijk aus der Eredivisie. Der ist so weit abgeschlagen, dass er den Klassenerhalt wahrscheinlich nicht mehr geschafft hätte. Aber wo fängt man an? Wo hört man auf? Ich möchte nicht in der Haut der Entscheidungsträger stecken. Irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man sich fragt: Gibt es überhaupt Gerechtigkeit? Ich hatte sogar den Gedanken, dass man die Entscheidung in besonders knappen Fällen auswürfelt. Dann hätte man es wenigstens ein Stück weit in der eigenen Hand – wenn auch nur den Würfel.

In seiner Zeit beim DFB war Wormuth (hier mit Julia Brandt) unter anderem Trainer der U-20-Nationalmannschaft.
In seiner Zeit beim DFB war Wormuth (hier mit Julia Brandt) unter anderem Trainer der U-20-Nationalmannschaft.
© imago/Schwörer Pressefoto

Waren Sie überrascht, dass die Entscheidung jetzt so schnell getroffen wurde?

Nein, der Fußballverband KNVB hat das Thema von Anfang an sehr transparent behandelt. Er hat sehr früh klare Szenarien definiert, verbunden mit Meilensteinen, an denen jeweils entschieden wird, welches Szenario möglich ist. Den ersten Meilenstein konnten wir nicht halten. Der zweite Meilenstein wäre der Wiederbeginn Mitte Juni gewesen. Den konnten wir auch nicht halten, weil die Regierung bis September alle Veranstaltungen untersagt hat. Und jetzt sind wir beim dritten Meilenstein angekommen.

Wie hilfreich war diese Vorgehensweise?

Als Trainer konnte ich immer auf ein Ziel hinarbeiten. Beim ersten Szenario war klar: Wir halten die Mannschaft fit, weil es sehr schnell wieder losgehen könnte. Beim zweiten haben wir entschieden, die Spieler erst einmal in Urlaub zu schicken, um danach mit einer intensiven Vorbereitung zu beginnen. Jetzt ist leider Szenario drei eingetreten.

Das heißt?

Wir müssen uns überlegen: Wie können wir eine Mannschaft vier Monate ohne Wettkampf beschäftigen? Puh! Das ist eine ganz neue Situation. Aber ich finde das auch interessant, weil neue Situationen neue Lösungen bringen. Ich bin jemand, der immer nach vorne schaut. Nach hinten schauen hat eh keinen Sinn – und wenn, dann nur um daraus zu lernen.

Haben Sie schon Ideen, wie Sie die vier Monate gestalten wollen?

Ich habe tausend Gedanken und Ideen, aber auf jeden Fall muss ich erst mal zum Friseur gehen, weil ich mich so wie jetzt nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken lassen kann (lacht). Im Fußball gibt es viele Prinzipien, die wir durch einen hohen Grad an Wiederholungen trainieren können. Dadurch kommt eine Konditionierung rein. Und im Moment hätten wir dazu ausreichend Zeit. Spaß macht das nicht, aber das lässt sich auch mit Fitnessübungen kombinieren. Ich kann 1000 Meter laufen. Ich kann aber auch 1000 Meter mit taktischen Hinweisen laufen. Da habe ich eine hohe Fantasie. Das muss ich jetzt erst einmal ausarbeiten.

Aber Sie werden die Spieler im Sommer auch noch einmal in Urlaub schicken, oder?

Das ist eine gute Frage. Es wird sicherlich Ruhephasen geben. Aber dass wir zwischendurch vier Wochen frei geben, davon gehe ich nicht aus. Jetzt hart trainieren, dann vier Wochen frei, und dann wieder hart trainieren – das bringt ja nichts. Vielleicht machen wir es so, dass wir jede Woche nur vier Tage trainieren und drei Tage frei geben. Darüber will ich mich noch mit dem Spielerrat und meinem Trainerteam austauschen.

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In Deutschland kämpft die DFL immer noch sehr entschlossen um die Fortsetzung der laufenden Bundesliga-Saison. Wie erklären Sie da jemandem, dass der Abbruch in der Ehrendivision so geräuschlos über die Bühne gegangen ist?

Der Faktor Geld spielt in der Bundesliga eine viel größere Rolle. Ich habe gelesen, dass es in Deutschland um 750 Millionen Euro geht. In Holland war von 20 Millionen Euro die Rede, die noch ausstehen. Deshalb verstehe ich, dass sich die Bundesliga vehement um die Wiederaufnahme des Spielbetriebs bemüht, damit das Geld reinkommt.

Wundert es Sie trotzdem, wie schnell einige Vereine offenbar in ihrer Existenz bedroht sind?

Ich bin ja diplomierter Betriebswirt und habe ein bisschen Ahnung von Bilanzierung (lacht). Ich fand es schon immer überraschend, wenn ein Verein, sagen wir, 140 Millionen Euro Umsatz gemacht hat und dann einen Gewinn von gerade 1,2 Millionen Euro verkündet. Vor Steuern. Da sagt Ihnen jeder Betriebswirt: Das kann gar nicht sein. In der Spedition, in der ich sechs Jahre gearbeitet habe, brauchten wir eine Gewinnspanne von mindestens zehn Prozent. Sonst wäre die Firma kaputt gegangen. Und zu dieser Zeit war es sehr schwierig, mit einer Spedition Geld zu verdienen.

Bei einem Verein mit 140 Millionen Euro Umsatz und 1,2 Millionen Gewinn, läge die Spanne bei nicht mal einem Prozent.

Wenn die Vereine sich in diesem Bereich bewegen, sind sie tatsächlich gefährdet, falls mal eine Zahlung ausbleibt. Aber das wundert mich, weil in den Klubs doch auch Leute aus der Wirtschaft am Werk sind, die sich mit Finanzen auskennen. Und eigentlich müsste auch Geld vorhanden sein. Aber wenn die Bundesligisten wirklich nur von Monat zu Monat denken, dann stimmt das Verhältnis nicht. Dann geben sie vielleicht einfach zu viel Geld aus und sollten mal auf drei Spieler im Kader verzichten. Bei Heracles Almelo haben wir 16, 17 Spieler, die in der Lage sind, Erste Liga zu spielen. Der Rest soll erst noch an dieses Niveau herangeführt werden. Als Trainer hast du dadurch erstens weniger Unzufriedenheit im Kader und mehr Ruhe. Zweitens bekommen die Spieler mehr Sicherheit, weil sie wissen, dass sie immer zumindest im Kader stehen. Und drittens kostet der ganze Spaß nicht so viel Geld.

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